Sonntag, 2. Februar 2020

Über die Faszination des Bösen - Oliver Stones Film "Natural Born Killers" aus dem Jahre 1994



Jeff Bezos mit seinem kahlen Haupt und seiner Hakennase ist mir unheimlich.
Das kann natürlich an der Dokumentation „Die ganze Welt im Pappkarton“[1] liegen, die vielleicht ein einseitiges Bild von ihm zeichnen wollte. Aber seine Augen und sein falsches Lächeln verfolgen mich immer noch. Er hat an der Wallstreet als Broker gearbeitet, bevor er sich 1994 in einer Garage in Seattle niederließ und einen Bücherhandel begann. Heute gehören ihm 20 Prozent der Innenstadt der Metropole an der Westküste der USA. Die Zentrale seines Imperiums, ein Büroturm mit spiegelnder Glasfassade, hat er „Day One“ genannt, also „erster Tag“. Spielt der Mann, dessen religiöser Hintergrund  nicht wirklich klar ist[2], auf die sieben Schöpfungstage an?
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ (Gen, 1 – 5).
Gestern (01.02.2020) fiel es mir ein, mit Lena einen Film anzuschauen, der als DVD zufällig auf meinem Fernsehtisch lag, weil ich ihn schon einmal bereit gelegt hatte. Lena fand den Film „krank“, drehte sich nach einer halben Stunde um und schlief. Ich schaute ihn zu Ende. Es handelt sich um Oliver Stones bitterböse Mediensatire „Natural Born Killers“ aus dem Jahr 1994, die ich Anfang 1995 mindestens dreimal allein im Kino sah. Damals war ich wie berauscht von dem Film, ja, man kann sagen, geradezu süchtig. Die Musik – allein drei Songs von Leonard Cohen – die Bilderflut, die beiden Hauptfiguren Mickey und Mallory, die obwohl sie innerhalb von drei Wochen 52 Menschen entlang der Route 666 umgebracht hatten, dennoch ungemein sympathisch gezeichnet werden, das alles sah ich nun gestern mit meiner schlafenden Lena an der Seite wieder – abermals allein. Dieses Mal hatte ich mehr Distanz und die Bilder entfalteten nicht die magische Wirkung wie 1995 im Kino.
Der Film, dessen Drehbuch auf eine Story von Quentin Tarantino zurückgeht, passt in meine derzeitige Beschäftigung mit dem Bösen. Der spätere Regisseur von „Inglourious Basterds“ aus dem Jahre 2009 hatte schon immer ein Faible für das Böse, genau wie der andere große Regisseur, der in einigen seiner Filmen das Böse zum Thema gemacht hat: Roman Polanski. Jetzt steht Tarantinos neunter Film, „Once upon a Time – in Hollywood“ mit sechs Nominierungen zur Oscar-Wahl in wenigen Wochen. Bei diesem Film berühren sich die beiden Meisterregisseure des Kinos zumindest thematisch: Es geht um jene Nacht im August 1969, als die Mörderbande von Charles Manson die schwangere Frau des Regisseurs Polanski bestialisch umgebracht hat. Charles Manson wird auch in „NBK“ immer wieder erwähnt, wenn es um berühmte amerikanische Killer geht.
Woody Harrelson, der in dem Film den Killer Mickey spielt, rasiert sich vor dem großen Showdown das Haar wie ein buddhistischer Mönch oder ein japanischer Ninja-Kämpfer.[3] Das blutige Finale beginnt mit einem Live Fernsehinterview aus dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses, in dem Mickey und Mallory (Juliette Lewis) in Einzelzellen untergebracht sind, und ufert in eine „Reality-Show“ blutigster Art aus, bei der der publikumsgeile Moderator Wayne Gale (Robert Downey Jr.) am Schluss von den beiden hingerichtet wird. Er bettelt zunächst noch um sein Leben, weil er weiß, dass M&M immer einen laufen lassen, damit sie als Zeugen vom Geschehen berichten können. Dieses Mal aber machen sie eine Ausnahme: Mickey zeigt nur auf die am Boden stehende laufende Kamera, die alles live überträgt: Es bedarf keines menschlichen Zeugen mehr.
Zum Schluss sieht man das Massenmörderpärchen, das vom Publikum geliebt wird, ein paar Jahre später in einem Wohnmobil durchs Land fahren: die schwangere Mallory schaut ihren beiden Kindern beim Spielen zu. Ironie der Geschichte: die Kinder werden vermutlich – ganz im Gegensatz zu ihren Eltern – eine glückliche Kindheit erleben dürfen, wenn Mickey und Mallory nicht doch noch gefangen werden.
Robert Downey Junior (geboren am 4. April 1965)[4], der Darsteller des TV-Moderators, war 1994 schon ein berühmter Schauspieler, nachdem er 1992 in dem Film „Chaplin“ von Richard Attenborough den genialen Komiker verkörpert hatte. Heute gilt er als bestbezahlter Filmschauspieler und als „Hollywoods heimlicher König“ (Bildzeitung vom 01.02.2020) und tourt gerade mit dem Kinderfilm „Die fantastische Reise des Dr. Doolittle“ durch die Welt. Der Bild-Kolumnist Norbert Körzdörfer, der bei dem Blatt für die Stars zuständig ist, hat ihn in Berlin im Waldorf-Astoria getroffen und mit ihm die meditative asiatische Kampfkunst „Wing Kung Fu“ geübt.
2008 ist Robert Downey jr. als Comic-Held „Ironman“ in dem gleichnamigen Film berühmt geworden und seitdem eine Ikone Hollywoods. Ich habe diesen Film nicht angeschaut und werde es wohl auch nicht mehr tun.

Der Moderator der Live-Sendung „American Maniacs“ fragt Mickey beim Interview ganz unvermittelt, ob er an Wiederverkörperung glaube. Mickey nickt fast beiläufig, so als sei das für ihn eine Selbstverständlichkeit. Von daher wird auch verständlich, wenn er Mallory gegenüber immer wieder von „Schicksal“ spricht, so gleich zu Beginn, als sie sich kennenlernen. Solche Fragen nach dem tieferen Sinn des Lebens stellt Oliver Stone in allen seinen Filmen. Auch in dem ästhetisch wohl extremsten Film des Regisseurs – er bedient sich der Schnitttechnik von „MTV“ und „Viva“, stilprägenden Vorläufern von Youtube mit den heute jederzeit verfügbaren Musik-Video-Clips –  tauchen aus dem Lärm und der Bilderflut immer wieder solche Fragen auf. So zum Beispiel auch in jener Szene, als die beiden auf ihrer Flucht zu einem indianischen Schamanen kommen, der ganz klar sieht, dass Mickey und Mallory von einem Dämon besessen sind. Als Wayne Gale Mickey später fragt, was diesen Dämon heilen könnte, sagt er nur ein Wort: „Liebe“.
Ich glaube, dass Oliver Stone den Namen des Killers nicht zufällig gewählt hat: Mickey erinnert gleichzeitig sowohl an die Comic-Figur Mickey-Mouse als auch an den Erzengel Michael. Mallory sagt in einer Szene, dass sie beim Betrachten des sternenglänzenden Nachthimmels die Engel sehen könne.
Immer mehr wird dem Zuschauer klar, dass die beiden Killer auf einer Art Mission sind: sie halten den Menschen einen Spiegel vor und offenbaren ihre geheimsten Emotionen, ihren Hass und ihre Wut. Was die biederen Amerikaner nicht zu tun wagen, sondern nur im Kino oder am Fernseher „genießen“, das vollziehen die beiden im "wahren Leben" und werden dadurch zu wahren TV-Kultfiguren.
Auch die Zahl, die immer wieder eingeblendet wird, deutet auf einen geistigen Hintergrund: 666 ist die Zahl des ersten Tieres aus der Johannes-Apokalypse (Off. 13, 1ff). Immer wieder wird eine Apparatur dieses seine Köpfe schwingenden Tieres mit eingeblendet oder mit anderen Szenen überblendet.
Nicht die beiden Killer, sondern die medial verseuchte amerikanische Gesellschaft sind die eigentlich „Besessenen“, allen voran Wayne Gale, der das Verbrechen geradezu herausfordert und damit Geld verdient.[5] Das beruht auf der Lust der TV-Gemeinde an Mord und Totschlag. Es zeigt eine menschliche Gesellschaft in der Endphase der Zivilisation, in der das Leben selbst keinen Sinn mehr macht, in der es nur noch mit Gewaltdarstellungen, Reality-TV und Soap-Operas erträglich ist. Im Grunde erzählt der Film von uns. Nicht nur Mickey und Mallory sind von einem Dämon besessen, sondern ein Großteil der „medienverseuchten“ Gesellschaft. Nicht nur hier kündigt sich die Ankunft Ahrimans an. Im Grunde ging es 1968 los, als Roman Polanski in seinem Klassiker „Rosemarys Baby“ die Geburt Satans im New Yorker „Dakota-House“ filmte.
30 Jahre später erscheint das Gesicht von Jeff Bezos in den Medien und der Mann wird einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt.
Mich erinnert er mit seinem kahlgeschorenen Haupt und seinem stechenden Blick nicht nur an Mickey Knox aus „Natural Born Killers“, sondern noch viel mehr an einen der wirkmächtigsten Magier des 20. Jahrhunderts, an den Georgier Georgij Ivanovitsch Gurdijeff (1866 oder 1877 – 1949).[6]

Heute ist das erste „palindromische Datum“ seit 900 Jahren. Man kann es von vorne und von hinten lesen: 02.02.2020. Die Zahl „zwei“ ist die Zahl des Bösen schlechthin, weil sie von der Polarität Luzifer-Ahriman handelt. Erst die Zahl „drei“ ist eine göttliche Zahl. Mit der zwei sind die beiden Hörner des zweiten apokalyptischen Tieres (aus der Erde, Off. 13, 11ff)) gemeint, aber vielleicht auch die beiden WTC-Türme in New York, die am 11. September 2001 Gegenstand eines Jahrhundert-Attentats waren, das bis heute tausenden von Menschen das Leben kostet.
Heute ist aber auch Mariä Lichtmess, der Tag, an dem sich die Mutter Gottes nach 40 Tagen „Wochenbett“ wieder in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Das Licht gewinnt ab diesem Termin wieder deutlich an Kraft.
Ich habe jetzt begonnen, mein (Film-) Tagebuch aus dem Jahr 1970, das ich endlich gefunden habe, abzutippen. Die erste Seite habe ich auf ein Foto geklebt, das aus dem Film „Tanz der Vampire“ von Roman Polanski stammt, den ich am Dienstag, den 30. Dezember 1969 im Ellwanger Regina-Kino zum ersten Mal gesehen hatte.
Dort steht (leider ohne Quellenangabe):
„Der Berliner Goldbärengewinner, Regisseur Roman Polanski („Wenn Katelbach kommt“), regiert zur Zeit im Elstree-Studio bei London über eine Unzahl schrecklicher Vampire. Er dreht dort die Horror-Komödie ‚The Vampire Killers‘ und spielt darin selbst eine wichtige Hauptrolle (auf unserem Foto mit dem ‚Katelbach‘-Darsteller Jack MacGowran). Der Film berichtet von zwei Männern, die im Phantasieland Transylvanien alle dort ansässigen Vampire ausrotten und die schöne Sarah (US-Neuentdeckung Sharon Tate) retten wollen. Polanski will mit dem für 5,6  Millionen Mark erstellten Blutsauger-Lustspiel (seinem ersten amerikanischen Film übrigens) nach seinen eigenen Worten ‚dem Publikum nur Spaß bereiten‘ und keine tiefenpsychologische Studie bieten.“
Diesen Zeitungsausschnitt las ich heute Morgen. Er stammt aus der Zeit der Dreharbeiten des Films, also lange vor August 1969, als die „US-Neuentdeckung“, die Polanski und MacGowran „retten wollen“ zusammen mit anderen Gästen in Polanskis Villa ermordet wurden. 
Was mich immer bewegt hat, war der Schluss des Films, der nicht nur vom Titel her an Stones „Natural Born Killers“ erinnert: die angeblich gerettete Sarah (Sharon Tate) verwandelt sich in einen Vampir und beißt im Schlitten, mit dem die beiden Vampirjäger nach der vermeintlichen Vollendung ihrer Mission zufrieden zurückfahren, Professor Abronsius‘ Assistenten Alfred (gespielt von Roman Polanski selbst), in den Hals. Über der Landschaft erscheint die Schrift, die immer wieder einen geheimen Grusel in meiner Seele erzeugt:

„In jener Nacht wusste Professor Abronsius noch nicht, dass er das Böse, das er für immer zu vernichten hoffte, mit sich schleppte. Mit seiner Hilfe konnte es sich endlich über die ganze Welt ausbreiten.“
Ich glaube tatsächlich, dass Polanski 1966 nicht nur für viel Geld einen Klassiker des Kinos – der inzwischen sogar zu Musical-Ehren gekommen ist – gedreht hat, sondern dass er – vielleicht ohne es zu ahnen – das Böse „in die Welt“ gebracht hat.

Natürlich weiß ich, dass das Böse seit dem Sturz der Geister der Finsternis im November 1879 tatsächlich in den menschlichen Seelen zu wirken versucht, aber es hatte wohl eine Inkubationszeit von knapp 100 Jahre gebraucht, bis „der Virus“ wirklich via Kino (und Fernsehen) die Menschen seelisch ergriff, die sich nicht mit Hilfe der Geisteswissenschaft schützen konnten. Nicht zufällig wurde Roman Polanskis hübsche Frau Sharon Tate am 9. August 1969 Opfer jenes fürchterlichen Mordes, der die ganze Welt erschütterte, und der, wie gesagt, nun Gegenstand des neuesten Films von Quentin Tarantino ist.



[3] Dadurch ähnelt er ein wenig Jeff Bezos, der allerdings im Jahre 1994 den Schädel noch nicht kahlrasiert trug wie heute.
[5] Auf Wikipedia ist zu lesen: "The character of Wayne Gale, the television host of American Maniacs, functions in the film as a figurehead of lurid true crime television documentaries, which recycle real-life incidents of violence and criminal activity into entertainment for the general public. On several occasions, expressionistic jump cuts featuring Gale as a blood-soaked Satan are interspersed into the film (...)"  https://en.wikipedia.org/wiki/Natural_Born_Killers

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