Natürlich gibt es eine höhere Regie. Alles was geschieht, ist in
ihr begründet und macht deshalb Sinn. Das Wenigste plant der Mensch selbst.
Oder sagen wir: das hat er schon längst geplant, bevor er ins Leben trat,
zusammen mit den geistigen Wesen, die ihn begleiten.
Es gibt gute geistige Wesen und mephistophelische Wesen, die den
Menschen in Versuchung führen. Der Mensch wird geprüft, damit er nicht ermüdet.
Er braucht auch jene Wesen, die ihn vom Wege ablenken wollen, damit er nicht in
jenen geistigen Ruhestand tritt, in dem sich all jene wohlfühlen, die man
früher Bürger genannt hat. Heute gibt es die Stände oder Klassen gar nicht
mehr. Wir leben in einer un(an)ständigen, klassenlosen Gesellschaft.
Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind von allen guten Geistern
verlassen und in einen hysterischen Modus eingetreten. Wenn ich die Debatten,
Beiträge und Statements in den „sozialen Netzwerken“ verfolge, dann bestätigt
sich das: Der amerikanische Präsident macht Politik über Twitter, In Berlin,
Cannes und Venedig befinden sich die Epizentren der modernen Massen-Gesellschaft,
Facebook ist ihr Kommunikationsmittel, das Internet das Medium, in dem jeder
spontan seine augenblickliche Meinung kundtun kann, ohne gründlich nachgedacht
zu haben. Was in den Zeitungen steht, ist meistens nur die halbe Wahrheit, denn
es ist interessengesteuert.
Es gibt Gegenbewegungen, Gott sei Dank. In erster Linie tut
Entschleunigung gut. Dann braucht die Menschheit wieder Vertiefung. Und
schließlich hat sie die freiwillige Rückbindung (religio) an die
göttlich-geistige Welt nötig, in der die Begriffe, Konzepte und Weltenpläne urständen.
Mephistophelische Wesen waren gestern sicher im Spiel, als ich mich
hinreißen ließ, auf 3SAT den Edgar-Wallace-Krimi „Das Gasthaus an der Themse“
aus dem Jahre 1962 anzuschauen, anstatt mich weiter auf meine Kirchenführung in
Sankt Katharina am kommenden Freitag vorzubereiten.
Ich mag diese deutschen Trash-Filme eigentlich gar nicht. Ich
finde sie dämonisch und verstörend. Dennoch wollte ich mir den Film aus der
historischen Distanz von 57 Jahren anschauen. Dazu kommt, dass mich der
Produzent des Films, Horst Wendlandt interessiert, weil er auch die
Winnetou-Filme der 60-er Jahre initiiert hat, die meine Jugend geprägt haben. Erst
am vergangenen Sonntag ist sein zeitweiliger Chef und späterer Konkurrent,
Artur Brauner, mit 101 Jahren gestorben.
Die Handlung des Films ist nicht weiter interessant. Sie ist ein
Konstrukt mit der leicht durchschaubaren Absicht, ständig falsche Fährten zu
legen. Jeder Mitspieler gerät mindestens einmal in den Verdacht, der
mörderische „Hai“ zu sein, der im Taucheranzug durch die Themse oder die
Kanalisation von London schwimmt und seine Opfer mit einer Harpune meuchelt. Wie
immer ist die Auflösung am Schluss gewollt überraschend, wenn auch wenig
überzeugend.
Dieses Verwirrspiel bringt die Logik des Zuschauers gehörig
durcheinander, so dass er es schließlich aufgibt, zu denken, sondern sich nur
noch dem Grusel hingibt. Dieser geht vor allem von zwei Schauspielern aus: da
ist einmal die großartige Elisabeth Flickenschildt, die als Besitzerin des „Gasthauses an der Themse“, das den Namen „Mekka“
trägt, dem Film seine besondere Atmosphäre verleiht. Der Filmkomponist Martin
Böttcher hat sogar ein Lied für sie geschrieben, das sie im Film mit ihrer
dunklen, rauchigen Stimme vortragen darf. Ihre Blicke erinnern an die
expressionistischen deutschen Filme der Stummfilmzeit. Die am 16. März 1905 in
Hamburg-Blankenese geborene Charakterdarstellerin spielte am Beginn ihrer
Karriere am Staatstheater Berlin unter der Regie von Gustav Gründgens eine Hexe
in Goethes Faust, später auch Marthe Schwertlein. Bis 1963 spielte sie fast
ausschließlich unter der Regie des Mephisto-Darstellers Gründgens und hat wohl
von ihm das Dämonische übernommen, das ihr anhaftet, und das offenbar auch die
Produzenten der Edgar-Wallace-Filme reizte, um sie immer wieder für ähnlich
zwielichtige Rollen zu engagieren. Elisabeth Flickenschildt starb am 26.
Oktober 1977 an den Folgen eines Autounfalls, den sie erlitten hatte, während
sie einen Rollentext erlernte.[1]
Der andere Schauspieler, von dem eine gewisse gruselige Dämonie
ausgeht, spielte fast in allen Edgar-Wallace-Filmen eine zwielichtige Gestalt:
Klaus Kinski. Seine Blicke sind ähnlich verstörend wie die Blicke der
Flickenschildt. Irritierend ist, dass sich der „russische Gewürzhändler“ in dem
Film schließlich als verdeckter Ermittler, ja sogar als „Scotland Yards bester
Mann“ entpuppt, was man der Figur, die Kinski spielt, allerdings nicht so recht
abnehmen möchte. Interessant ist, dass der Produzent dieser Figur den Namen
Gregor Gubanow gab. Grigori Gubanow war der Name des russischen Vaters von
Horst Wendlandt, wie ich aus Dona Kujacinskis Wendlandt-Biographie[2]
aus dem Jahre 2006 erfahre.
Den dämonischen Gestalten stehen zwei Lichtgestalten und eine
komische Figur gegenüber: die naive Leila Smith (Brigitte Grothum), die als
Bedienung im Gasthaus an der Themse arbeitet, ist in Wirklichkeit eine Adlige
und Millionenerbin, deren Eltern beim Brand ihres Schlosses umgekommen sind. Leila
war die einzige Überlebende und die betrügerische Kupplerin Nelly Oaks (Elisabeth
Flickenschildt) hat sie ihrer eigenen alkoholkranken Schwester Anna, die damals
Haushälterin der Adelsfamilie war und das Kind gerettet hatte, weggenommen, um
an das Erbe zu gelangen. Außerdem will sie die Minderjährige an den Kapitän
Brown (Heinz Engelmann) des Frachtschiffes „Sigel von Troja“ verkuppeln.
Die andere Lichtgestalt ist natürlich der Scotland-Yard-Inspektor
Wade (Joachim Fuchsberger), der die achtzehnjährige Leila von Anfang an „Prinzessin“
nennt, so als wüsste er schon, dass sie in Wirklichkeit nicht die Tochter der
Haushälterin Smith (Hela Gruel), sondern die einzige noch lebende Tochter der
1945 in ihrem Schloss verbrannten Adelsfamilie
Pattison ist. Auch der Polizeiarzt Dr. Collins (Richard Münch) kennt das
Geheimnis und tritt deshalb als Rächer auf, der die betrügerische Bande, die
ihr Zentrum im „Mekka“ hat, nach und nach dahinmordet. Er entpuppt sich
schließlich als der schwarze „Hai“. In ihm verwandelt sich eine ursprünglich positive Gestalt in einen herzlosen Mörder. Das eben ist eine der Verstörungen,
die man als Zuschauer empfindet, denn dadurch wird sein Vertrauen nicht nur in
die Ärzteschaft, sondern auch in die Polizei unterbewusst korrumpiert.
Eddi Arent, der später in vielen Winnetou-Filmen mitwirkte, hat
auch in diesem Edgar-Wallace-Film die Rolle der lustigen Figur. Er spielt den
Ruderer Barnaby, der für einen Wettbewerb zwischen Oxford und Cambridge
trainiert. Auch auf ihn lenkt das Drehbuch am Schluss einmal den Verdacht, der
mörderische Hai zu sein.
Der Film „Das Gasthaus an der Themse“, der einen Tag vor Michaeli,
am 28. September 1962 im UFA-Pavillon in Berlin uraufgeführt wurde, war der
zwölfte Film aus der Reihe und mit dreieinhalb Millionen Zuschauern einer der
erfolgreichsten.
Diese Serie von ca. 15 Schwarzweißfilmen aus Horst Wendlandts Rialto-Film
hielt das Kinopublikum etwa vier Jahre lang, von 1959 bis 1963, in ihrem Bann. Dann
lief die Serie zwar noch bis 1972 weiter, aber hatte nicht mehr den Erfolg der
frühen Jahre. Der Constantin Film-Verleih brachte nämlich ab 1962 eine ganz
neue Serie von Filmen heraus, die nun in Farbe das vorwiegend jugendliche Publikum
wiederum etwa vier Jahre lang begeisterte, bevor sie 1968 auch versickerte: die
Karl-May-Filme.
Den dämonischen Kräften der Finsternis aus den Edgar-Wallace-Krimis folgten nun die Lichtgestalten Old Shatterhand und Winnetou auf die Kinoleinwände.
[2]
Dona Kujacinski, Horst Wendlandt – Der Mann, der Winnetou & Edgar Wallace,
Bud Spencer & Terence Hill, Otto & Loriot ins Kino brachte, Schwarzkopf
& Schwarzkopf, Berlin 2006, S 74
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