Am Montag (29.07.2019) wurde auf Arte die im Jahre 2018 von
der Murnau-Stiftung restaurierte Fassung des Terra-Farbfilms „Große Freiheit
Nr. 7“ von Helmut Käutner gezeigt, ein deutscher Filmklassiker, der im
Hamburger Seemanns-Milieu spielt.
Der Film mit Hans Albers hat mich
stark an meinen Vater erinnert und ich konnte durch ihn seine ganze melancholische
und resignative Stimmung wieder erleben, ja fast schmerzlich nachempfinden.
Wenn der Star jener Zeit in seiner gebrochenen Sprache „La Paloma“ singt und dann ausruft:
„Meine Braut ist die See“, so klingt das, als könnte nur der Ozean den Durst
stillen, den dieser Mensch hatte. So wie Billy und Wyatt in „Easy Rider“ den
Eindruck machen, ständig unter Droge zu stehen, so macht Hans Albers als
Seemann Hannes Kröger den Eindruck, ständig alkoholisiert zu sein. Dazu kommt
bei ihm, dass er in jeder Einstellung raucht; schon das macht traurig.
Der Mann, der so viel Kraft hat
und so viel zu geben bereit war, ist mit dem Leben oder besser der Politik
seiner Heimat nicht fertig geworden. Das scheint mir der wahre Grund seiner
Resignation zu sein, genau wie es bei meinem Vater war. Als ich ihn einmal
fragte, warum er sich nicht gegen Hitler und seine Diktatur gewehrt hätte,
antwortete er: man wäre sofort an die Wand gestellt worden. Dabei hat er sich
durchaus mutig gezeigt, wie ich jetzt (bei Martins Hochzeit) erst von meinem
Bruder erfuhr. Er erzählte mir eine Episode, die mir vollkommen aus dem
Gedächtnis gefallen war: Unser Vater hätte sich einmal als Kapitän geweigert,
den Schmuck von SS-Leuten, den sie im Osten geplündert hatten, auf seinem
Schiff in den Westen zu transportieren.
Es ist vielleicht ein Zufall,
dass dieser Film ausgerechnet am 77. Jahrestag der Zerstörung Hamburgs durch
britische Bomber (am 29. Juli 1943: Operation Gomorrha)ausgestrahlt wurde. Der
Film spielt zwar in Hamburg, konnte jedoch wegen der zerstörten Stadt nur anfänglich dort gedreht werden, sondern musste ganz woanders (im damaligen Protektorat
Böhmen) fertiggestellt werden.
Mich beschäftigt noch der Film „Große
Freiheit Nr. 7“. Je mehr ich über ihn nachdenke, desto mehr sehe ich seine
tiefere Schicht. Anita (Hilde Hildebrandt) und Gisa/Lisa (Ilse Werner)
erscheinen mir immer mehr als die zwei Seiten der deutschen Volksseele, eine, die
mehr in die Vergangenheit, und eine, die mehr in die Zukunft schaut.
Anita ist die „Chefin“ von Hannes
Kröger (Hans Albers). Sie leitet das Hippodrom, in dem der „singende Seemann“
Abend für Abend auftritt und seine beliebten Lieder („La Paloma“ und „Auf der
Reeperbahn nachts um halb eins“) vorträgt, wobei er sich selbst am Akkordeon
begleitet. Anita ist etwa gleich alt mit ihm und kann auch singen. Ihr Lied „Beim
ersten Mal tut es noch weh“ ist vielsagend. Vordergründig ist es das Lied einer
typischen Seemannsbraut, die immer wieder verlassen wird, wenn ihr Geliebter wieder
hinausfährt auf die Weltmeere. Man kann das Lied aber auch so verstehen, dass die
Frau, die im Grunde ein Bordell betreibt, ihre Tugend verloren hat, so wie
Deutschland seine Tugend im Ersten Weltkrieg verloren hat: Der Film spielt in
einer Stadt, die im zweiten Weltkrieg zu 50 Prozent zerstört wurde. Dies wurde
jedoch nicht direkt thematisiert, ist aber der wahre Grund für die
melancholische und resignative Stimmung, die er ausstrahlt. Nach der
Fertigstellung im Jahre 1944 wurde der Film von Propagandaminister Goebbels
verboten und konnte erst nach dem Krieg in Deutschland am 6. September 1945 in
Berlin uraufgeführt werden. Selbst der Titel „Große Freiheit“ war den
Nationalsozialisten nicht geheuer, woraufhin ihm die Hausnummer 7 angefügt
wurde: „Große Freiheit Nr. 7“. Nach zwölf Jahren Diktatur und sechs Jahren Krieg
konnte das deutsche Volk so etwas wie eine „große Freiheit“ gebrauchen.
Obwohl Anita als alternde
Geliebte des Seemanns die ihm entsprechende Braut gewesen wäre, verliebt sich
Hannes in die jüngere Gisa, die er aus Süddeutschland nach Hamburg geholt und der
er eine Anstellung in einem Herrenausstatter-Geschäft besorgt hat. Gisa ist
tugendsam, ordentlich und hat Sinn für das Schöne. Sie wohnt in einem freien
Zimmer bei Hannes. Er kauft ihr ein Bett, sie räumt seine Wohnung auf und
schmückt sie mit neuen Gardinen und den Esstisch mit einer neuen Tischdecke. Aber
Gisa entscheidet sich schließlich für den jüngeren Werftarbeiter Georg Willem
(Hans Söhnker).
Gisa (Gisela) ist eigentlich
Gärtnerin, aber sie kann auch nähen. Georg Willem ist Werftarbeiter. Deutsche
Tüchtigkeit verkörpert sich in den beiden, die schließlich nach dem Krieg zum
deutschen Wirtschaftswunder führen wird. Hamburg ist eine Handels- und
Hafenstadt, von der aus Frachtschiffe hinaus in die ganze Welt fahren.
Im Grunde ging es im Ersten Weltkrieg
darum, dass die deutsche der britischen Flotte Konkurrenz machte, weshalb die
deutsche Handels- und die deutsche Kriegsmarine den Briten immer ein „Dorn im
Auge“ waren. Hamburg war – geistig gesehen – angreifbar, weil es im Zuge des
Handels und der Seefahrt auch das Laster beförderte: weltbekannt ist das
Vergnügungsviertel Sankt Pauli mit der Reeperbahn, einer Straße, in dem ein
Bordell neben dem anderen existiert, in denen „käufliche Liebe“ angeboten
wurde, die vor allem Matrosen wie Hannes Kröger und sein „verkommener“ Bruder,
der Gisa zuerst zu seiner Geliebten gemacht hatte, brauchten, da sie wegen ihrer
monatelangen Abwesenheit gar nicht treu sein konnten. Hannes Kröger spricht den
Grund einmal deutlich aus: „Ich bin halt ein Mann.“
Dass ihn ausgerechnet die tugendsame
Gisa interessiert, ist verständlich, obwohl er eher ihr Vater als ihr Ehemann
sein könnte. Hätte sie Ja zu ihm gesagt, hätte er seine Stelle im Hippodrom
aufgegeben, mit seinem dort verdienten Geld eine Barkasse gekauft und von
Hafenrundfahrten gelebt, also gleichsam einen Kompromiss gefunden: Dann hätte er eine
Arbeit auf dem Wasser und wäre doch immer in der Nähe des Landes. Die Barkasse,
die er im Auge hatte, hieß „Lisa“ (Elisabeth), aber er hätte sie, wie er es in
einem Traum schon vor sich sieht, Gisa getauft.
Auch für Hannes hätte Gisa eine
Hinwendung zu einem „bodenständigen“ Erwerb bedeutet, für den Deutschland auch
steht.
Dass sich Gisa für den jüngeren Georg
Willem entscheidet, hängt sicher auch mit ihrem Wunsch, Kinder zu bekommen,
zusammen. Als dieser sie einmal zum Tanz nach Blankenese einlädt, wirft er eine
Münze in einen Automaten, der wie ein Huhn gestaltet ist; es kommt ein Ei
heraus, das er Gisa schenkt. Später gesteht sie ihm, dass es dieses Ei war, das
sie überzeugt hat, sich für ihn zu entscheiden und nicht für Hannes, obwohl sie
sich zuvor noch lange und standhaft gegen seine Werbungen gewehrt hatte.
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