Der Film ist bezaubernd, aber auch ein
bisschen traurig, weil der deutsche Student Andi (Gunnar Möller), der sich in
die Tochter des ungarischen Bahnhofvorstehers (Gustav Knuth) verliebt hat,
nicht zurück nach Ungarn kommen wird, wie er es versprochen
hatte, sondern andere Wege geht.[1] Es war
also nur ein Abenteuer.
Mir gefällt an dem Film, dass er mit
selbstverständlicher Leichtigkeit etwas von der traditionellen ungarischen
Kultur vermittelt. Die Geschichte des Films, der auf einem Roman von Hugo
Hartung[2] basiert,
spielt im Jahre 1925.
Natürlich erinnern mich Piroschkas
Zöpfe an meine Mutter, als sie jung war und Zöpfe trug; und natürlich an Greta Thunberg. Witzigerweise
verliebt sich Andreas zunächst im Zug nach Budapest in eine junge Frau namens
Greta (gespielt von der Schauspielerin Wera Frydtberg, 1926 - 2008), die ihre
Ferien am Plattensee (Ballaton) verbringen möchte, wo er sie später auch
besuchen wird.
Wenn ich die ungarische Sprache höre,
die in dem Film immer wieder gesprochen wird, dann denke ich natürlich an meine
ungarischen Deutschschüler wie zum Beispiel an die hübsche Noemi V., die am
letzten BAMF-Kurs teilnahm, und mit der ich auch auf Facebook befreundet bin.
Oder an Tamas T., mit dem ich ebenfalls noch auf Facebook befreundet bin.
Andere ungarische Deutschschüler sind leider wieder aus meinen Augen
verschwunden, obwohl ich sie sehr nett fand.
Der Film zeigt sehr schön die
Offenheit der deutschen Seele für andere Länder, Menschen und Kulturen. Sicher
spielt dabei auch der Reiz des Exotischen eine Rolle, aber ich erlebe dieselbe
Liebe zu anderen Völkern auch in meiner Seele.
Es stimmt überhaupt nicht, wenn immer
wieder behauptet wird, die Deutschen seien „fremdenfeindlich“. Dies ist eins
der üblichen Pauschalurteile, die gerne von interessierten Kreisen als „Keule“
benützt werden, um ein ganzes Volk schlecht zu reden. Gegen solche
Abstempelungen wehre ich mich unter anderem auch in vielen meiner Blogbeiträge
„Kommentare zum Zeitgeschehen“.
Lenas russisches Ohr muss sich erst
daran gewöhnen, dass das ungarische Mädchen, in das sich der Deutsche verliebt,
„Piroschka“ heißt. Bei diesem Namen denkt eine Russin eher ans Essen, denn es
gibt eine russische Speise, die „Piroschki“ heißt.
Die Szene, in der Andi und Piroschka
zusammen Deutsch lernen, erinnert mich unmittelbar an den Vortag. Am
Donnerstagabend von 17.00 bis 18.30 Uhr fand der erste Deutschkurs statt, den
ich von nun an für eine Gruppe russlandstämmiger Frauen geben darf. Lena und
ihre Schwester Olga nehmen teil. Lena saß neben mir und schrieb die Wörter und
Sätze, die ich ihnen vorschlug, brav in ihr Vokabelheft.
Im Film lernt Andi vor allem einen Satz
von Piroschka: „Ich liebe dich!“ auf Ungarisch.
Der Film, der vorwiegend im Atelier
entstanden ist, berührt das Gemüt. So sagt der Bahnhofvorsteher, der von Gustav
Knuth[3] gespielt
wird, einmal, dass seine Tochter Piroschka sehr „gemütlich“ sei, wobei er meinte:
sehr gemüthaft.
Das „Gemüthafte“ des Films erfährt der
Zuschauer immer wieder, zum Beispiel, als das eifersüchtige Mädchen Andi
heimlich zum Ballaton folgt, um zu sehen, wen er dort trifft, oder wenn es zum
Schluss den Eilzug anhält, um mit dem Deutschen noch ein Schäferstündchen zu
verbringen, zu dem es nicht gekommen war, weil sie eine Woche lang beleidigt spielte und
sich nicht mehr blicken ließ. Da sagt er zu ihr tatsächlich auf Ungarisch
„fereklek“, also „Ich liebe dich“. Piroschka erwidert: „Aber das darf man
doch nicht sagen!“ Erstaunt fragt Andreas: „Ja, was denn dann?“ Liselotte
Pulver haucht in ihrer unverwechselbaren Stimme: „Tun, Andy! Tun muss man das!“
Diese Filme haben noch etwas Reines,
Unbeschwertes, ganz anders als die Hollywoodfilme jener Zeit, die immer offen
zweideutig sind.[4]
Schauspielerinnen wie Marilyn Monroe oder Jane Mansfield wurden von den amerikanischen
Männern damals als Pin-Up-Girls in ihren Spint oder ihre Garage gehängt. Man
kann sich gut vorstellen, welchen erotischen Phantasien sie sich beim
Betrachten der üppigen Kurven dieser Frauen hingaben. Lilo Pulver eignet sich
nicht zu solch einem Abziehbild, auch wenn Billy Wilder in „One, Two, Three“
(1961) versuchte, sie wie Marilyn Monroe als „Sexbombe“ zu inszenieren.
Die verklemmte Sexualität der prüden
50-er Jahre mag ich nicht. Selbst in einem scheinbar so unschuldigen Film wie "Ariane - Liebe am Nachmittag" (Love
in the Afternoon, 1956) mit Gary Cooper und der jungen Audrey Hepburn spielt der Regisseur Billy
Wilder mit der erotischen Mehrdeutigkeit des Themas.
Interessant finde ich, dass Andi
Piroschka am Schluss nach ihrem Sternzeichen fragt und beide feststellen, dass
sie „Steinbock“ sind. Das passt natürlich gar nicht zusammen. Anders ist es bei
dem Regisseur Kurt Hofmann (1910 – 2001) und Liselotte Pulver. In dem Porträt „Humor ist eine ernste Sache – Der Filmregisseur Kurt Hoffmann“ von
Christian Bauer (1985), das als Extra auf der DVD enthalten ist, erfährt man,
dass Hoffmann (geboren am 12. November 1910) „Skorpion“ und Liselotte Pulver „Waage“ ist. Das, so
sagt Liselotte Pulver, in einem Interview lachend, passe natürlich wunderbar
zusammen. Die Schweizer Schauspielerin, die am 11. Oktober 90 Jahre alt
geworden ist, bezeichnet Kurt Hofmann als den Mann, der „das Pulver“ erfunden
hat. Wenn ich richtig gehört habe, dann hat er zehn Filme mit Lilo Pulver
gedreht.
Der Partner von Lilo Pulver in „Ich
denke oft an Piroschka“ ist der „Blondschopf“ Gunnar Möller (1928 – 2017). Lena
meint, genau wie ich, dass der damals 27-jährige Schauspieler wie ein typischer
Deutscher aussieht. Der Schauspieler hat in dem Film „Nacht fiel über
Gotenhafen“ mitgespielt, den mein Vater liebte, weil er den Untergang der
Wilhelm Gustloff zum Gegenstand hatte. Allerdings passierte dem Schauspieler,
der 1972 und 1976 in einer tschechischen Filmtrilogie auch Adolf Hitler spielte,
im Jahre 1979 ein tragisches Missgeschick: er tötete am 24. September im Affekt
seine Ehefrau, die Schauspielerin Brigitte Rau, mit der er seit 1954 verheiratet
war. Dafür wurde er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.[6]
Der Schauspieler, der oftmals mit
seiner Frau auf der Bühne stand, hatte damals wohl Alkoholprobleme. Wenn Goethe
den Faust sprechen lässt, „zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“, dann kann
man diesen Satz auch auf Gunnar Möller, ja auf viele Deutsche, die sich im
Dritten Reich so sehr verschuldet haben, anwenden. Der Schauspieler war ein
Jahr älter als Lilo Pulver und zehn Jahre jünger als mein Vater. Er konnte jedoch ein Come-Back feiern. Auf Wikipedia
lese ich:
„Möller wurde 2011 zum ordentlichen
Ehrenmitglied der ‚Europäischen Kulturwerkstatt‘ (EKW) in Berlin berufen. Die
Feier fand anlässlich der Premiere der neuen Fassung von ‚Ich denke oft an
Piroschka‘ im Jahr 2011 in Heidenheim an der Brenz statt.“
Interessant finde ich, dass Liselotte
Pulver bei den beiden bekanntesten deutschen Regisseuren der damaligen Zeit,
Kurt Hoffmann und Helmut Käutner engagiert war, die ich wie zwei Antagonisten
des deutschen Films der 50-er und 60-er Jahre erlebe. Helmut Käutner ist dabei eher der
kritische Filmemacher, der sich auch mit der unheilvollen deutschen
Vergangenheit („Des Teufels General“) oder der damaligen Gegenwart („Himmel
ohne Sterne“) auseinandersetzt, während Kurt Hofmann ein Regisseur der leichten
Unterhaltung und der Komödie ist, der das Publikum nicht noch einmal mit jener
Vergangenheit konfrontieren, sondern es trösten will, auch wenn er sich in dem
Schwarz-Weiß-Film „Wir Wunderkinder“ (1958) auch einmal mit der
bundesrepublikanischen Gegenwart des sogenannten „Wirtschaftswunders“ oder in dem Film "Das Haus in der Karpfengasse" (1964) mit der Verfolgung der Juden im Dritten Reich beschäftigt.
In dem Porträt des Regisseurs Kurt Hoffmann
„Humor ist eine ernste Sache“ rehabilitiert Volker Schlöndorff „Opas Kino“, das
von den Regisseuren des „Jungen Deutschen Films“ schlecht geredet wurde. Einzig
Rainer Werner Fassbinder hat seine Liebe zu dem Kino der Zeit vor dem
„Oberhausener Manifest“ („Opas Kino ist tot“) bekundet, indem er einige der
Schauspieler aus den 50-er Jahren in seinen Filmen auftreten ließ und ihnen
dadurch zu einem Come-Back verhalf, während Regisseure wie Kurt Hofmann in den 70-er Jahren schließlich ganz aufhörten zu arbeiten.
Der Name des Regisseurs Paul Frank in
dem Film „Die Zürcher Verlobung“ (1957) von Helmut Käutner, den wir anschließend auf DVD anschauten, gespielt von dem Schauspieler Bernhard Wicki, der bereits
im folgenden Jahr 1958 mit dem Film „Warum sind sie gegen uns?“ sein Regiedebüt
gab, erinnert mich an zwei populäre Regisseure: an Paul May (1909 – 1976) und
Arnold Fanck (1889 – 1974). Paul May war zuerst in den 30-er und 40-er Jahren
Cutter bei vielen Filmen, bevor er in den 50-er Jahren mit der „08/15“-Reihe
(ab 1954) und dem Klassiker „Und ewig singen die Wälder“ (1959) berühmt wurde.
Arnold Fanck war in den 20-er Jahren der Pionier des Bergfilms und Lehrmeister
von Regisseur Harald Reinl (1908 – 1986), dem Regisseur der besten
Winnetou-Filme.
Damit habe ich wieder ein Dreigestirn
gefunden: Alle drei haben natürlich Gefühlskino gemacht, aber Helmut Käutner
war dabei eher der Intellektuelle, Harald Reinl der Aktionist, der neben seinen
Heimatfilmen vorwiegend Abenteuerfilme gedreht hat, und Kurt Hofmann der eigentliche Meister der
Gefühle: „er wollte die Welt freundlich, liebenswürdig darstellen“ sagt die
Schauspielerin Eva-Maria Meinecke in dem Porträt von Christian Bauer. Kurt Hoffmann bezeichnete sich selbst als
„Lustspielmacher“. Als ihn Bauer fragt, wann Kurt Hoffmann zu seinem
unverwechselbaren Stil gefunden habe, da antwortet der Regisseur: „Das hat
nichts mit Stil zu tun. Das ist ein Fingerspitzengefühl für eine Sache, ein
Herz für eine Sache.“ In seinen Filmen war immer auch etwas Musikalisches.
Hoffmann sagt, er wäre gerne Dirigent geworden, wenn er nicht Filmregisseur
geworden wäre.
Kurt Hoffmanns Vater Carl Hoffmann
(1885 – 1947) „galt neben Karl Freund und Fritz Arno Wagner als einer der
wichtigsten Kameramänner der Weimarer Republik“.[7] Er hat
unter anderem den zweiteiligen Nibelungen-Film von Fritz Lang (1924)
fotografiert.
Seinen eigenen Einstieg beim Film fand
der Sohn 1931 als „dritter Hilfsregisseur“ in dem Film „Der Kongress tanzt“ von
Eric Charell[8],
in dem der Vater Carl Hoffmann die Kamera führte. Man nannte die Aufgabe
des jungen Kurt bei dem Film damals die eines „Schlattenschamiss“, erzählt der
sympathische Regisseur in dem Porträt, und erklärt, dass es sich dabei um ein
jiddisches Wort handelt, wobei er nur wusste, was der zweite Bestandteil
bedeutet: Schamiss ist der „Gebetsdiener“ in der Synagoge.
Kurt Hoffmann hat bei Robert Siodmak,
Gustav Ucicky und Wolfgang Liebeneiner assistiert und kam schließlich zu
Reinhold Schünzel (1888 – 1954), dem herausragenden Komödien-Regisseur der 30-er
Jahre, dessen Film „Amphitryon“ aus dem Jahr 1935 mit Willy Fritsch als Jupiter
und Adele Sandrock als Juno ich mit Freude am Ende der 60er Jahre gesehen habe.
Reinhold Schünzel musste 1937 als
„Halbjude“ nach Amerika emigrieren.
Danach hat Kurt Hoffmann als
Regieassistent von Heinz Rühmann gearbeitet. 1939 hat er den ersten von
insgesamt sieben Filmen mit dem bekannten deutschen Charakterdarsteller
gedreht: „Paradies der Junggesellen“, in dem ein Lied vorkommt, das meine
Mutter in Hinblick auf meinen vom Untergang der Wilhelm Gustloff
traumatisierten Vater oft singend zitierte: „Das kann doch einen Seemann nicht
erschüttern!“ 1941 drehte Hoffmann mit Heinz Rühmann „Quax, der Bruchpilot“,
den ich ebenfalls Ende der 60-er Jahre, als merkwürdigerweise viele alte Filme
in den deutschen Kinos eine Wiederaufführung erfuhren, gesehen habe.
Für seinen Schwarz-Weiß-Film „Der
Engel, der seine Harfe versetzte“ (1959), der ohne bekannte Darsteller für ein
geringes Budget gedreht wurde, holte Kurt Hoffmann den berühmten schwedischen
Kameramann Sven Nykvist nach Deutschland, ein Bild-Genie, das die meisten Filme
von Ingmar Bergmann und dann schließlich auch meinen Lieblingsfilm von Andrej
Tarkowski fotografiert hat: „Opfer“.
Schlüsselworte seiner Regie sind
„Ordnung, Sauberkeit und Präzision im Ablauf der Produktion“, also typisch
deutsche Eigenschaften.
[1] Die
Geschichte des Films wird von dem inzwischen Gealtertem erzählt, der – wie er
sagt – „oft an Piroschka“ denkt.
[2] Von
diesem in den 50er Jahren bekannten Autor besitze ich zwei Romane, die ich aber
noch nicht gelesen habe: „Wir Wunderkinder“ und „Der Himmel war unten“ über den
Kampf um die Stadt Breslau.
[3] Der in
den 50er Jahren vielbeschäftigte Schauspieler, war im Jahre 1955 in drei heute
noch bekannten Filmen zu sehen: in dem Film „Sissi“ als ihr Vater, der
bayerische Herzog Max, In „Himmel ohne Sterne“ als erfolgreicher westdeutscher
Ladenbesitzer, und nun in „Ich denke oft an Piroschka“ als ungarischer
Bahnhofsvorsteher und Vater von Piroschka.
[4] Ich
denke dabei an Filme wie „Picnic“ von Joshua Logan mit William Holden und Kim
Novak aus dem Jahre 1955 oder an den Film „Ein Goldfisch an der Leine“ von
Howard Hawks mit Rock Hudson und Paula Prentiss aus dem Jahr 1964. Schon der
Titel verrät die Zweideutigkeit, wenn er von „Mens Favourite Sport“ handelt,
womit in erster Linie das Angeln und in zweiter Linie der Sex gemeint ist. Ein
Kritiker meinte: „ Die hinreißende Obszönität des Films entwaffnet jeden
Zensor“. https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Goldfisch_an_der_Leine
[8] Den Film
habe ich 1967 mit Karen in Baden-Baden gesehen. Sie feiert heute ihren 66.
Geburtstag. Ich habe ihr am Mittwochabend mit der Post einen Geburtstagsgruß
geschickt und hoffe, dass er heute angekommen ist.
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