Eigentlich wollte ich ja am Sonntagabend die aktuelle Folge der Fernsehserie „Tatort“ anschauen, die den Titel „Die
goldene Zeit“ trug. Ich hatte meinen Kursteilnehmern die Aufgabe gestellt, einmal
einen Tatort-Krimi anzuschauen, weil es am vergangenen Mittwoch im 5. Band von „Schritte
Plus“ in der zweiten Lektion um „Lieblingsfilme“ und auch über der Deutschen
liebste Krimiserie ging.[1]
Der albanische Kursteilnehmer
Shaban S., mit dem ich mich in der Pause immer gut unterhalte, erinnerte sich in diesem
Zusammenhang an die deutsche Kommissar-Serie „Derek“, die in der ganzen Welt
lief.
Nun habe ich am Sonntagabend den
Western „Gunfight at the O.K. Corral“ vorgezogen. Dafür habe ich „Die goldene
Zeit“ am Montagvormittag in der ARD-Mediathek angeschaut, was ja nun so leicht möglich
ist.
Ich muss sagen, ich war doch sehr
positiv berührt.
Vielleicht lag es auch daran, dass er von einer Frau (Mia
Spengler) als Regisseurin gemacht wurde. Der Film, der im Hamburger
Rotlichtmilieu spielt, ist am 29. September 2019 beim Filmfest in Hamburg
uraufgeführt und am Sonntag im Ersten Programm zum ersten Mal ausgestrahlt worden.
Dass auch ein rumänischer Junge und einige Albaner mitspielen, ist ein
interessanter Zufall, weil in meinem Kurs auch Rumänen und Albaner, bzw. Kosovaren
sitzen, allerdings vom Wesen her ganz andere als diejenigen, die der Krimi
vorführte.
Ich war gespannt, was sie am Montagabend im Kurs zu dem Film, der die Situation im Hamburger Kiez vermutlich sehr
realistisch darstellt, sagen werden. Natürlich war ich auch deshalb berührt,
weil die Rolle des Kommissars Falke von Wilke Wotan Möhring gespielt wurde, der
mich als Old Shatterhand in der Neuverfilmung von „Winnetou“ vor ein paar
Jahren allerdings nicht so begeistert hat, den ich aber dennoch für einen guten
Schauspieler halte. Es ist schon klar, dass er dem Vergleich mit Lex Barker von
vorneherein nicht standhalten konnte.
Diese Tatort-Folge war Möhrings 13. Rolle
als Kommissar Falke.
Noch beeindruckender war für mich jedoch der
Wiener Schauspieler Michael Thomas (58) als Michael Lübke. Dieser Schauspieler
konnte, wie ich aus der Bildzeitung vom Montag erfuhr, eigene Rotlicht-Erfahrungen
in seine Rolle mit einbringen. Im Bild-Interview sagt er:
„Der Kiez ist mein Herzensort. Hier
bin ich als junger Mann hin. Mit allem, was dazu gehört. Ich habe Sachen
gemacht, die der liebe Gott verbietet. Ich war Türsteher, Boxer. Habe viel
ausgeteilt und noch mehr auf die Fresse bekommen.“
Das muss man schon lieben. Ich
weiß noch, wie ich einmal als 21-Jähriger von Blankenese, wo ich eine Woche
lang in der Villa der Familie Schwanenflügel wohnen durfte, am Pfingstsonntag zum
Hamburger Kongresszentrum in der
Innenstadt zu Fuß gelaufen bin, wo eine große, einwöchige Tagung der
Christengemeinschaft stattfand. Dabei musste ich auch durch Sankt Pauli. Eines
der Freudenmädchen, die auch sonntags arbeiten mussten, hat mich freundlich
angesprochen. Die verführerische, samtweiche Stimme des jungen Mädchens werde
ich nie vergessen. Natürlich habe ich nicht „ja“ gesagt. Ich war nie in meinem
Leben in einem Bordell.
Michael Thomas im Interview
weiter:
„Ich hatte viele Prostituierte
als Freundinnen, die ich für die besten Psychologinnen aller Zeiten halte. Sie
hatten damals das Herz am rechten Fleck. Man neigt dazu, die Vergangenheit zu
romantisieren. Aber es war in den Siebziger-, Achtzigerjahren anders. Die
heutige Entwicklung mit Menschenhandel und Zwangsprostitution verachte ich.“
Im Deutsch-Kurs am Montagabend haben wir über
den „Tatort“ gesprochen. Nur drei von gestern nur 13 Kursteilnehmern
(manche blieben wegen des Sturmtiefs „Sabine“, das an dem Tag über
Süddeutschland hinweg fegte, zu Hause) haben ihn angeschaut, die anderen hatten
irgendwelche anderen Verpflichtungen. So fasste ich selbst die Handlung zusammen: es ging um
einen minderjährigen Rumänen, der im Auftrag eines albanischen Clans aus
Bukarest angereist war, um Johannes Pohl, den Chef eines Bordells umzubringen,
weil dieser das Etablissement nicht an den Albaner-Clan verkaufen wollte. Man hat dem Jungen 2000
Euro versprochen. Dafür hat er das Angebot angenommen, einen Menschen zu töten.
Er wollte seinem Vater in Rumänien mit dem Geld einen Fernseher kaufen.
Der Auftragsmord gelingt, aber
Michael Lübke, der eine Art Bodygard für den Ermordeten war, dessen Vater mit
Demenz im Altersheim sitzt, kommt kurz nach dem Mord dazu und findet neben der Leiche die Jacke
des jungen Täters, die dieser in der Panik zurückgelassen hat. In dieser Jacke
befindet sich das Handy des Jungen und ein Busticket von Bukarest nach Hamburg.
Das Handy nimmt Lübke illegalerweise an sich, das Busticket findet die Polizei später.
Michael Lübke war einst Türsteher im Kiez und wie ein Vater für den jungen Thorsten Falke. Lübke
war so eine Art Sicherheitschef der Familie Pohl, die mit ihrer „GmbH“ ein
Großbordell namens „Lovedome“ (80 Girls, 14 Länder, 5 Etagen) in Sankt Pauli
betreibt, „das letzte Bordell dieser Größenordnung auf dem Kiez“ (Kommissarin
Grosz). Der „Spiegel“ erwähnt den Film lobend in seiner Online-Ausgabe vom 07.02.20
unter dem Titel „Der letzte Lude“.[2]
In meiner Sicht ist der Film eine
Meditation über die vater- und mutterlosen Kinder unserer Zeit: Der rumänische
Junge möchte seinem Vater etwas Gutes tun und mordet dafür in der reichen Hansestadt.
Zum Schluss nimmt ihn die Kommissarin Grosz wie eine Mutter in die Arme. Für Michael
Lübke waren die Pohls wie eine Familie und der alte, jetzt demente Lude für
ihn wie ein Vater. Lübke wiederum war einst wie ein Vater für Thorsten Falke,
der ihn nun als Bundespolizist verfolgen muss, wobei er ihn mehr beschützen als
festnehmen möchte. Das gelingt ihm jedoch nicht. Lübke stellt sich ganz allein
gegen die Albaner-Mafia, die ihn schließlich mit mehreren Schüssen
niederstreckt. Er stirbt in den Armen Falkes, der sogar eine Träne für ihn
vergießt.
Auch in diesem Film geht es, ähnlich wie in dem 63 Jahre älteren Western „Gunfight at the O.K.Corral“, um die
Freundschaft zweier sehr ungleicher Männer, zwischen dem Kiez-Bodygard Lübke
und den aufrechten Polizisten Falke.
Von den drei Kursteilnehmern, die
den Film angeschaut haben, waren zwei gebürtige Albaner. Shaban, der mit 58 Jahren einer
der ältesten Teilnehmer des Kurses ist, lebte wie etwa eine weitere Million Albaner, bevor er nach Deutschland kam, wo er seit
fünf Jahren bei einer Bau-Firma als Fliesenleger arbeitet, mit seiner Familie in Nord-Mazedonien. Er sagt, dass es in jedem Volk „Böse“
und „Gute“ gebe. Es hänge dies nicht von der Volkszugehörigkeit ab, sondern von
dem Charakter. Manche wollten ohne zu arbeiten schnell das große Geld machen;
deswegen werden sie kriminell. Die anderen wollen ihr Geld ehrlich verdienen.
Shaban meinte, die deutsche
Polizei sollte mit den bösen Albanern kurzen Prozess machen; dabei machte er
die Geste des Schießens, so wie sie der rumänische Junge in dem Film gemacht
hatte und wie sie unzählige Jungens bei ihren Spielen „Räuber und Gendarm“
machen.
Shaban ist ungemein fleißig, hat
eine Tochter, die Ärztin ist, und einen Sohn, der Architektur studiert. Er
sagt, er habe eine „gesunde Familie“. In einem früheren Gespräch hat er
bedauert, dass es das alte Jugoslawien nicht mehr gibt, das er als Kind noch
miterleben konnte. Er sagt, das Land sei schuldenfrei gewesen, Medikamente und Krankenhaus
seien kostenlos gewesen, die Mieten waren niedrig und jeder hatte Arbeit und
genug zu essen. Das, was Shaban mir über das alte Jugoslawien erzählte, gilt
vermutlich für alle ehemals sozialistischen Länder vor der Globalisierung.
Nach dem Zerfall Osteuropas im
Zuge der Auflösung des kommunistischen Ostblocks kamen viele Osteuropäer nach
Deutschland, um hier zu arbeiten. Zeitarbeitsfirmen vermittelten ihnen schon in
ihren Heimatländern Arbeit in deutschen Betrieben. Obwohl sie ihre Arbeiter nach
dem Gesetz nur 18 Monate und drei Tage als Zeitarbeiter in der gleichen Firma arbeiten
lassen dürfen, so kennen diese modernen Sklavenhalter Tricks, um sie nach drei
Monaten Pause wieder an die gleiche Firma zu "verkaufen". So können die meist
billigeren Arbeitskräfte nur in den seltensten Fällen eine Festanstellung
bekommen. Firmen wie „Kärcher“ nutzen dies gnadenlos aus.
Die „Bösen“, die das schnelle
Geld wittern, nehmen das Geschäft selbst in die Hand und „importieren“ junge osteuropäische
Frauen direkt nach Deutschland, wo sie dann als Sex-Sklavinnen arbeiten müssen.
Beide Formen von
Arbeitsbeschaffung sind für mich moderne Sklaverei.
Bei der zweiten Form kommt
noch Menschenhandel dazu.
[1]
Im Arbeitsbuch von „Schritte Plus, Band 5“ heißt es: „Tatort“ ist eine
Krimi-Serie, die in verschiedenen Großstädten spielt, zum Beispiel in Dortmund,
Mannheim, Berlin, Dresden, München, ... oder auch in Luzern oder Wien. Jede
Stadt hat ihre eigenen Kommissare, die im Jahr in zwei bis drei Folgen spielen.
Insgesamt gibt es circa 35 Folgen pro Jahr. Die erfolgreichste Folge hatte 13,6
Millionen Zuschauer. Sie spielte in Münster und lief am 8. November 2015. Die
Serie ist so beliebt, weil sie meist von aktuellen Themen handelt. Immer mehr
Leute sehen den „Tatort“ nicht mehr zu Hause an, sie sehen sich den Krimi in
einem Restaurant oder einer Kneipe mit anderen zusammen an. Hier wird dann
diskutiert oder die Leute wetten, wer der Täter ist. Damit ist der „Tatort“ ein
richtiges Event geworden.“
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