„Seid niemand etwas schuldig, außer
dass ihr euch untereinander liebet; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz
erfüllt. Denn was da gesagt ist: ‚Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten;
du sollst nicht stehlen; dich nicht gelüsten‘, und was noch mehr geboten ist, das
wird in diesem Wort zusammengefasst: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst.‘ Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes
Erfüllung.‘ Und das tut, weil ihr die Zeit wisset, nämlich dass die Stunde da ist,
aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher, als da wir gläubig wurden.
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasset uns ablegen
die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasset uns ehrbar wandeln
als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Wollust und Unzucht, nicht in
Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und wartet des Leibes
nicht so, dass ihr seinen Begierden verfallet.“
Dieser Predigttext aus dem Römerbrief
des Paulus steht gewiss nicht zufällig am Beginn der Adventszeit, die gestern (01.12.2019) begonnen
hat.
Ich denke, es ist auch kein Zufall,
dass Arte gestern Abend den Film „Ryans Tochter“ von David Lean aus dem Jahre 1970
ausgestrahlt hat, in dem es um eine von ihrer Sinnlichkeit bestimmte junge Frau
geht, die zur Ehebrecherin und dennoch nicht von ihrem Mann verstoßen wird. Der
Film, den ich bisher noch nicht gesehen hatte, besticht durch seine großartigen
Aufnahmen der irischen Westküste, an der die Elemente und die Menschen wüten. Eindrucksvoll
ist die kleine Gruppe von Außenseitern, die trotz der Verfehlung von Ryans Tochter
zu ihr stehen und schließlich das Paar begleiten, welches das Dorf verlässt, um
nach Dublin zu ziehen: der katholische Priester Collins (Trevor Howard), der selbst
wie ein Fels in der Brandung wirkt, und der „Dorf-Depp“ Michael (John Mills), der
Roses Verfehlungen beobachtet, aber nicht sprechen kann. Beide, der Priester und
der Irre, sind Rose verfallen, aber halten sich zurück. Auch ihr Ehemann, der Lehrer
Charles Shaughnessy (Robert Mitchum), der viele Jahre älter ist, hält sich zurück
und ist mehr an Kultur und seinen Schülern interessiert als an seiner jungen Frau,
die sich schließlich mit dem britischen Offizier Doryan (Christopher Jones) einlässt, der in der Schlacht
an der Somme gekämpft hat und seitdem traumatisiert ist.
Der Film spielt im Jahre
1916 während des irischen Osteraufstandes. Es war nach „Die Brücke am Kwai“, „Lawrence
von Arabien“ und „Doktor Schiwago“ David Leans viertes Film-Epos und gilt als „vergessenes
Meisterwerk“. Da es viele negative Kritiken bekommen hat, hat der britische Meisterregisseur
vierzehn Jahre lang keinen Film mehr gedreht, bis er mit „Reise nach Indien“ 1984
wieder ein Meisterwerk schuf. Die Geschichte von „Ryans Tochter“ knüpft lose an
Gustave Flauberts Ehebruchs-Roman „Madame Bovary“ an.
Sarah Miles spielt die schuldig gewordene
Unschuld mit großer Hingabe und auch alle anderen Darsteller erscheinen in dem Film
geradezu als mythische Archetypen, als Giganten in einer archaischen Landschaft.
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