Sonntag, 1. Dezember 2019

In Farbe und Schwarz-Weiß - Anmerkungen zu zwei Filmen aus dem Jahr 1958 zum Dritten Reich



Gestern Abend (30.11.2019) habe ich mit Lena, die inzwischen auf meine Auswahl vertraut, zwei alte Filme angeschaut, einen amerikanischen und einen deutschen. Zuerst haben wir versucht, „Und dennoch leben sie“ in der deutschen Version auf meinen Fernseher zu bekommen, was jedoch nicht funktionierte.
Dann habe ich die DVD von „A Time to Love and a Time to Die” von Douglas Sirk eingelegt, und wir haben den schönen Farbfilm aus dem Jahr 1958 angeschaut, danach kam der deutsche Schwarzweiß-Film „Wir Wunderkinder“ von Kurt Hoffmann an die Reihe, der ebenfalls im Jahr 1958 in die Kinos gekommen war. An „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ erinnerte ich mich noch vage: ich hatte den Film schon einmal gesehen, „Wir Wunderkinder“ dagegen noch nie.
Es waren an diesem letzten Tag des alten Kirchenjahres zwei Zeitreisen in die Vergangenheit, die beide auf Romane zurückgehen, in denen die Schriftsteller ihre eigenen Erlebnisse verarbeiteten. „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque (1898 – 1970) aus dem Jahr 1954, „Wir Wunderkinder“ auf dem gleichnamigen Roman von Hugo Hartung (1902 – 1972) aus dem Jahr 1957[1]. Weder den einen, noch den anderen Roman habe ich gelesen, aber zumindest „Wir Wunderkinder“ steht schon lange in meinem Bücherregal und wartet darauf.
In dem amerikanischen Film spielt Liselotte Pulver eine ernste Rolle und ich finde, sie spielt sie sehr überzeugend. Der Film erzählt von dem 23-jährigen Landser Ernst Gräber (John Gavin), der an der Ostfront kämpft und bereits die Niederlage der Deutschen in Stalingrad und eine Exekution von russischen Partisanen durch Soldaten seines Bataillons erleben musste. Überraschend bekommt er nach zwei Jahren Krieg zum ersten Mal drei Wochen Heimat-Urlaub. Aber auch in der Heimat ist Krieg. Zurück in seiner Heimatstadt Werden muss er erleben, dass der Krieg schon längst in Deutschland angekommen ist: fast täglich schrillen die Sirenen und alliierte Bomberverbände werfen ihre „Himmelsgeschenke“ über der Stadt ab. Ernst sucht vergeblich sein Elternhaus und seine Eltern. Auf der Suche nach ihnen findet er das Haus ihres Arztes Dr. Kruse wieder, in dem neben einer strengen Haushälterin auch die Tochter Elisabeth (Liselotte Pulver) lebt, die er von früher kennt. Die beiden verlieben sich ineinander und heiraten. Ihre kurze Liebe wird ständig von einem äußeren und von einem inneren Feind bedroht: den Bomben der Alliierten und den Verfolgungen der Nazis, die Elisabeths Vater, der es gewagt hatte, eine kritische Bemerkung zum Krieg zu machen, in ein KZ gesteckt und zum Arbeitsdienst gezwungen haben. Auch dem ehemaligen Klassenkameraden und einen ehemaligen Lehrer trifft er wieder: der Klassenkamerad Alfons Binding ist inzwischen zum nationalsozialistischen Kreisleiter avanciert und führt in einer beschlagnahmten Villa, die einst dem Juden Salomon gehörte, ein Lotterleben mit mehreren Prostituierten und allen Sorten von Alkohol, während das ausgebombte Volk auf der Straße oder in einer zerstörten Kirche leben muss. Auch das Haus von Dr. Kruse wird vernichtet. Auf der Suche nach einer Unterkunft gelangt das frisch vermählte Paar zu dem ehemaligen Geschichtslehrer Professor Pohlmann. Dieser von Erich Maria Remarque gespielte Mann ist einer der wenigen Deutschen, die den Mut haben, in dieser schrecklichen Zeit ihre Menschlichkeit zu bewahren: er versteckt den verfolgten Juden Joseph (Charles Regnier) und bringt den jungen Landser zum Nachdenken, indem er zum Beispiel ausspricht: „Deutschland muss den Krieg verlieren, damit es seine Seele wiederfinden kann.“
Lena folgt dem Film aufgeschlossen und voller Mitgefühl und ist nur über das Ende nicht so glücklich. Ernst Gräber, der schweren Herzens zurück zu seinem Bataillon an die Ostfront gekehrt ist, wird von einem russischen Partisanen erschossen, dem er kurz zuvor zusammen mit zwei Kameraden das Leben und die Freiheit geschenkt hatte, indem er sich dem Befehl, sie zu erschießen widersetzt hatte und sogar einen eigenen Kameraden, der es tun wollte, getötet hat. Der Schütze ruft hasserfüllt das Wort „Mörder“ aus und meint damit alle Deutschen. Lena meint, das sei nicht korrekt. Dadurch würden die Russen als die neuen „Bösen“ charakterisiert, was ja gut in das Schema des Kalten Krieges passe.
Die letzte Einstellung zeigt Ernst Gräber, der sterbend auf einem Brückenrand liegt; seine Hand greift nach dem im Wasser forttreibenden Brief Elisabeths, in dem sie ihm mitgeteilt hat, dass sie ein Kind von ihm erwartet.
„Wir Wunderkinder“ ist eine Art Moritat, in der die beiden Kabarettisten Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller die deutsche Geschichte von 1913 bis in die damalige Gegenwart der 50-er Jahre Revue passieren lassen. Er spielt in einem (fiktiven?) Ort Neustadt an der Nieße und in München und handelt von dem Deutschen Hans Boeckel (Hansjörg Felmy), der das Dritte Reich erlebt und ähnlich wie Ernst Gräber beinahe daran zerbricht. Auch in diesem Film gibt es als Antagonist zu dem „anständigen“ Deutschen einen ehemaligen Klassenkameraden, der sein Fähnchen gewissenlos und opportunistisch immer nach dem Wind dreht, der gerade weht: Bruno Tiches (Robert Graf). Auch der ehemalige gemeinsame Lehrer ist wieder dabei: er heißt Schindler und wird von Horst Tappert gespielt, der später als Kommissar Dereck, einem „anständigen“ Deutschen, berühmt wurde, in einer Fernsehserie, die in zahlreichen Ländern, auch in der Sowjetunion, lief.
Noch eine kleine Gemeinsamkeit haben die beiden Filme: In beiden spielt Ralf Wolter eine kleine Nebenrolle. Er wurde später die Verkörperung von Sam Hawkins und Hadschi Halef Omar in den Karl-May-Filmen der 60er Jahren und mir dadurch bestens vertraut.
Die bezaubernde Johanna von Koczian spielt die Dänin Kirsten, die sich in Hans verliebt, obwohl er schon gebunden ist. Aber seine Verlobte, die Adlige Wera von Lieven (gespielt von Vera Frydtberg), deren Vater wegen seiner „wehrkraftzersetzenden Bemerkungen“ zum Dritten Reich ins Exil gehen musste, muss wegen ihrer Krankheit (TBC) in ein Sanatorium in der Schweiz, während Hans an der Universität München sein Philosophiestudium beendet und schließlich eine Stelle als Journalist antreten kann. Diese verliert er allerdings nach 1933 wieder, als die Nationalsozialisten die deutsche Presse „gleichschalten“. Hans geht mit Kirsten nach Dänemark, wo sie heiraten.
Auch hier gibt es eine Parallele zu dem Douglas-Sirk-Film: Hans macht nicht Urlaub von der äußeren Front, sondern von der „inneren Front“: Er verliert in Deutschland als „Anständiger“ unter dem Nazi-Regime jegliche Existenzgrundlage, weil er nicht, wie sein skrupelloser Klassenkamerad Tiches zum Mitläufer werden will.
Der Film mit seinem Hauptdarsteller Hansjörg Felmy kommt mir vor wie eine Fortsetzung von Thomas Manns Chronik des „Verfalls einer Familie“, die der Literaturnobelpreisträger 1901 mit dem Roman „Buddenbrooks“ vorgelegt hat. Hugo Hartung führt die Chronik in satirischer Form weiter bis zum Jahre 1957. Die Assoziation kommt mir vor allem auch deswegen, weil Hansjörg Felmy in der Verfilmung des Romans durch Alfred Weidenmann aus dem Jahre 1959 den anständigen Sohn und Erben des Senators Buddenbrook spielt, eine Glanzrolle für den damals gerade aufsteigenden jungen Schauspieler (1931 – 2007).
Der Vater, aus einer Hugenottenfamilie stammend, war im Dritten Reich Fliegergeneral und wurde in Nürnberger Prozessen verurteilt. Hansjörg Felmy wuchs in Braunschweig auf.
Interessant ist, wenn man die Aussagen der beiden Filme vergleicht: der amerikanische Film des in Hamburg geborenen Douglas Sierk (eigentlich Hans Detlef Sierck) beteiligt sich nicht an der üblichen Schwarz-Weiß-Malerei von Hollywoodfilmen über das Dritte Reich; ich erkenne zwar menschliche Kritik an dem Hitler-Regime, aber keine plumpe und plakative Verurteilung der Deutschen, die sich „verführen“ ließen. Ihre Taten sprechen für sich. Da muss der Film gar nicht „urteilen“.
Solche Hollywoodfilme sind wohltuend, da sie den Zuschauer freilassen.
Anders ist es bei dem deutschen Film. Er ist als Satire nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich schwarz-weiß. Die Anständigen werden klar von den Bösen geschieden. Es gibt keine Zwischentöne.
Obwohl der Film mit dem Jahr 1913 einsetzt und auch das Jahr 1915 oder 1916 immer wieder erwähnt wird, als die Deutschen noch siegten und die Alliierten alle Friedensangebote der Mittelmächte ablehnten, wird nicht auf den eigentlichen Grund für den unheilvollen Aufstieg der Kleinbürger an die Macht hingewiesen, der in dem Friedensdiktat der Siegermächte vor 100 Jahren in Versailles besteht.
Das will nichts entschuldigen, ist aber zu bedenken, wenn man „verurteilt“. Natürlich gibt es auch nach dem Hitler-Regime noch Kleingeister, Opportunisten und Nationalisten, die „Ewig-Gestrigen“, die offenbar nicht verstanden haben, dass „Deutschland den Krieg verlieren musste, um seine Seele zu retten.“



[1] Hugo Hartungs erfolgreichster Roman war „Ich denke gern an Piroschka“.

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