Ich bin ziemlich überrascht, wenn
ich mir bewusst mache, dass es dieses Jahr schon wieder dreißig Jahre her ist,
dass die Berliner Mauer fiel. Gestern zeigte Arte aus diesem Anlass die
deutsche Komödie „Good Bye, Lenin!“ von Wolfgang Becker aus dem Jahr 2003, die ich
nun bestimmt schon zum vierten Mal gesehen habe. Immer wieder entdecke ich
Neues.
Mir ist klar geworden, warum
dieser Film bis heute „funktioniert“: er ist einerseits eine Art Zeitdokument
zur „Wende“, andererseits eine ausgesprochen rührende Familiengeschichte, in
deren Mittelpunkt Mutter (Christiane) und Sohn (Alex) stehen. Diese Geschichte
wird menschlich dargestellt und ist zugleich mehrschichtig. Zeitgeschichte, so
heißt es in der Wikipedia-Kritik[1], verbindet sich mit
Familiengeschichte.
Auch das Motiv des ersten
deutschen Menschen im All, mit dem der Film im Jahre 1978 einsetzt und mit dem er
im Jahr 1990 endet, funktioniert als Klammer der Geschichte: Siegfried Jähn ist
sozusagen ein Ersatz für Alex‘ Vater, der in jenem Jahr „Republikflucht“
begangen hat, um in Westberlin als Arzt weiterzuarbeiten. Auch die Mutter
findet in der „sozialistischen Gesellschaft“ der DDR einen „Ersatz“ für ihren
Mann.
Als die Mutter bei einem „Montagsspaziergang“
der DDR-Bürger kurz vor dem Fall der Mauer einen Herzinfarkt erleidet und für
acht Wochen ins Koma fällt, ist es ein Schock für die Familie.
Das Schicksal will es, dass Alex
ausgerechnet dadurch Lara, eine russische Krankenschwesternschülerin
kennenlernt, die seine Mutter im Krankenhaus versorgt. Alex besucht daraufhin
die Mutter immer dann, wenn Lara Dienst hat.
Als sich das Liebespaar im
Krankenzimmer der Mutter zum ersten Mal küsst, erwacht Christiane überraschend
aus dem Koma. Nun beginnt der eigentlich Hauptteil des Films, als Alex mit Rücksicht
auf die Mutter, die die Wende während ihres Komas verschlafen hat, versucht, die
alte DDR zu rekonstruieren, damit sie durch die neuen, kapitalistischen Verhältnisse in ihrem geliebten sozialistischen
Staat nicht noch einmal einen Schock erleidet und erneut ins Koma fällt. Dabei
muss Alex zu immer raffinierteren Tricks greifen. Zusammen mit seinem West-Freund
Denis produzieren die beiden Fernsehtechniker am laufenden Band „Fake News“ von
gestern.
Das ist einfach nur witzig und zeigt dennoch auf, wie leicht es einem Filmbegeisterten gelingen kann, die Zuschauer zu manipulieren: Die DDR entsteht im Studio – wie vermutlich einst die Mondlandung.
Das ist einfach nur witzig und zeigt dennoch auf, wie leicht es einem Filmbegeisterten gelingen kann, die Zuschauer zu manipulieren: Die DDR entsteht im Studio – wie vermutlich einst die Mondlandung.
Vielleicht ist es kein Zufall,
dass dabei zweimal Filme von Stanley Kubrik zitiert werden: „A Space Odissey“
und „Clockwork Orange“. Insider vermuten schon lange, dass der britische
Meisterregisseur, dessen letzter Film „Eyes Wide Shut“ auf sein ausdrückliches
Verlangen hin ausgerechnet am 16. Juli 1999, also auf den Tag genau am 30.
Jahrestag des Starts von Apollo 11 zum Mond, in die Kinos kam, die fünf aufeinanderfolgenden
„Mondlandungen“ von 1969 bis 1972 in einem Filmstudio inszeniert hat. Der
Schweizer Autor und Raumfahrtexperte Andreas Märki bringt dafür in seinem Buch „50
Jahre Apollo 11 Mondf(l)üge“ überzeugende Fotobeweise.
Vielleicht ist es auch kein
Zufall, dass ausgerechnet die Bewohner der neuen Bundesländer heute den Medien
mit Misstrauen begegnen und das Wort von der „Lügenpresse“ aufbrachten.
Grotesk wird es in dem Film, wenn
die Entwicklung geradezu umgedreht wird und, um den Ausspruch von Karl Marx zu
variieren, die Geschichte von den Füßen auf den Kopf gestellt wird: Nicht die
Bürger der DDR sind 1989 in den Westen geflohen, gaukeln Alex und Denis der
Mutter vor, sondern Bundesbürger in das bessere Deutschland, die DDR. Ja, es
wird sogar angedeutet, dass wegen der vielen Flüchtlinge der Wohnraum in
Ostberlin knapp geworden sei. Das Gegenteil war während der Wende der Fall.
Wie stark sich die ehemalige DDR
in kürzester Zeit tatsächlich unter dem Einfluss der Westwirtschaft verändert
hat, zeigt der Film auch. Lothar de Maiziere, der erste frei gewählte Ministerpräsident
der DDR, traf den Nagel auf den Kopf, als er den Wandel mit einem einzigen Satz
charakterisierte: „Im Westen wurden lediglich die Postleitzahlen geändert, im
Osten das ganze Leben.“
Der Schock sitzt vielen
Ostdeutschen heute noch ähnlich tief in den Knochen, wie er wohl Christiane
getroffen hätte, wenn Alex die Realität nicht „ein wenig“ geschönt hätte. Manche
Ostdeutsche, die in ihrer alten Heimat geblieben sind und der DDR nachtrauern,
dürften in einen ähnlich komatösen Zustand versunken sein, aus dem sie jetzt
erst – zum Teil mit Hilfe der AfD – zu erwachen scheinen.
Wir werden erleben, welche neue Wende
die Landtagswahlen in den östlichen Bundesländern in wenigen Monaten bringen werden.
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