Dienstag, 13. August 2019

"Keiner konnte das Publikum so geschickt manipulieren wie er" - Gedanken zu dem Film "Verdacht" von Alfred Hitchcock aus dem Jahre 1941





Gestern Abend (12.08.2019) zeigte Arte anlässlich des 120. Geburtstags (13. August 1899) des Regisseurs den Hitchcock-Film „Suspicion“ (Verdacht)  aus dem Jahre 1941.
Ich teile immer mehr die früher geäußerte Meinung meiner Ex-Frau, dass Alfred Hitchcock ein "kranker" Mann war. Selbstverständlich war er außerdem ein Meisterregisseur, der immer wieder von neuem versucht hat, sein Publikum zu manipulieren.
Seine Filme kreisen immer um das mysteriöse Böse. So auch dieser Film, in dem der schöne Cary Grant den „Nichtsnutz“ Johnny spielt, der die feine Gesellschaft und dort vor allem die Frauen frequentiert, um an ihr Geld zu kommen. Er ist in Wirklichkeit ein Spieler und geschickter Erzähler von Lügengeschichten. Außerdem liebt er Krimis, seitdem er die Krimi-Autorin Isobel Sedbusc, die im gleichen Ort in der englischen Grafschaft Sussex wohnt wie er und seine Frau, persönlich kennt. Diese Frau mit dem seltsamen Namen erinnert mich sehr an Agatha Christie.
Dieser Taugenichts, der nichts anderes besitzt als seinen Charme, hat etwas Diabolisches. In der Romanvorlage „Before the Fact“ von Francis Iles aus dem Jahr 1932 ist die Gestalt tatsächlich ein Mörder. Hitchcock konstruiert seinen Film so, dass sich auch beim Publikum der Verdacht immer mehr erhärtet, dass er die schüchterne Generalstochter Lina nur deswegen heiratet, weil er so an ihr Erbe heranzukommen hofft. Das Happy End wirkt aufgesetzt und unglaubwürdig. Der Verdacht bleibt.
Zwei Szenen blieben mir gestern beim Sehen stark in Erinnerung: Erstens fiel mir auf, dass Johnny zu Beginn aus dem Dunkeln auftaucht, als der Zug, in dem er durch einen Abteilwechsel Lina begegnet, durch einen Tunnel fährt. Er sitzt der hübschen Frau, wie aus dem Nichts kommend, plötzlich gegenüber. Sie leiht ihm sogar ein wenig Geld, damit er den Zuschlag bezahlen kann, weil er nun in der ersten Klasse sitzt, aber nur ein Billet für die zweite Klasse besitzt.
Schon hier kann Verdacht aufkommen: Gehört dieser Mann wirklich zur Oberklasse, oder ist er nur ein Heiratsschwindler, der gut aussieht? Auch dass er ein Lügner ist, erkennt man in dieser Szene schnell. Nur die unschuldige Lina fällt auf ihn herein.
Die entscheidende Szene kommt später: Lina will mit ihren Eltern gerade in die Kirche gehen, als sie wieder auf den charmanten Mann trifft. Sie lässt sich tatsächlich von ihrem ursprünglichen Vorhaben abbringen und macht einen Spaziergang mit Johnny, bei dem sie sich in ihn verliebt. Diese Liebe scheint gegenseitig zu sein, denn von nun an bleibt Johnny ihr offenbar treu, auch wenn mir auffällt, dass er oft weg ist und auch dem jungen Hausmädchen schöne Augen und Geschenke macht.
Hitchcock, der die Perspektive Linas einnimmt, mit der sich das Publikum identifiziert, schafft es, den Verdacht, dass Johnny Böses im Schilde führt, bis zum Schluss zu steigern.
Als kritischer Zuschauer durchschaut man natürlich die Absicht des Films, lässt sich aber dennoch zum Teil mitreißen, als wäre es ein angenehmer Grusel, manipuliert zu werden. Eine Meisterin in der Manipulation der Gefühle der Leser war ja auch Agatha Christie, die in ihren Krimis den Verdacht auf beinahe jede ihrer Figuren zu lenken verstand, weil jede irgendwelche verborgenen Abgründe in der Seele hatte. 
Der Hitchcock-Film lebt durch den Kontrast zwischen dem schönen Lügner und Verführer Johnny auf der einen Seite und der unschuldigen, naiven Lina auf der anderen, die erst allmählich zu ahnen beginnt, wer Johnny wirklich ist, in den sie sich so heillos verliebt hat.
Biblisch ausgedrückt, ist Johnny Luzifer, der in der idyllischen Landschaft von Sussex, also einem zweiten Paradies, die unschuldige Eva verführt. Die eigentliche Verführungsszene findet tatsächlich unter einem Baum auf einer Anhöhe statt, wohin Johnny die blonde Christin, die eigentlich mit ihren Eltern in die Kirche gehen wollte, geführt hatte.
Wenn man noch weiter gehen will, dann kann man natürlich noch eine tiefere Schicht entdecken: Hinter dem Namen „Johnny“ verbirgt sich der Evangelist Johannes, der hier gleichgesetzt wird mit einem Erzähler von „unterhaltsamen Lügengeschichten“, wie es sein naiver Freund Beaky einmal ausdrückt.[1] Hinter dem Namen „Lina“ erkennt man die „große Sünderin“ Magdalena. Von beiden heißt es in der Bibel, dass sie der Herr „liebte“. Hitchcock vertauscht die Charaktere: er macht aus dem Jünger den Bösewicht und aus der Sünderin die „Unschuld vom Lande“, die „von einem Manne nichts wusste“, bevor sie von Johnny verführt wurde.
Der in einem Jesuiteninternat erzogene Brite spielt in seinen Filmen gerne mit biblischen Bildern und verdreht sie dabei in ihr Gegenteil, wie ich bereits in meiner Kritik des Films „Vertigo“ herausgefunden habe.[2] Dabei spielt er geschickt auf der Tastatur der psychologischen Manipulation, so dass der Zuschauer zum Schluss regelrecht verwirrt ist und Wahrheit von Unwahrheit nicht mehr unterscheiden kann.
Das ist genau die Absicht Ahrimans, der für mich der wahre Inspirator des Filmregisseurs ist.
Alfred Hitchcock wurde nach dem Krieg nach Deutschland gerufen, um die Leichen aus den Konzentrationslagern zu filmen und den Deutschen das ganze Ausmaß der Verbrechen zu zeigen, die die Nationalsozialisten verübt hatten. Natürlich hatten diese „Dokumentationen“ das Ziel, die Deutschen, die von ihrem Führer verführt worden waren, aufzurütteln. Ob Hitchcock dabei aber bei der Wahrheit geblieben ist, darf bezweifelt werden. Hat er wirklich Leichen aus den deutschen Konzentrationslagern gefilmt, oder hat er auch hier seine Bilder zur Manipulation des Publikums eingesetzt, wie wohl die Vorgabe lautete? Den Deutschen sollte durch solche Filme für immer ein unauslöschliches Schuldgefühl „eingeimpft“ werden.
Das passiert auch in „Suspicion“: Zum Schluss des Films fühlt sich Lina als die eigentlich Schuldige, weil sie ihren Mann zu Unrecht verdächtigt hatte und ihr Verdacht nur auf falschen Vorstellungen beruhte, die sie sich durch die spärlichen Fakten, die sie hie und da aufschnappte, selbst zusammengereimt hat. Nur in ihrer Fantasie war Johnny der potentielle Mörder, in Wirklichkeit aber ein grundehrlicher Mann. Das hatte er bei ihrer ersten gemeinsamen Autofahrt tatsächlich offenbart, als er ihr ehrlich seine Liebe gestand. Auf diesem Bild baute sie ihre ganze Beziehung auf, die dann immer mehr Brüche bekam, weil sie in ihre eigenen Wahnvorstellungen geriet.
Alfred Hitchcock trieb bereits in dem frühen Film sein diabolisches Spiel mit den Gefühlen der Zuschauer, das er es schließlich in reiner Perfektion beherrschte, als er in den 60-er Jahren seine Meisterwerke „Psycho“ und „The Birds“ schuf.
"Suspicion" war nach „Rebecca“ (1940) der zweite Film, den Hitchcock in Hollywood realisierte. Wieder spielte Joan Fontaine die weibliche Hauptrolle. Für ihre Rolle der Lina in „Suspicion“ erhielt sie sogar einen Oscar. Zum ersten Mal arbeitete Hitchcock mit Cary Grant zusammen, der im Jahr zuvor in drei Filmen positive Charaktere gespielt hatte, meistens treue Ehemänner. In „Philadelphia Story“ (Die Nacht vor der Hochzeit) von George Cukor kehrt er zu seiner geschiedenen Frau (Katherine Hepburn) zurück, die sich gerade wieder verheiraten will, in „My Friday Girl (Ein Mädchen für besondere Fälle) von Howard Hawks heiratet er eine geschiedene Reporterin (Rosalind Russell) und in „My Favorite Wife“ (Meine Lieblingsfrau) von Leo McCarey findet er nach langer Suche seine bei einem Schiffsunglück verschollene Ehefrau (Irene Dunne) wieder. Hitchcock, der später noch einige wichtige Filme mit ihm drehte („Notorious“, „North by Northwest“ und „To Catch a Thief“), besetzt Cary Grant zum ersten Mal gegen sein Image des sauberen Liebhabers und wirft in seinem Film den schrecklichen Verdacht auf ihn, ein Mörder und Erbschleicher zu sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen