Sonntag, 27. Oktober 2019

Die vergebliche Suche nach dem Sohn - Gedanken zum Film "Broken Flowers" von Jim Jarmusch aus dem Jahre 2005




Gestern Abend (27.10.2019) habe ich auf Arte zum ersten Mal einen Film von Jim Jarmusch gesehen. Drei oder vier Filme dieses konsequenten Independent-Filmregisseurs, der auch die Drehbücher für seine Filme schreibt, besitze ich als DVD, aber habe sie noch nie angeschaut. Nun zeigte also Arte „Broken Flowers“ (Blumen für die Ex) aus dem Jahre 2005.
Es heißt, Jim Jarmusch habe den Film dem Schauspieler Bill Murray „auf den Leib“ geschrieben. Das dürfte zutreffen.
Der Film zeigt einen erfolgreichen Computerfachmann, der viel Geld verdient hat, aber selbst keinen Computer besitzt. Zu Beginn schaut der „ewige Junggeselle“ einen alten Schwarz-Weiß-Film[1] an, in dem sich zwei Frauen zanken, die beide in denselben Mann verliebt sind. Er selbst heißt Don Johnston und wird gerade von seiner wesentlich jüngeren Freundin Cherry (Julie Delpy) verlassen, weil er nicht beziehungsfähig ist und keine Familie „bauen“ will. Es ist ein kurzes Wiedersehen mit einer Schauspielerin, die ich mag, seitdem ich sie vor 30 Jahren in Volker Schlöndorffs „Homo Faber“ (1989) als Sabeth gesehen habe, eine Rolle, die auf sie wie maßgeschneidert passt. Gleichzeitig bringt die Postbotin einen rosa Brief ohne Absender, der offenbar von einer der verflossenen Liebschaften des alternden Don Juans geschrieben wurde. Sie kündigt darin an, dass sich ihr gemeinsamer, jetzt neunzehnjähriger Sohn, von dem Don bisher gar nichts wusste, auf den Weg gemacht habe, seinen Vater zu suchen.
Es finden anschließend in dem Film zwei Bewegungen statt, die sich irgendwo kreuzen müssen. Dons Nachbar und wohl einziger Freund Winston, der im Gegensatz zu Don eine Familie, bestehend aus einer hübschen Frau und fünf Töchtern, hat, schlägt ihm vor, die mögliche Mutter seines Sohnes selbst zu suchen, während der Sohn ihn sucht.
Winston recherchiert im Internet die Adressen und bucht Flüge, Leihwägen und Hotels. So besucht Don nacheinander die fünf Frauen, die er einmal geliebt hat. Die Reaktionen der Frauen fallen höchst unterschiedlich aus, als sie den Mann mit dem Strauß von rosa Blumen vor ihrer Haustür erblicken. Laura (gespielt von Sharon Stone), die erste, hat eine sehr freizügige Tochter, die auch noch auf den Namen Lolita hört und nackt durchs Zimmer läuft, während Don auf die Mutter wartet. Er verbringt die Nacht bei ihr.
Die nächste Ex-Geliebte ist Dora (gespielt von Frances Conroy), ein einstiges Hippie-Mädchen, das jetzt mit einem reichen Immobilienmakler verheiratet ist und recht spießbürgerlich in einer Vorzeige-Immobilie wohnt, aber keinen wirklich glücklichen Eindruck macht. Ihr gut gelaunter Ehemann Ron lädt Don zum Abendessen an. Dabei erfährt der vermeintliche Vater: Kinder haben sie nicht.
Wieder muss er unverrichteter Dinge weiter ziehen. Jedes Mal muss er dabei den Flieger besteigen. Offenbar hat er seinen Samen in ganz Amerika verstreut.
So gelangt er zu der „Tier-Kommunikatorin“ Carmen Markowski, gespielt von Jessica Lange. Sie ist nicht mehr an Männern interessiert, sondern nur noch an Tieren. Vermutlich hat sie ein lesbisches Verhältnis zu ihrer jungen Sprechstundenhilfe. Sie zeigt Don ein Bild von ihrem verstorbenen Lieblingshund Winston, der ihr nach seinem Tod angeblich „eingeflüstert“ habe, die „Sprache der Tiere“ zu lernen.
Ironischerweise ist der Hund Winston genauso schwarz wie einst King Kong, der Riesenaffe aus dem Urwald, der sich in die „weiße Frau“ verliebte. Jessica Lange hatte in der Neuverfilmung des Klassikers aus dem Jahre 1976 ihr Kinodebut gegeben[2].  In ihrer für mich schönsten Rolle war sie jedoch in Wim Wenders[3] Film „Don’t come Knocking“ als Ex-Frau von Sam Shepard[4] zu sehen. Dieser hatte sich ebenfalls aufgemacht, um seinen Sohn zu suchen. Carmen hätte also gut die Mutter sein können. Beide Filme entstanden im Jahre 2005, also praktisch gleichzeitig.
Aber auch hier erfährt Don nichts Entscheidendes. So zieht er weiter und gelangt in das vollkommen abgelegene und heruntergekommene Anwesen von Penny (gespielt von Tilda Swinton mit langen schwarzen Haaren, so dass ich die Schauspielerin, die eine Tochter auf die Waldorfschule geschickt hat, zunächst gar nicht wiedererkannte). Penny reagiert ausgesprochen aggressiv, als Don sie nach einem gemeinsamen Kind fragt. Ihre zwei Kumpels, zwei Biker, schlagen ihn zusammen und legen den Bewusstlosen in sein Auto, in dem er am nächsten Morgen mitten in einem abgeernteten Maisfeld aufwacht.
Schließlich kauft Don bei einer jungen Floristin, die seine Wunde an der Stirn versorgt, zum fünften Mal rosa Blumen und legt sie auf dem Grab von Michelle Pepe ab, seiner fünften Geliebten, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.
Als er zurückfliegt, sieht er am Flughafen einen jungen Mann, der wenig später auch in Dons Stadt auftaucht. Er kauft ihm einen Sandwich und etwas zu trinken, weil er annimmt, dass es sein Sohn sein könnte. Er ist es aber nicht und reagiert aggressiv, als Don ihn darauf anspricht. Da fährt ein VW-Beetle an Don vorbei. Im Innern sitzen mehrere junge Männer und hören die gleiche Musik wie Don. Einer schaut zum Fenster heraus. Er sieht Don sehr ähnlich, denn er wird von Bill Murrays Sohn Homer gespielt.
Der Film löst die am Anfang gestellte Frage nach Dons Sohn nicht auf. Don findet trotz der Hilfe von Winstons privatdetektivischer Recherche nicht heraus, ob er wirklich einen Sohn hat, oder nicht.
Nach dem Film zeigt Arte ein Porträt[5] des exzentrischen Schauspielers Bill Murray, den ich bisher in drei Filmen gesehen habe: In Sam Raimis „Groundhog Day“ (Und ewig grüßt das Murmeltier, 1993), in Sofia Coppolas „Lost in Translation“ (2003) und nun in Jim Jarmuschs „Broken Flowers". Auch in „Tootsie“ soll Bill Murray mitgespielt haben, einem Film mit Dustin Hoffman, den ich mindestens einmal im Fernsehen gesehen habe.
Bill Murray, der 1950  in eine katholische Familie geboren wurde, ist in Amerika sehr populär. Er war in verschiedenen Fernsehserien als Improvisationstalent zu sehen. Bekannt wurde er als einer der „Geisterjäger“ in den Filmen „Ghostbusters“ (erster Teil: 1984, zweiter Teil: 1989), die ich aber bisher noch nicht gesehen habe. Der Film, der seinem Wesen wohl am meisten entspricht, ist „Groundhog Day“, wo er einen griesgrämigen TV-Meteorologen spielt, der an einem 2. Februar in eine Zeitschleife gerät und immer wieder den gleichen Tag erleben muss, bis er sich zu einem Menschenfreund gewandelt hat.
Durch das Porträt von Stephane Benhamou (2019) erfahre ich auch, dass Bill Murray, von dem niemand weiß, wo er eigentlich gerade wohnt, immer auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen war. Er versuchte es mit dem Buddhismus und begegnete 1984 in Paris schließlich Anhängern des georgischen Magiers G.I. Gurdjieff (1972 – 1949) und seinem „Vierten Weg“.
Vom Alter her gehört er meiner Generation an, genau wie Jim Jarmusch, der 1953 geboren ist.
Irgendwann beim Sehen von „Broken Flowers“ fiel mir auf, dass das Gesicht von Bill Murray, ja seine ganze Art, viel Ähnlichkeit mit der meines Ex-Freundes Harald W. hat.
Ab diesem Augenblick sah ich den Film mit anderen Augen.



[1] Ich bin nicht sicher, aber vielleicht handelt es sich um den Film „Don Juan“ mit John Barrymore in der Titelrolle, der 1926 unter der Regie von Alan Crosland entstand.
[3] Jim Jarmusch war bei einigen Filmen Regieassistent von Wim Wenders.
[4] Mit Sam Shepard war die attraktive Schauspielerin lange Zeit liiert (von 1982 bis 2009) und sie haben zwei Kinder miteinander. https://en.wikipedia.org/wiki/Jessica_Lange

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