Ich schaute gestern Abend (26.10.2019) die
Tagesschau auf SWR3 an, weil es auf 3SAT einen Thementag („Wasser“) gab und
dadurch die Nachrichtensendungen wegfielen.
Wie es der Zufall wollte, wurde
unmittelbar nach der Tagesschau auf dem dritten Programm der Film „Winnetou,
zweiter Teil“ aus dem Jahre 1964 ausgestrahlt. Ich entschloss mich, vor dem
Fernseher sitzen zu bleiben und mir den Film anzuschauen, der mir von meiner
Jugend her so vertraut war. „Vertraut“ kann man eigentlich nicht sagen, denn
ich konnte mich nur noch in groben Zügen an die Handlung erinnern und erst beim
Wiedersehen erkannte ich manche Szenen als schon einmal gesehen wieder. Was ich
mit zwölf Jahren so ernst genommen hatte, dass ich mir fast eine Art „Religion“
daraus machte, kam mir natürlich gestern beim Wiedersehen kindlich, ja geradezu
dilettantisch vor: die Handlung und die Charaktere sind völlig unglaubhaft. Das
einzige, was mich immer noch berührt, sind die Landschaftsaufnahmen.
Beeindruckt haben mich auch die geradezu unschuldigen Gesichter mancher
Darsteller, allen voran das von Mario Girotti als Leutnant Merril. Karin Dor
als Ribanna sieht wenig nach einer Assiniboin-Indianerin aus, obwohl die ersten
Sätze, die sie spricht, wie eine holprige Indianersprache klingen. Auch die
Gesichter von Lex Barker als Old Shatterhand und Pierre Brice als Winnetou haben
dieses Unschuldige. Vielleicht war es das, was meine kindliche Seele einst
überzeugte: solche Menschen müssen durch und durch gut sein. Ich konnte sie
guten Gewissens zu meinen Helden machen, zeitweise sogar zu meinen Idolen.
In einer anderen Sendung, die am
Freitagabend auf „Arte“ lief, deren erste 40 Minuten ich jedoch erst gestern in
der Arte Mediathek anschaute[1], erfuhr
ich, dass für die amerikanische Filmindustrie bis ins Jahr 1967 der sogenannte
„Hace-Code“ galt, der genau festlegte, was im Film gezeigt werden durfte und
was nicht.
Dieser Moral-Kodex galt natürlich
nicht für die europäischen Filme. So drehte der Italiener Sergio Leone im Jahr
1964 mit „Per un Pugno di Dollari“ (Für eine Handvoll Dollar) den ersten
Italo-Western, einen Film, in dem die Unschuld des Kinos zerbrach. Der
wunderbare Clint Eastwood stellte in dem Film einen namenlosen Fremden dar, der
ein Städtchen ganz allein von der Tyrannei zweier sich bekämpfender Banden
befreit und dabei genauso grausam vorgeht wie die Bösen selbst. Sein
unrasiertes Gesicht, der Schlamm auf den Straßen, der Angstschweiß auf den
Gesichtern der Banditen, das alles stand damals in starkem Kontrast zu den
edlen Figuren aus den Karl-May-Filmen, die sich – ohne es zu müssen – an einen
Moral-Kodex hielten, der die Filme jugendfrei hielt. „Für eine Handvoll Dollar“
war es nicht. Trotzdem habe ich den Film im Januar 1967 in einem kleinen Kino
in der Grenzstadt Grenzach zusammen mit meinem Cousin angeschaut.
Damals war ich 14 Jahre alt, der Film war aber erst ab 16 freigegeben.
Auch wenn in „Winnetou II“ von einer
Banditenbande ein Indianerdorf der Poncas „dem Erdboden gleichgemacht“ wird,
wie es im Film heißt, um das schlimme Wort „Gemetzel“ zu meiden, so sieht man
doch die Gewalt nicht, ja man sieht nicht eine Szene, in der bei den zahlreichen
Kämpfen Blut fließt, mit zwei Ausnahmen: Gleich zu Beginn wird Ribanna, die wie
ein deutsches Mädel, lange – wenn auch schwarze statt blonde – Zöpfe trägt, von
einem Grizzly an der linken Schulter verletzt, am Ende des Films Leutnant
Merril in den Adelsberger Grotten, die in „Winnetou II“ zum ersten Mal in einem
Film gezeigt werden, durch einen Streifschuss. Dass es ausgerechnet diese beiden sind, die um des
Friedens willen heiraten, wobei Ribanna und Winnetou, die eigentlich
füreinander bestimmt waren, edelmütig auf ihre persönliche Liebe verzichten
müssen, ist ein interessanter „Subtext“ des Drehbuches von
Karl-May-Film-Spezialist Harald G. Petersson (1904 – 1977). Will er damit
andeuten, dass diese „Vernunftehe“ in Wirklichkeit nicht funktionieren wird, da
sie den Frieden zwischen Weißen und Indianern doch nicht retten kann?
Den „Guten“ stehen auch in diesem
Winnetou-Film wieder die „Bösen“ gegenüber, die wirklich als abgrundtief böse
und gewissenlos einen starken Kontrast zu dem Edelmut der Guten bilden.
Insbesondere Klaus Kinski, der spätere Schuft einiger Italo-Western (zum
Beispiel: „Leichen pflasterten seinen Weg - Il grande Silenzio" von Django-Erfinder Sergio Corbucci, 1968), spielt seinen bösen Charakter Luke
dermaßen überzeugend, dass er sich dem jugendlichen Zuschauer tief einprägt,
besonders in den Szenen, in denen er den letzten Überlebenden des
Siedler-Trecks vorgaukelt, der angeblich von den Indianern, in Wirklichkeit
jedoch von der Bande des Bud Forrester (Anthony Steel), zu der auch der besonders
grausame Killer Luke gehört, vernichtet worden war.
Ich habe das Gefühl, dass die Banden
des Bösen von Winnetou-Film zu Winnetou-Film quantitaiv immer größer und qualitativ
immer brutaler werden. Im „Schatz im Silbersee“ war die Bande des Cornel
Brinkley (Herbert Lom) noch überschaubar, vielleicht 15 Mann stark. In
„Winnetou I“ war der böse Santer (Mario Adorf) auch nur von einigen Getreuen
umgeben, meist bärtigen Typen. In „Winnetou II“ sind es bereits 50 Banditen,
die auftreten. Ironischerweise nimmt also „das Böse“ trotz der Bemühungen des
Freundespaares Winnetou und Old Shatterhand von Film zu Film auch qualitativ
ständig zu: Cornel Brinkley hatte es auf das Gold der Apachen abgesehen und
mordete den Vater von Fred Engel (Götz George), um an den Plan heranzukommen, der
ihm die Lage des „Schatzes“ verriet. In „Winnetou I“ macht Santer gemeinsame
Sache mit dem korrupten Bauleiter Bancroft. Sie wollen entgegen den Vorgaben
die Eisenbahn durch das Land der
Apachen bauen, statt wie ausgewiesen, darum herum, und sich dadurch illegal bereichern.
Dass Santer zum Schluss auch noch Nscho-Tschi, die Schwester Winnetous, die in
Old Shatterhand verliebt war, tötet, gibt der Geschichte erst den tragischen
Zug, der unzählige jugendliche Zuschauer Anfang der 60er zum Weinen brachte.
Wieder wollte es das Drehbuch von Harald G. Petersson so. Old Shatterhand hätte
sich niemals als Ehemann ins private Glück zurückziehen dürfen, sondern musste
noch für weitere (Film-) Abenteuer zur Verfügung stehen. Dabei störte eine Frau
nur.
In „Winnetou II“ werden nicht nur einzelne
Protagonisten von den Bösen getötet, sondern ein ganzes Indianerdorf ausgerottet:
Frauen, Kinder und Alte müssen ihr Leben lassen. Solche „Genozide“ sind tatsächlich
von Weißen gegenüber indianischen Stämmen verübt worden, aber sie wurden erst Anfang
der 70er Jahre in zwei amerikanischen Western gezeigt: Das Massaker am Washita River[2] durch die
7. US-Kavalerie unter General George Armstrong Custer am 27. November 1868 in dem
Film „Little Big Man“ von Arthur Penn und das Massaker am Sand-Creek am 29. November
1864[3] in „Soldier
Blue“ (Das Wiegenlied vom Todschlag) von Ralph Nelson. Beide Filme entstanden im
Jahre 1970 und waren in gewisser Weise „Kommentare“ zum Massaker von My Lai, das
amerikanische GIs am 16. März 1968 in Vietnam begingen[4].
Dass im Jahre 1962, kurz bevor Lex Barker
zum ersten Mal als Old Shatterhand vor der Kamera steht, seine vierte Ehefrau,
die Schweizerin Irene Labhart, die ihm empfohlen hatte, die Rolle zu
übernehmen, stirbt, und er bald wieder (1965) heiratet, zeigt, wie Realität und
Fiktion auseinanderklaffen. Lex Barker, der dieses Jahr am 8. Mai hundert Jahre
alt geworden wäre[5],
heiratet noch ein fünftes Mal. Er bricht drei Tage nach seinem 54. Geburtstag,
am 11. Mai 1973 auf einer Kreuzung in Manhattan zusammen, als er gerade auf dem
Weg zu seiner damaligen Freundin war, und stirbt an einem Herzinfarkt.[6]
Kann ich alles unterschreiben. Kleiner sachlicher Fehler: Im Dollar-Film sind die Straßen nicht schlammig, das sind sie in Corbuccis "Django". In Leones Western ist alles staubtrocken.
AntwortenLöschenVielen Dank für die Korrektur. Du hast recht. Ich habe die Szenerien der beiden Klassiker des Italo-Western "vermischt".
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