Venus und Tannhäuser in der Aufführung von 1845
16.45 Uhr:
Ich höre (und lese) Tannhäuser –
zeitgleich mit der Aufführung in Bayreuth. Bin eben am Ende des dritten
Auftritts des ersten Aufzugs angelangt und muss nun unterbrechen, um Lena
abzuholen.
Heinrich als Pilger am Tag des
Pilgerpatrons betet inbrünstig vor einem Bild der Jungfrau Maria.
So berührend!
18.23 Uhr:
Der vierte Auftritt des zweiten
Aufzugs beginnt: Die Sänger treten ein und nehmen in der großen Halle der
Wartburg Platz, Wolfram und Heinrich einander gegenüber als die zwei großen Gegenspieler;
der Landgraf und Elisabeth empfangen sie. Monumental. Eine sich steigernde Musik
mit Chor und lange hinausgezogenem Schlussakkord. Trompeten und Posaunen.
Jetzt wieder lyrisch: Der
Landgraf erhebt sich und trägt im schönsten Bass seine Begrüßung vor.
18.34 Uhr:
Nun darf Wolfram von Eschenbach
als erster singen. Er liebt Elisabeth ebenfalls,genau wie Heinrich von Ofterdingen.
18.39 Uhr:
Er besingt die selbstlose Liebe.
Darauf singt Heinrich von der
verzehrenden Liebe.
Beide benützen das Bild des „Wunderbrunnens“
als Symbol der Liebe, der eine will das Herz, der andere seinen Gaumen daraus
„laben“.
18.45 Uhr:
Jetzt singt Biterolf und
plötzlich wird mir klar, dass es hier um den alten Gegensatz zwischen hoher und
niederer Minne geht.
18.51 Uhr:
Nun bittet Elisabeth um „der
reinen Jungfrau Wort“, um Tannhäuser zu erlösen, der im Banne der Venus steht.
Mir quillt die Träne.
18.55 Uhr:
Auch Tannhäuser ist berührt. Alle
Sänger bestätigen: „Ein Engel stieg aus lichtem Äther“.
Wie immer bei Wagner geht es auch
hier um Schuld und Sünde, um Vergebung und Erlösung.
19.04 Uhr:
Der Landgraf empfiehlt dem
Frevler eine Pilgerfahrt zum Gnadenfest nach Rom, um seine Schuld zu sühnen.
Elisabeth, die edle Jungfrau, ist bereit, ihr Leben für ihn zu opfern. Der
„Fliegende Holländer“ lässt grüßen…
19.09 Uhr:
Ende des zweiten Aufzugs.
20.21 Uhr:
Dritter Aufzug: Herbst. Wolfram
und Elisabeth erwarten die zurückkehrenden Pilger.
Pilger: (…)„Nun lass ich ruhn den
Wanderstab“ (…) verhallend
Elisabeth wendet sich an die
Jungfrau Maria:
Elisabeth: „O, nimm von dieser
Erde mich!“
Wieder kommt eine Haltung zum
Ausdruck, die moderne Frauen nicht mehr akzeptieren können. Hier wird
Sexualität (Wagner: „weltlich Sehnen“) eindeutig als Sünde angesehen und
Jungfräulichkeit für eine unverheiratete Frau als einziger Weg zu Gott.
Elisabeth:
„Mach, dass ich rein und
engelgleich
Eingehe in dein selig Reich!“
20.32 Uhr:
Auf ihrem Weg in dieses Reich
darf sie nicht einmal Wolfram von Eschenbach, der Dichter des „Parzival“,
begleiten.
Wolfram bleibt in der
Abenddämmerung allein zurück und erblickt den Abendstern, also Venus.
Wolfram singt ihn an (zweiter
Auftritt):
"O du mein holder Abendstern,
wohl grüßt ich immer dich so gern:
vom Herzen, das sie nie verriet,
grüße sie, wenn sie vorbei dir zieht,
wenn sie entschwebt dem Tal der Erden,
ein sel’ger Engel dort zu werden!“
Diesen Gesang hört der
zurückkehrende Tannhäuser in zerrissener Kleidung und mit bleichem Antlitz.
Er fragt Wolfram nach dem Weg zum
Venusberg.
20.40 Uhr:
Es wird dramatisch.
Nun fragt der, von Mitleid
bewegte Wolfram, den Ankömmling nach seiner Pilgerschaft und der Tannhäuser
erzählt von seinen selbst gewählten Qualen auf dem Weg nach Rom. „In
Zerknirschung wollt ich büßen.“
Dennoch wird er in Rom vom Papst
verdammt. Nun will er erst recht zurück zu Venus und sich der Hölle hingeben.
Aber
es kommt anders. Elisabeth opfert sich für den Sünder und erlöst ihn dadurch.
20.59 Uhr:
Elisabeth ist tot. Tannhäuser ist
tot. Der Zauber ist gebannt. „Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden“ durch
Elisabeths Opfer.
Schlussapplaus. Als erstes
erklingt ein lautes Buh. Ich höre keine Bravos. Offenbar hat die neue Bayreuther Inszenierung
das Publikum nicht einhellig begeistert.
Man kann diese etwas gequälte
Art, die Sinnenlust des jungen Sängers Tannhäusers gegen die engelsgleiche
Reinheit der Elisabeth auszuspielen, nur ertragen, wenn man das immer wiederkehrende
Wort vom „Zauber“, dem der Sänger verfallen war, ernst nimmt. Hier öffnet sich
ein Blick auf ein früheres Erdenleben Richard Wagners. Damals, als er selbst
ein Zauberer war, geriet er in die „Fänge“ der Fee Viviane/Morgane und konnte
sich nicht mehr aus ihnen befreien.
Ich spreche von „Merlin l’enchanteur“.
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