Heute wäre der italienische
Filmregisseur Federico Fellini 100 Jahre alt geworden.
Er wurde am 20. Januar 1920 als
erstes von drei Kindern in Rimini geboren. Der auf einem katholischen Internat
sozialisierte Junge interessierte sich schon früh für Zigeuner und den Zirkus.
Seine ersten kleinen Erfolge erzielte er mit der Zeichnung von Comicstrips.
Später wurde er Journalist bei einer Tageszeitung und einem Satire- Magazin.
Auch für das Radio arbeitete er und verfasste Hörspiele. Dabei lernte er seine
spätere Ehefrau Giulietta Masina kennen, die er 1943 heiratete und mit der er
bis an sein Lebensende (am 31. Oktober 1993) verheiratet war. Er lernte den
Regisseur Roberto Rossellini kennen und schrieb das Drehbuch für dessen Film
„Rom – offene Stadt“ (1946).
Mit 33 Jahren schuf Fellini sein
Meisterwerk „La Strada – das Lied der Straße“ (1954), in dem seine Frau Giulietta
Masina die Rolle der gutmütigen, aber etwas kindlichen Gelsomina spielt, die
von ihrer bettelarmen Mutter für 10000 Lire an den Schausteller und Vagabunden
Zampano, gespielt von dem großartigen Anthony Quinn, verkauft wird. Dieser
tritt immer mit der gleichen Nummer auf, wobei er allein mit der Ausdehnung
seines Brustkorbes eine Eisenkette aufsprengt, mit der er sich selbst
„gefesselt“ hatte. Er braucht die naive Gelsomina als Assistentin, nachdem ihre
Schwester Rosa, seine erste Assistentin, überraschend gestorben war. Zampano
versichert der Mutter, man könne auch Gelsomina etwas beibringen, wie er es
bereits bei Hunden erfolgreich versucht habe. Gelsomina wird für die
Vorstellungen als Clown geschminkt und übt einen Trommelwirbel ein. Auch das
Trompetenspiel übt sie im Auftrag des großen Zampano. Dieser behandelt das
Mädchen aber tatsächlich wie seinen Hund und sieht gar nicht, dass es Gefühle
für ihn entwickelt, obwohl er so grob zu ihm ist.
Eines Tages hält sie es nicht
mehr bei ihm aus und sie verlässt ihren „Herrn“,
um sich selbstständig durchs Leben zu schlagen. Sie kommt in eine Stadt, nimmt
an einer Marien-Prozession teil und bewundert einen Seiltänzer, der mit
Engelsflügeln über den Marktplatz schwebt. Diesen lernt sie dann auch
persönlich kennen. Il Matto (Richard Basehard) nimmt Gelsomina mit zu einem
Zirkus. Eines Abends erklärt ihr der Seiltänzer, der auf einer winzigen Geige
eine Melodie spielt, die so einfach und schön ist, dass sie nicht nur Gelsomina
berührt, dass jedes Ding und jeder Mensch, der auf der Erde ist, einen Sinn
hat, und hebt dabei einen Stein auf, um Gelsomina sogar die Bedeutung dieses
Steinchens aufzuzeigen. Den Stein schenkt er Gelsomina und sie fühlt sich zum
ersten Mal in ihrem Leben auch als wertvoll. Es ist wohl die berührendste Szene
des Films. Der große Zampano hat Gelsomina wie einen Hund behandelt, nun erlebt
sie sich zum ersten Mal als Mensch. In Matto erlebt sie eine Art Engel, der in
einem starken Kontrast zu Zampano steht, der sich eher wie ein Teufel benimmt.
Später freundet sich Gelsomina
mit einer jungen Nonne an, die sie einlädt, mit ihr im Kloster zu bleiben. Sie
erklärt,dass ihr Orden auch alle zwei Jahre in ein anderes Kloster weiterziehen
muss, damit sich die Nonnen nicht so sehr ans Irdische binden. Gelsomina hat sich aber entschieden, ihrem
Zampano zu folgen, der sie bittet, bei ihm zu bleiben. Im Spaß sagt die Nonne
zum Abschied: „So folgt jeder seinem Herrn, du dem deinen und ich dem meinen.“
Erst als er wieder auf Matto trifft, den Zampano nicht leiden kann, weil er ihn
immer mit seinen Späßen reizt, und als es zu einer Schlägerei kommt, bei der
Matto am Hinterkopf tödlich verletzt wird, ist das Mädchen traumatisiert und will
nicht mehr für Zampano arbeiten, verweigert den Trommelwirbel und ist sozusagen
unbrauchbar als Assistentin.
Zampano verlässt sie eines
Morgens, als sie noch (im Freien) schläft, heimlich. Er hinterlässt ihr ihre
Kleider, eine Decke und – die Trompete. Einige Jahre später hört Zampano in
einer Stadt, in der er mit seiner Nummer gastiert, eine junge Frau beim
Wäsche Aufhängen die Melodie singen, die Gelsomina von Matto gelernt hat. Er
erkundigt sich bei ihr, woher sie die Melodie habe, und erfährt, dass vor ein
paar Jahren ein Mädchen durch die Stadt gekommen sei, das diese Melodie auf
einer Trompete gespielt habe. Vor vier oder fünf Jahren sei dieses unbekannte Mädchen
gestorben. Zampano betrinkt sich in einer Taverne und prügelt sich mit ein paar
Gästen. Der Wirt versucht, ihn zu beruhigen. Er sagt, wenn er nicht sein Freund
wäre, würde er die Polizei rufen. Zampano erwidert trotzig: „Ich brauche keinen
Freund! Ich brauche niemanden; ich will allein sein." Dann geht er allein an den
Strand, schaut hoch in die Sterne, als würde er dort Gelsomina sehen, und fängt
plötzlich an, herzerschütternd zu weinen, wobei er mit den Händen verzweifelt
im Sand wühlt.
An einer Stelle des Films, als
Gelsomina an den toten Matto denkt, hat sie auch mit ihren großen Augen in den
Himmel geschaut, als suche sie Kontakt mit dem Verstorbenen.
Solche kleinen Momente machen den
Film für mich wertvoll, denn er zeigt mir, dass der Regisseur Fellini, von dem
ich bisher nur diesen einen Film gesehen habe, ein Gespür für Geistiges hat.
Wenn man noch tiefer in die Bildsprache
des Films eindringt, kann man sehen, wie Gelsomina mit ihren kindlichen Blicken
wie eine Repräsentantin des unschuldigen Menschentums auf seiner Kindheitsstufe
ist. Einmal hatte ich das Gefühl, in ihrem Blick versammelt sich das ganze Leid
der Menschheit.
Die Geschichte ist wohl bewusst
so aufgebaut, dass dieses verlorene Menschenkind zwischen zwei Charakteren
steht, von denen der eine (Zampano) düster und brutal erscheint, der andere
(Matto) hell und freundlich. Ein anthroposophisch vorgebildeter Zuschauer kann
in den Bildern des Films und seiner Geschichte die Gebärde des "Menschheitsrepräsentanten" (Gelsomina) erkennen, der zwischen Ahriman (Zampano)
und Luzifer (Matteo) hindurch schreitet, wie sie Rudolf Steiner und Edith
Maryon einst in einer Monumentalplastik für das erste Goetheanum in Holz
gearbeitet haben.
Gestern hat ein Facebookfreund
(Matthias Hesse) auf der Seite „Gesprächsraum Anthroposophie“ ein Zitat Rudolf
Steiners zum Kino[1]
veröffentlicht, das ich zwar schon kannte, das mich aber unmittelbar nach dem Sehen des Films, der am
Samstagabend anlässlich des 100. Geburtstags des Regisseurs auf 3SAT
ausgestrahlt wurde, wieder beschäftigt hat, zumal da ich ja selbst seit 57
Jahren regelmäßig Filme anschaue. Damals, an Ostern 1963, habe ich – eingeladen
von einem etwas älteren Freund – in der Kaspar-Hauser-Stadt Ansbach meinen
ersten Kinofilm gesehen: „Der Schatz im Silbersee“, den ersten in Jugoslawien
gedrehten Winnetou-Film.
Den Elfjährigen hat damals mit
Wucht gleichsam das „Kino-Fieber“ ergriffen und bis heute nicht mehr
losgelassen.
Ich kann heute sagen, dass mir
das Kino die Welt nahe gebracht hat. Aufgewachsen im Wald und bis zum
Schuleintritt fern aller Zivilisation, war das Kino mein Schaufenster ins Leben
außerhalb meines Waldes. Schon früh habe ich begonnen, über meine See-Eindrücke
zu schreiben, systematisch seit Sommer 1969. Ich habe die Filme, die ich sehen
wollte, sorgfältig ausgewählt, und kann heute bestätigen, dass ich dabei immer
auf Meisterwerke getroffen bin. Film als reine Unterhaltung hat mich damals
weniger interessiert. Ich suchte mir nach dem Abebben der Karl-May-Film-Welle
immer die anspruchsvollsten Werke aus. Dazu gehört als einer der ersten
Nicht-Karl-May-Filme der Film-Klassiker „Lawrence von Arabien“, ein Film, in
den mich mein Vater mitnahm. Obwohl ich nicht viel verstand, war ich doch fasziniert
von den einmaligen Wüstenaufnahmen und den großartigen Schauspielern, unter
ihnen auch der eindrucksvolle Anthony Quinn als Scheich Auda Abu Tayi.
Meine Filmleidenschaft hat mich
gewiss einerseits erdenverwandter gemacht, war ich doch als Kind ein heilloser
Träumer. Andererseits haben mich die Filme in meiner Gefühlswelt zum Romantiker
gemacht, der sich ständig verliebte. Ich ging nicht ins Kino, um aus der
Realität zu fliehen, sondern habe Filme immer als Anregung erlebt, mich mit
Geschichte, Literatur und Kunst näher zu befassen. Filme waren für mich oft ein
Sprungbrett in die Wirklichkeit.
Als ich im Herbst 1971 die
Anthroposophie kennenlernte, hatte ich mich bereits mit dem Buddhismus und dem
Existentialismus auseinandergesetzt, war aber auch ein begeisterter Anhänger
der christlichen Religion, die mir schon von Kindheitstagen an ein tiefes
inneres Bedürfnis war, das bis heute alles andere überwiegt. Vielleicht ist es
das, was mich „vor dem Heruntersteigen unter die sinnliche Wahrnehmung“ bewahrte,
indem es in mir jenes Gegengewicht schuf, von dem Rudolf Steiner spricht. Außerdem
erfuhr meine gleichsam „angeborene“ Religiosität eine Vertiefung durch die
Christologie Rudolf Steiners und durch mein Studium der Waldorfpädagogik. Schon
früh habe ich auch die Christengemeinschaft kennen gelernt.
Alle diese schicksalsmäßigen
Voraussetzungen erlauben es mir heute, in den wichtigen Werken der Filmkunst
die religiösen Motive aufzuspüren, die oft verborgen in ihnen enthalten sind
und beim Zuschauer ebenfalls „auf sein tiefstes
Unterbewusstes wirken“, allerdings nicht, wie Rudolf Steiner meinte, der
ja gerade einmal die Anfänge der Filmkunst erleben konnte, ausschließlich
„materialisierend“.
Ein Film wie „La Strada“, der in
der Welt der Schausteller und der fahrenden Leute, also auf unterster sozialer
Ebene spielt, kann, wenn man sich auf ihn einlässt, durchaus
„spiritualisierend“ wirken. Ich schaute ihn am Samstagabend mit Lena an, die
zunächst einiges an ihm auszusetzen hatte, indem sie ganz praktisch (materiell)
zunächst zum Beispiel fragte: „Wo wäscht sich denn das Mädchen?“ oder die sich
vor der mangelnden Hygiene in dem alten Zirkuswagen, mit dem das ungleiche Paar
über die staubigen Straßen tingelte, ekelte.
Schließlich wurde ihre
anfängliche Kritik jedoch gemildert, als sie die sprechenden Augen der kleinen
Gelsomina erkannte, aus denen all das Leid der Menschheit herausschaut, wie sie
es auch kennt.
Heute Vormittag waren Dorothea und Klaus zum Frühstück bei mir. Wir haben noch einmal zusammen „La Strada“ angeschaut, der ja auf der 3SAT-Mediathek noch bis zum 25.01. verfügbar ist https://www.3sat.de/film/spielfilm/la-strada---das-lied-der-strasse-100.html. Mir standen nach dem zweiten Sehen immer wieder die Tränen in den Augen. Giulietta Masima als Gelsomina ist ein Genie der Empathie. Es ist so herzberührend. Vorhin erinnerte sie mich in ihrer Gutherzigkeit und Alterslosigkeit an Kaspar Hauser.
Heute Vormittag waren Dorothea und Klaus zum Frühstück bei mir. Wir haben noch einmal zusammen „La Strada“ angeschaut, der ja auf der 3SAT-Mediathek noch bis zum 25.01. verfügbar ist https://www.3sat.de/film/spielfilm/la-strada---das-lied-der-strasse-100.html. Mir standen nach dem zweiten Sehen immer wieder die Tränen in den Augen. Giulietta Masima als Gelsomina ist ein Genie der Empathie. Es ist so herzberührend. Vorhin erinnerte sie mich in ihrer Gutherzigkeit und Alterslosigkeit an Kaspar Hauser.
[1] „Es gibt kein besseres Erziehungsmittel zum
Materialismus als den Kinematographen. Denn das, was man im Kino schaut, das
ist nicht Wirklichkeit, wie sie der Mensch sieht. Das, was der Maler in Ruhe
gibt, das gleicht viel mehr dem, was Sie selber auf der Straße sehen. Daher
auch nistet sich, während der Mensch im Kino sitzt, das, was ihm der Film
bietet, nicht in das gewöhnliche Wahrnehmungsvermögen ein, sondern in eine
tiefere materielle Schicht, als wir sonst im Wahrnehmen haben, auf sein tiefstes Unterbewusstes wirkt man materialisierend.
Fassen Sie das nicht auf wie eine Brandrede gegen das Kino. Es ist ganz
natürlich dass es Kino gibt, das wird der Weg in den Materialismus sein. Ein
Gegengewicht muss geschaffen werden. Das kann nur darin bestehen, dass der
Mensch mit der Sucht nach der Wirklichkeit, die im Kino entwickelt wird, etwas
verbindet. Wie er da mit der Sucht entwickelt ein Heruntersteigen unter die
sinnliche Wahrnehmung, so muss er ein Heraufsteigen über die sinnliche
Wahrnehmung, das heißt in die geistige Wirklichkeit, entwickeln. Dann wird ihm
das Kino nichts schaden; da mag er dann die Filme ansehen, wie er will. Aber
gerade durch solche Dinge wird der Mensch dahin geführt – indem kein
Gegengewicht geschaffen wird –, nicht so, wie es notwendig ist, erdenverwandt
zu werden, sondern immer erdenverwandter, (und noch) erdenverwandter zu werden
und zuletzt völlig abgeschnürt zu werden von der geistigen Welt“. (Berlin 27.
Februar 1917, GA 175, Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von
Golgatha, erster Teil: Kosmische und menschliche Metamorphose, vierter Vortrag,
S. 91f)
21.01.2020: Mich beschäftigt weiterhin das Wort Rudolf Steiners von der „materialisierenden Wirkung des Kinos im tiefsten Unterbewussten“. Was kann er – als Hellseher – damit gemeint haben? Ich weiß natürlich noch nicht, wie meine zahllosen Kinoerlebnisse – trotz Beschäftigung mit Anthroposophie und trotz meiner allabendlichen Meditation – schlussendlich auf das Innere meiner Seele wirken. Vielleicht ist sie voller materieller Einsprengsel, die nach dem Tode nur schwer „aufgelöst“ werden können. Aber hätte ich deshalb auf das Kino verzichten sollen, nur um „rein“ zu bleiben? Das leuchtet mir nicht ein. Ich bin in dieses Jahrhundert geboren, um mich genau mit den technischen Errungenschaften unserer Zeit auseinanderzusetzen. Ich kann sagen, ich habe das von frühester Jugend an mehr oder weniger bewusst versucht. Kino gehörte für mich zum modernen Leben und ich habe viele seiner technischen und ästhetischen Wandlungen miterlebt, vom Zelluloidfilm bis zum Digitalfilm, vom Schwarz-Weiß-Film bis zum Farbfilm.
AntwortenLöschenWas ich bis heute meide, sind 3-D-Filme und alle Formen von Horrorfilmen, zu denen für mich auch die meisten Krimis gehören. Jeder im Film getötete Mensch verursacht in meinem Empfinden einen Schmerz und ich finde es nicht richtig, wenn man damit Geld verdienen möchte. Genauso wenig mag ich – mit ganz wenigen Ausnahmen – Filme, in denen intime Liebesszenen vorkommen. In meiner Jugend waren gerade einmal Küsse und tiefe Blicke im Kino erlaubt. Danach zog sich die Kamera respektvoll zurück und überließ das Liebespaar seiner Privatsphäre.
Eine Frage allerdings beschäftigt mich weiter: Was bewirkt das Kino bei den Schauspielern, deren Spiel für immer auf bewegten Bildern festgehalten wird? Diese materielle Fixierung dürfte den meisten Filmstars nach dem Tode Schwierigkeiten bereiten, sich von der Erde zu lösen. Auch deshalb beschäftige ich mich mit ihren Biografien und betrachte sie, obwohl ich die wenigsten von ihnen persönlich kannte oder kenne, als Mitglieder einer großen karmischen Familie, die wie die Zirkusakrobaten durch unsere Welt tingeln, um die Menschen zu erfreuen, ihr Mitleid zu erregen und sie manchmal auch zu erschrecken.