Gestern Abend (12.08.2019) zeigte
Arte anlässlich des 120. Geburtstags (13. August 1899) des Regisseurs den
Hitchcock-Film „Suspicion“ (Verdacht) aus dem Jahre 1941.
Ich teile immer mehr die früher geäußerte Meinung meiner Ex-Frau, dass Alfred Hitchcock ein "kranker" Mann war. Selbstverständlich
war er außerdem ein Meisterregisseur, der immer wieder von neuem versucht hat, sein
Publikum zu manipulieren.
Seine Filme kreisen immer um das
mysteriöse Böse. So auch dieser Film, in dem der schöne Cary Grant den „Nichtsnutz“
Johnny spielt, der die feine Gesellschaft und dort vor allem die Frauen
frequentiert, um an ihr Geld zu kommen. Er ist in Wirklichkeit ein Spieler und geschickter
Erzähler von Lügengeschichten. Außerdem liebt er Krimis, seitdem er die
Krimi-Autorin Isobel Sedbusc, die im gleichen Ort in der englischen Grafschaft
Sussex wohnt wie er und seine Frau, persönlich kennt. Diese Frau mit dem
seltsamen Namen erinnert mich sehr an Agatha Christie.
Dieser Taugenichts, der nichts
anderes besitzt als seinen Charme, hat etwas Diabolisches. In der Romanvorlage „Before
the Fact“ von Francis Iles aus dem Jahr 1932 ist die Gestalt tatsächlich ein
Mörder. Hitchcock konstruiert seinen Film so, dass sich auch beim Publikum der
Verdacht immer mehr erhärtet, dass er die schüchterne Generalstochter Lina nur
deswegen heiratet, weil er so an ihr Erbe heranzukommen hofft. Das Happy End
wirkt aufgesetzt und unglaubwürdig. Der Verdacht bleibt.
Zwei Szenen blieben mir gestern
beim Sehen stark in Erinnerung: Erstens fiel mir auf, dass Johnny zu Beginn aus
dem Dunkeln auftaucht, als der Zug, in dem er durch einen Abteilwechsel Lina
begegnet, durch einen Tunnel fährt. Er sitzt der hübschen Frau, wie aus dem
Nichts kommend, plötzlich gegenüber. Sie leiht ihm sogar ein wenig Geld, damit
er den Zuschlag bezahlen kann, weil er nun in der ersten Klasse sitzt, aber nur
ein Billet für die zweite Klasse besitzt.
Schon hier kann Verdacht
aufkommen: Gehört dieser Mann wirklich zur Oberklasse, oder ist er nur ein Heiratsschwindler,
der gut aussieht? Auch dass er ein Lügner ist, erkennt man in dieser Szene
schnell. Nur die unschuldige Lina fällt auf ihn herein.
Die entscheidende Szene kommt
später: Lina will mit ihren Eltern gerade in die Kirche gehen, als sie wieder
auf den charmanten Mann trifft. Sie lässt sich tatsächlich von ihrem
ursprünglichen Vorhaben abbringen und macht einen Spaziergang mit Johnny, bei
dem sie sich in ihn verliebt. Diese Liebe scheint gegenseitig zu sein, denn von
nun an bleibt Johnny ihr offenbar treu, auch wenn mir auffällt, dass er oft weg
ist und auch dem jungen Hausmädchen schöne Augen und Geschenke macht.
Hitchcock, der die Perspektive
Linas einnimmt, mit der sich das Publikum identifiziert, schafft es, den
Verdacht, dass Johnny Böses im Schilde führt, bis zum Schluss zu steigern.
Als kritischer Zuschauer
durchschaut man natürlich die Absicht des Films, lässt sich aber dennoch zum
Teil mitreißen, als wäre es ein angenehmer Grusel, manipuliert zu werden. Eine
Meisterin in der Manipulation der Gefühle der Leser war ja auch Agatha
Christie, die in ihren Krimis den Verdacht auf beinahe jede ihrer Figuren zu
lenken verstand, weil jede irgendwelche verborgenen Abgründe in der Seele
hatte.
Der Hitchcock-Film lebt durch den
Kontrast zwischen dem schönen Lügner und Verführer Johnny auf der einen Seite und
der unschuldigen, naiven Lina auf der anderen, die erst allmählich zu ahnen
beginnt, wer Johnny wirklich ist, in den sie sich so heillos verliebt hat.
Biblisch ausgedrückt, ist Johnny Luzifer,
der in der idyllischen Landschaft von Sussex, also einem zweiten Paradies, die
unschuldige Eva verführt. Die eigentliche Verführungsszene findet tatsächlich unter
einem Baum auf einer Anhöhe statt, wohin Johnny die blonde Christin, die
eigentlich mit ihren Eltern in die Kirche gehen wollte, geführt hatte.
Wenn man noch weiter gehen will,
dann kann man natürlich noch eine tiefere Schicht entdecken: Hinter dem Namen „Johnny“
verbirgt sich der Evangelist Johannes, der hier gleichgesetzt wird mit einem Erzähler
von „unterhaltsamen Lügengeschichten“, wie es sein naiver Freund Beaky einmal
ausdrückt.[1] Hinter dem Namen „Lina“ erkennt
man die „große Sünderin“ Magdalena. Von beiden heißt es in der Bibel, dass sie
der Herr „liebte“. Hitchcock vertauscht die Charaktere: er macht aus dem Jünger
den Bösewicht und aus der Sünderin die „Unschuld vom Lande“, die „von einem
Manne nichts wusste“, bevor sie von Johnny verführt wurde.
Der in einem Jesuiteninternat
erzogene Brite spielt in seinen Filmen gerne mit biblischen Bildern und
verdreht sie dabei in ihr Gegenteil, wie ich bereits in meiner Kritik des Films
„Vertigo“ herausgefunden habe.[2] Dabei spielt er geschickt
auf der Tastatur der psychologischen Manipulation, so dass der Zuschauer zum
Schluss regelrecht verwirrt ist und Wahrheit von Unwahrheit nicht mehr
unterscheiden kann.
Das ist genau die Absicht
Ahrimans, der für mich der wahre Inspirator des Filmregisseurs ist.
Alfred Hitchcock wurde nach dem
Krieg nach Deutschland gerufen, um die Leichen aus den Konzentrationslagern zu
filmen und den Deutschen das ganze Ausmaß der Verbrechen zu zeigen, die die
Nationalsozialisten verübt hatten. Natürlich hatten diese „Dokumentationen“ das
Ziel, die Deutschen, die von ihrem Führer verführt worden waren, aufzurütteln. Ob
Hitchcock dabei aber bei der Wahrheit geblieben ist, darf bezweifelt werden. Hat
er wirklich Leichen aus den deutschen Konzentrationslagern gefilmt, oder hat er
auch hier seine Bilder zur Manipulation des Publikums eingesetzt, wie wohl die
Vorgabe lautete? Den Deutschen sollte durch solche Filme für immer ein
unauslöschliches Schuldgefühl „eingeimpft“ werden.
Das passiert auch in „Suspicion“:
Zum Schluss des Films fühlt sich Lina als die eigentlich Schuldige, weil sie
ihren Mann zu Unrecht verdächtigt hatte und ihr Verdacht nur auf falschen
Vorstellungen beruhte, die sie sich durch die spärlichen Fakten, die sie hie
und da aufschnappte, selbst zusammengereimt hat. Nur in ihrer Fantasie war
Johnny der potentielle Mörder, in Wirklichkeit aber ein grundehrlicher Mann. Das
hatte er bei ihrer ersten gemeinsamen Autofahrt tatsächlich offenbart, als er
ihr ehrlich seine Liebe gestand. Auf diesem Bild baute sie ihre ganze Beziehung
auf, die dann immer mehr Brüche bekam, weil sie in ihre eigenen
Wahnvorstellungen geriet.
Alfred Hitchcock trieb bereits in
dem frühen Film sein diabolisches Spiel mit den Gefühlen der Zuschauer, das er es
schließlich in reiner Perfektion beherrschte, als er in den 60-er Jahren seine
Meisterwerke „Psycho“ und „The Birds“ schuf.
"Suspicion" war nach „Rebecca“
(1940) der zweite Film, den Hitchcock in Hollywood realisierte. Wieder spielte Joan
Fontaine die weibliche Hauptrolle. Für ihre Rolle der Lina in „Suspicion“
erhielt sie sogar einen Oscar. Zum ersten Mal arbeitete Hitchcock mit Cary
Grant zusammen, der im Jahr zuvor in drei Filmen positive Charaktere gespielt
hatte, meistens treue Ehemänner. In „Philadelphia Story“ (Die Nacht vor der
Hochzeit) von George Cukor kehrt er zu seiner geschiedenen Frau (Katherine
Hepburn) zurück, die sich gerade wieder verheiraten will, in „My Friday Girl
(Ein Mädchen für besondere Fälle) von Howard Hawks heiratet er eine geschiedene
Reporterin (Rosalind Russell) und in „My Favorite Wife“ (Meine Lieblingsfrau)
von Leo McCarey findet er nach langer Suche seine bei einem Schiffsunglück verschollene
Ehefrau (Irene Dunne) wieder. Hitchcock, der später noch einige
wichtige Filme mit ihm drehte („Notorious“, „North by Northwest“ und „To Catch
a Thief“), besetzt Cary Grant zum ersten Mal gegen sein Image des sauberen
Liebhabers und wirft in seinem Film den schrecklichen Verdacht auf ihn, ein
Mörder und Erbschleicher zu sein.
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