Donnerstag, 25. Juli 2019

Tannhäuser in Bayreuth - nur gehört und gelesen - ohne Bild, ein Protokoll


Joseph Tichatschek als Tannhäuser und Wilhelmine Schröder-Devrient als Venus in der Uraufführung 1845
Venus und Tannhäuser in der Aufführung von 1845

16.45 Uhr:
Ich höre (und lese) Tannhäuser – zeitgleich mit der Aufführung in Bayreuth. Bin eben am Ende des dritten Auftritts des ersten Aufzugs angelangt und muss nun unterbrechen, um Lena abzuholen.
Heinrich als Pilger am Tag des Pilgerpatrons betet inbrünstig vor einem Bild der Jungfrau Maria.
So berührend!
18.23 Uhr:
Der vierte Auftritt des zweiten Aufzugs beginnt: Die Sänger treten ein und nehmen in der großen Halle der Wartburg Platz, Wolfram und Heinrich einander gegenüber als die zwei großen Gegenspieler; der Landgraf und Elisabeth empfangen sie. Monumental. Eine sich steigernde Musik mit Chor und lange hinausgezogenem Schlussakkord. Trompeten und Posaunen.
Jetzt wieder lyrisch: Der Landgraf erhebt sich und trägt im schönsten Bass seine Begrüßung vor.
18.34 Uhr:
Nun darf Wolfram von Eschenbach als erster singen. Er liebt Elisabeth ebenfalls,genau wie Heinrich von Ofterdingen.
18.39 Uhr:
Er besingt die selbstlose Liebe.
Darauf singt Heinrich von der verzehrenden Liebe.
Beide benützen das Bild des „Wunderbrunnens“ als Symbol der Liebe, der eine will das Herz, der andere seinen Gaumen daraus „laben“.
18.45 Uhr:
Jetzt singt Biterolf und plötzlich wird mir klar, dass es hier um den alten Gegensatz zwischen hoher und niederer Minne geht.
18.51 Uhr:
Nun bittet Elisabeth um „der reinen Jungfrau Wort“, um Tannhäuser zu erlösen, der im Banne der Venus steht.
Mir quillt die Träne.
18.55 Uhr:
Auch Tannhäuser ist berührt. Alle Sänger bestätigen: „Ein Engel stieg aus lichtem Äther“.
Wie immer bei Wagner geht es auch hier um Schuld und Sünde, um Vergebung und Erlösung.
19.04 Uhr:
Der Landgraf empfiehlt dem Frevler eine Pilgerfahrt zum Gnadenfest nach Rom, um seine Schuld zu sühnen. Elisabeth, die edle Jungfrau, ist bereit, ihr Leben für ihn zu opfern. Der „Fliegende Holländer“ lässt grüßen…
19.09 Uhr:
Ende des zweiten Aufzugs.
20.21 Uhr:
Dritter Aufzug: Herbst. Wolfram und Elisabeth erwarten die zurückkehrenden Pilger.
Pilger: (…)„Nun lass ich ruhn den Wanderstab“ (…) verhallend
Elisabeth wendet sich an die Jungfrau Maria:
Elisabeth: „O, nimm von dieser Erde mich!“
Wieder kommt eine Haltung zum Ausdruck, die moderne Frauen nicht mehr akzeptieren können. Hier wird Sexualität (Wagner: „weltlich Sehnen“) eindeutig als Sünde angesehen und Jungfräulichkeit für eine unverheiratete Frau als einziger Weg zu Gott.
Elisabeth:
„Mach, dass ich rein und engelgleich
Eingehe in dein selig Reich!“
20.32 Uhr:
Auf ihrem Weg in dieses Reich darf sie nicht einmal Wolfram von Eschenbach, der Dichter des „Parzival“, begleiten.
Wolfram bleibt in der Abenddämmerung allein zurück und erblickt den Abendstern, also Venus.
Wolfram singt ihn an (zweiter Auftritt):

"O du mein holder Abendstern,
wohl grüßt ich immer dich so gern:
vom Herzen, das sie nie verriet,
grüße sie, wenn sie vorbei dir zieht,
wenn sie entschwebt dem Tal der Erden,
ein sel’ger Engel dort zu werden!“

Diesen Gesang hört der zurückkehrende Tannhäuser in zerrissener Kleidung und mit bleichem Antlitz.
Er fragt Wolfram nach dem Weg zum Venusberg.
20.40 Uhr:
Es wird dramatisch.
Nun fragt der, von Mitleid bewegte Wolfram, den Ankömmling nach seiner Pilgerschaft und der Tannhäuser erzählt von seinen selbst gewählten Qualen auf dem Weg nach Rom. „In Zerknirschung wollt ich büßen.“
Dennoch wird er in Rom vom Papst verdammt. Nun will er erst recht zurück zu Venus und sich der Hölle hingeben. 
Aber es kommt anders. Elisabeth opfert sich für den Sünder und erlöst ihn dadurch.
20.59 Uhr:
Elisabeth ist tot. Tannhäuser ist tot. Der Zauber ist gebannt. „Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden“ durch Elisabeths Opfer.
Schlussapplaus. Als erstes erklingt ein lautes Buh. Ich höre keine Bravos. Offenbar hat die neue Bayreuther Inszenierung das Publikum nicht einhellig begeistert.
Man kann diese etwas gequälte Art, die Sinnenlust des jungen Sängers Tannhäusers gegen die engelsgleiche Reinheit der Elisabeth auszuspielen, nur ertragen, wenn man das immer wiederkehrende Wort vom „Zauber“, dem der Sänger verfallen war, ernst nimmt. Hier öffnet sich ein Blick auf ein früheres Erdenleben Richard Wagners. Damals, als er selbst ein Zauberer war, geriet er in die „Fänge“ der Fee Viviane/Morgane und konnte sich nicht mehr aus ihnen befreien.
Ich spreche von „Merlin l’enchanteur“.

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