Dienstag, 23. Juni 2020

Höllenfahrt - Gedanken zum Film "Fahrstuhl zum Schafott" von Louis Malle aus dem Jahre 1957




Gestern zeigte Arte den Debütfilm von Louis Malle, bei dem Volker Schlöndorff, der natürlich noch nicht auf meinen Brief geantwortet hat, sein Handwerk gelernt hat: „Fahrstuhl zum Schafott“ (Ascenseur pour l’echafaud) aus dem Jahre 1957, durch den die französische Schauspielerin Jeanne Moreau zum Star wurde. Anschließend wurde das Portrait  „Jeanne Moreau – die Selbstbestimmte“ von Virginie Linhart aus dem Jahr 2017 gezeigt, durch das ich viel Neues über die 1928 Geborene erfuhr, die am 31. Juli 2017 gestorben ist.
Der „perfekt gemachte Thriller“ (Ulrich Gregor) entspricht dem Geist des Existentialismus, bleibt aber von der ersten bis zur letzten Sekunde ansonsten geistlos: er ist intellektuell großartig, ja, aber ohne die geringste Spur von Spiritualität, wenn man davon absieht, dass man durch das Fenster des Büros des Rüstungsunternehmers Simon Carala im obersten Stock des Firmengebäudes auf die „butte Montmartre“ mit Sacre Coeur sehen kann.
Julien Tavernier (Maurice Ronet), Veteran des Indochinakrieges und der engste Mitarbeiter, lebt in einem ehebrecherischen Verhältnis zu Florence (Jeanne Moreau), der wesentlich jüngeren Frau des gewissenlosen Waffenhändlers Carala, hinter dem ich das reale Vorbild Marcel Dassault vermute. Die „Liebenden“ sind sich einig, den störenden Ehemann zu töten. Der Film ist nicht nur völlig geistlos, sondern auch ganz unmoralisch.
Immer mehr entdecke ich, wie die „Nouvelle Vague“, die auch durch Filme wie „Fahrstuhl zum Schafott“ begründet wurde, im Grunde eine ganze Generation geprägt hat, die auch deswegen nicht zum Geist finden konnte, weil sie erst einmal den Intellekt und die eigene Existenz entdecken musste, die Männer in die Politik und die Frauen in die Emanzipation treibend. Hier sehe ich tatsächlich so etwas wie den „Arabismus“ am Werk, der vereint mit der von Juden geleiteten „Kulturindustrie“ (Theodor W. Adorno) okkult gegen das Christentum ankämpfte, das in den 60er Jahren als obsolet angesehen wurde, wovon man bei dem Kölner Schriftsteller Heinrich Böll mehr erfährt, der sich zum Beispiel mit seinem Roman „Ansichten eines Clowns“ (1962) am tatsächlich antiquierten Katholizismus abarbeitete.
Diesen Hintergrund müsste ich einmal genauer aufarbeiten. Vielleicht ist das eine Aufgabe, die ich noch erfüllen muss.
Im geistigen Hintergrund der neueren Filmindustrie, die von so genialen Meistern wie Louis Malle, Michelangelo Antonioni, Francois Truffaut und Orson Welles angeführt wurde, leuchtet, wie mir durch den englischen Beitrag in Facebook, den ich vor kurzem zitiert habe (https://www.facebook.com/Cosmopolitancitizens/posts/909428919469768), klar wurde, die vor allem in Frankreich populäre Dominanz des Cartesianismus, des „Cogito, ergo sum“, auf, dem man das christliche „Amo, ergo sum“ an die Seite stellen müsste, um die ganze Wahrheit zu erhalten. Rene Descartes war, wie ich dem Beitrag staunend entnahm, der wiedergeborene mittelalterliche arabische Philosoph Averroes (Ibn Ruschd), für den es keine unsterbliche Seele gab.
So läuft auch der ganze Plan der beiden Liebenden, die ihr Glück mit einem Mord begründen wollen, ins Nichts. Gespiegelt wird die Geschichte des großbürgerlich-mörderischen Liebespaares Julien und Florence von dem kleinbürgerliche Liebespaar Veronique und Louis, die Julien Taverniers Auto klauen, einen Ausflug mit ihm machen, sich ein Autobahnduell mit einem deutschen Touristenpaar leisten, das mit einem schnellen Mercedes Sportwagen fährt und dieses schließlich in einem Motel, in das die Deutschen das junge Pärchen eingeladen haben, mit der Pistole Juliens, die die Autodiebe im Handschuhfach des gestohlenen Wagens gefunden haben, ermorden.
Im Hintergrund des Films spielt die Beziehung Deutschlands zu Frankreich eine nicht unwichtige Rolle. Das wird vor allem an zwei Beispielen der überlegenen deutschen Technik demonstriert: die Mikro-Kamera und der PS-starke Mercedes-Sportwagen. Die Minolta, die Veronique im Auto Juliens vorfand, liefert zum Schluss in den frisch entwickelten Fotos das Beweismaterial, mit dem die Kommissare Lino Ventura und Charles Denner sowohl das kleinbürgerliche Pärchen, als auch Julien und Florence wegen Mordes überführen können.
Der Film, der mit einer Großaufnahme auf das Gesicht von Florence begann, endet mit dem Blick auf ein Foto, das das ehebrecherische Liebespaar im heimlichen Glück vereint sieht. Diese verbotene Liebe, die sicher echt war, zerstören die beiden selbst durch ihren gemeinsam ausgeheckten teuflischen Plan.
Ja, so sehr ich Jeanne Moreau als Schauspielerin verehre, so sehr erscheint sie mir in vielen ihrer Filme doch als „Teufelin“. Die Anstiftung zum Mord geht in „Fahrstuhl zum Schafott“ vor allem von ihr aus. Auch in Truffauts genialem Film „Jules et Jim“, der Jeanne Moreau 1962 als Sängerin berühmt machte, spielt sie selbstbewusst mit der Liebe zweier Freunde und in Louis Bunuels „Tagebuch einer Kammerzofe“ verführt sie als Dienstmädchen nicht nur den älteren Hausherrn, sondern auch den Gärtner, der von Michel Piccoli gespielt wird.
In dem Porträt von Virginie Linhart begründet sie einmal, warum sie sich als erfolgreiche Theaterschauspielerin der 50er Jahre mit „Fahrstuhl zum Schafott“ für den Film entschieden habe, mit dem Ausspruch, sie „wollte aus dem Schatten ans Licht“ treten. Das ist doppelt ironisch gemeint, denn der Erstlingsfilm von Louis Malle spielt vorwiegend in der Nacht, wurde jedoch mit natürlichem Licht auf besonders lichtempfindlichen Film aufgenommen. Jene Nacht von Samstag auf Sonntag ist eine wahre Walpurgisnacht, wie wir sie auch am vergangenen Wochenende in Stuttgart erlebt haben, als 400 bis 500 Jugendliche – zumeist mit Migrationshintergrund – nach einer Polizeikontrolle wegen Drogenbesitzes, die Polizisten angriffen und Geschäfte plünderten. Die „Explosion der Gewalt ist seit Sonntag Hauptgesprächsthema in Deutschland.
Die Nacht von Samstag (Sabbat) auf Sonntag kann man auch symbolisch verstehen und ich denke, die Drehbuchautoren Louis Malle und Roger Nimier haben diese Nacht nicht zufällig gewählt. Julien muss die ganze Nacht in einem Fahrstuhl verbringen, weil er noch einmal ins Firmengebäude zurückgekehrt war, um ein Seil, mit dem er ins oberste Stockwerk zum Firmenchef Carala gelangt war, und das er vergessen hatte, zu beseitigen und dabei stecken blieb, weil der Hausmeister zu der späten Stunde den Strom abgeschaltet hat.
Wenn ich oben sagte, der Film habe keine spirituelle Seite, so muss ich mich jetzt korrigieren: Die Nacht von Samstag auf Sonntag ist archetypisch mit dem christlichen Karsamstag verbunden, als der Gekreuzigte „im Tod der Beistand der vor ihm gestorbenen Seelen wurde“, wie es im Credo heißt. Die nur im Nikodemus-Evangelium überlieferte „Höllenfahrt“, die in christlichen Zusammenhängen der Erlösung der vorchristlichen Seelen diente, wird in „Fahrstuhl zum Schafott“ umgedeutet zu einer wirklichen Höllenfahrt, denn sie bedeutet für die Liebenden Julien und Florence, nicht wie für Adam und Eva, die Erlösung beziehungsweise die Erfüllung ihres Glücks, sondern eine mehrjährige Gefängnisstrafe, wenn nicht sogar den Tod, wenn man den Titel des Films wörtlich nimmt.
Der Ausspruch von Jeanne („Johanna“) Moreau, dass sie „aus dem Schatten ins Licht“ treten wollte, hat mich berührt, denn auch ich wollte das immer. Ich wollte zuerst Filmschauspieler, später Filmregisseur werden. Diesem Streben sind seit etwa zehn Jahren auch zum Beispiel all meine Veröffentlichungen im Internet (Weblogs und Facebook) und zuletzt der Versuch, mein Corona-Tagebuch zu veröffentlichen, geschuldet.
Ein gnädiges Schicksal hat mich nun belehrt, dass es für mich diesen Weg, den Jeanne Moreau erfolgreich gehen durfte, nicht gibt.
Ich muss im Schatten bleiben, darf aber vielleicht dafür das wahre Licht erfahren.

Hiermit schließe ich auch diesen Weblog.

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