Mittwoch, 27. Mai 2020

Zwei Filme - "Der letzte Zug von Gunhill" von John Sturges (USA 1959) und "Die Dinge des Lebens" von Claude Sautet (1970)




Am Sonntagabend (24.05.2020) sah ich zwei großartige Filme auf Arte:
Zuerst zeigte der Sender den Westernklassiker „Der letzte Zug von Gun Hill“ (Last Train from Gun Hill) von John Sturges aus dem Jahr 1959 mit Kirk Douglas als Marshall Matt Morgan und Anthony Quinn als Rinderbaron Craig Belden. Die beiden ehemaligen Freunde können nicht aus ihrer Haut und folgen den Mustern, die die amerikanische Gesellschaft (oder Hollywood) in solchen Fällen vorgibt. Der einzige, aber missratene Sohn Rick des Rinderbarons (Earl Holliman) vergewaltigt und tötet unter Alkoholeinfluss zusammen mit einem Kumpel die junge Frau des Marschalls, eine Indianerin, als diese mit ihrem neunjährigen Sohn Pete auf dem Einspänner gerade auf dem Heimweg durch ein Wäldchen muss. Sheriff Morgan, der die Initialen C.B. auf dem Sattel des Pferdes, mit dem der überlebende Pete in die Stadt geritten kam, schnell als die des allseits bekannten mächtigen Rinderbarons Craig Belden erkennt, macht sich mit dem Zug auf den Weg nach Gun Hill, einer Stadt, die ganz unter dem Einfluss von Craig Belden steht, der sogar den Sheriff „bezahlt“.
Zuerst freuen sich die beiden noch, als sie sich wiedersehen. Als Craig Belden klar wird, dass Matt Morgan nicht von seinem Vorhaben ablassen will, seinen Sohn zu verhaften und vor ein Gericht zu stellen, gerät er in einen inneren Konflikt: Gerechtigkeit oder Blutskräfte? Zum ersten Mal kommt der Mächtige an seine Grenzen, denn er hat einen aufrechten Mann als Gegner, der seinen Plan gegen alle durchführen will (und der ihn schließlich auch durchführen kann): Er will mit den beiden Mördern seiner Frau den letzten Zug von Gunhill, der abends um 9.00 Uhr abfährt, nehmen. Nun kommt es unmittelbar am Bahnhof, in den der Zug schon einfährt, zum spannenden Showdown. Der Kumpel Rick Beldens, Lee Smithers, schießt aus dem Hinterhalt auf Matt Morgan, der mit Rick als Geisel auf einem Einspänner vom Hotel, in dem er sich verschanzt hatte, stehend zum Bahnhof gefahren war, und trifft nicht den Sheriff, sondern seinen Kumpel Rick. Dennoch gibt Craig Belden nicht auf und fordert Matt Morgan noch am Bahnhof zum Duell heraus. Der Sheriff ist der bessere Schütze und so bleibt der Mächtige tot auf dem Bahnsteig zurück. Die Gerechtigkeit hat über die Blutskräfte gesiegt, das Gesetz über das Geld.
Der Film ist eine Variation des Themas von „Zwölf Uhr mittags“, der sieben Jahre früher stilprägend war: wieder steht ein einziger Aufrechter ganz allein gegen eine ganze Stadt, die aus Angst vor dem mächtigen Rinderbaron nichts unternimmt, um ihm zu helfen. Nur Linda (Carolyn Jones), eine ehemalige Prostituierte und zeitweise Geliebte von Craig Belden, hat den Mut, Matt heimlich ein Gewehr ins Hotelzimmer zu schmuggeln, weil sie seine Aufrichtigkeit bewundert. So rettet sie dem Sheriff das Leben.

Wie ich eben aus Wikipedia erfuhr, hieß Matt Morgans junge indianische Frau Catherine, gespielt von der israelischen Schauspielerin Ziva Rodann (geboren 1933). Catherine (Lea Massari) hieß in dem Film „Les Choses de la vie“, der im Anschluss als Programmänderung im Gedenken an den verstorbenen Michel Piccoli von Arte ausgestrahlt wurde, auch die Ehefrau von Pierre Berard (Michel Piccoli), einem wohlhabenden Architekten, der sich mit einem mächtigen Auftraggeber anlegt. Pierre lebt mit der jüngeren Helene (Romy Schneider) zusammen, kann sich jedoch noch nicht ganz für seine Geliebte entscheiden, weil er offenbar noch an seiner Frau hängt, die zwar etwas älter, aber auch sehr schön ist. Auf einer Fahrt nach Rennes ringt er mit sich selbst, schreibt zunächst einen Brief, um sich von Helene zu trennen, schickt diesen jedoch nicht ab, sondern lässt ihr in einer plötzlichen Aufwallung der Gefühle telefonisch ausrichten, dass er sie in einem Hotel in Rennes „sehnsüchtig“ erwarten würde. Während der Fahrt nach Rennes verunglückt er tödlich. Die Sequenz des Autounfalls, die immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln und in Zeitlupe, dann einmal auch in Echtzeit, eingeblendet wird, wurde aufwendig an zehn Drehtagen durch den „Cascadeur“ Gerard Streiff gefilmt. Sie ist gewiss der filmische Höhepunkt des Films, zumal sie gemischt ist mit Erinnerungsfetzen aus Pierres Vergangenheit mit seiner Frau Catherine und seinem Sohn Bertrand auf der Ile de Re und seinen Zukunftsvisionen von der Hochzeit mit Helene.
Der Drehbuchautor des erfolgreichsten Films des Regisseurs Claude Sautet, Jean-Loup Dabadie, der auch Chansons für bekannte französische Sänger und Sängerinnen (zum Beispiel Juliette Greco) geschrieben hat, ist gestern (am 24. Mai)mit 81 Jahren in einem Pariser Krankenhaus gestorben und seinem Kollegen Michel Piccoli nachgefolgt.



Ein paar Tage später musste ich noch einmal an die beiden Filme denken, die ich am Sonntagabend auf Arte sah. Ich hatte sie zwar in groben Zügen beschrieben, aber noch kein „Urteil“ über sie gefällt. Beide Filme sind natürlich gut gemacht. Aber ich kann nicht sagen, dass sie Kunstwerke sind.

Warum?
Zu einem Kunstwerk gehört immer Vielschichtigkeit. In „Last Train from Gunhill“ USA, 1959) bleiben die Charaktere sich selber treu und verharren daher in dem alttestamentarischen Modus des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Diese Eindeutigkeit ist auf ein großes, meist jugendliches amerikanisches Publikum zugeschnitten, das klare Botschaften braucht. Eine etwas differenziertere Schilderung der Charaktere hätte es irritiert.
Im Grunde ist es bis heute nicht anders: Die einfachen Menschen in den USA lieben einfache, eindeutige Botschaften und haben wenig Verständnis für differenziertes Denken. Solche Botschaften vermittelt –  bisher noch vorwiegend über das Massenmedium „Twitter“ – der derzeitige amerikanische Präsident.
Der französische Film „Les choses de la vie“ (1970) zeigt viel von der typischen Einstellung französischer Intellektueller gegenüber dem Leben: Es hat im Grunde keinen Sinn, aber man kann es „verschönern“ (affabuler). Diese Weltanschauung des existentialistischen Nihilismus wird in dem Film in eine schöne Geschichte mit schönen Menschen gepackt, denen kein Happy End vergönnt ist: Michel Piccoli stirbt in dem Film bei einem Autounfall, ohne bisher im Leben irgendetwas auf die Reihe gebracht zu haben. Er hat seine attraktive Frau Catherine  für die jüngere Helene verlassen und man erfährt eigentlich nicht warum. Allerdings weiß man zum Schluss: es war wohl Liebe. Dieses schwebende Gefühl bleibt am Ende in der Seele des Zuschauers zurück, was dem Film eine süße Melancholie verleiht, die die Franzosen lieben.
Auch hier sehe ich eine Parallele zur französischen Gegenwart: Der jugendliche Präsident der Franzosen ist im Grunde eine tragische Gestalt: Ihm gelingt so gut wie gar nichts, aber er lächelt immer gleichbleibend und ewig jung in die Kameras. Es ist der schöne Schein (la "gloire"), der die Franzosen bisher fasziniert hat. Jetzt aber verlangen sie mehr von ihrem Präsidenten und sind mal wieder bereit zu einer Revolution. Aber wohin der Weg gehen soll, das wissen sie genau so wenig wie ihr Präsident.

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