Eigentlich wollte ich aufräumen.
Aber dann sah ich im Fernsehprogramm, dass „Die Faust im Nacken“ (On the
Waterfront), der berühmte sozialkritische Film von Elia Kazan aus dem Jahre 1954
mit einem großartigen Marlon Brando auf Arte wiederholt wurde. Natürlich musste
ich mir den Film, den ich mir als Jugendlicher einmal bei einer Vorführung
außerhalb eines regulären Kinos angesehen hatte, endlich bewusst anschauen.
Es ist ein wahrhaft
bildgewaltiger Film, der stark an die moralischen Gefühle der Zuschauer
appelliert. Karl Malden spielt in diesem Film an der Seite von Marlon Brando
einmal eine positive Figur. Er ist der Pater, der Terry Malloy (Marlon Brando) hilft, zu seinem
Gewissen zu finden. Eva Marie Saint, die später mit Hitchcock (North by
Northwest) und noch später mit Wim Wenders (Don’t Come Knocking) zusammengearbeitet
hat, spielt in diesem Film ihre erste große Rolle als Edie Doyle. Lee J. Cobb
ist der abgrundtief böse Gewerkschaftsboss „Johnny Friendly“ und Rod Steiger
Therry Malloys Bruder Charley.
Elia Kazan hatte den
Stoff einer Reportage von Malcolm Johnson entnommen, die 1948 in der
amerikanischen Zeitschrift „New York Sun“ über die Situation der New Yorker
Hafenarbeiter berichtete und ein Jahr später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet
wurde. Im selben Jahr 1948 hatten die Autoren Robert Siodmak und Budd Schulberg
einen Drehbuchentwurf zum gleichen Thema verfasst. Auch Arthur Miller schrieb
in dieser Zeit ein Drehbuch zu dem Thema. Dieses schlugen Elia Kazan und Arthur
Miller 1951 Harry Cohn von Columbia Pictures vor. Das Projekt zerschlug sich,
als Cohn vorschlug, aus den korrupten Gewerkschaftern Kommunisten zu machen.
Schulberg und Kazan galten damals
in Hollywood selbst als Kommunisten und wurden vor den Ausschuss für
unamerikanische Umtriebe (HUAC) zitiert. Dort haben die beiden 1951 und 1952 die Namen von ehemaligen
linken Weggefährten genannt und galten dadurch als „Verräter“. Nachdem auch Twentieth-Century-Fox-Vize
Darryl F. Zanuck die Verfilmung abgelehnt hatte, wandten sich Kazan und
Schulberg an Sam Spiegel, der damals als unabhängiger Produzent arbeitete.
Bis auf Elia Kazan, einen griechisch-orthodoxen Christen, sind alle
Beteiligten jüdischer Abkunft.
Auch Joseph Pulitzer (1847 –
1911), der erfolgreiche Herausgeber der Zeitung „New York World“, die 1895 den
ersten farbigen Comic veröffentlicht hatte (The Yellow Kid) und damit der Begründer der „Yellow Press“ wurde, hatte jüdische Wurzeln: sein Vater war
ein wohlhabender ungarisch-jüdischer Viehhändler, seine Mutter eine strenge
Katholikin. Pulitzer, der 1868 in St. Louis (Missouri) von dem Deutschen Carl
Schurz als Reporter für die deutschsprachige Zeitung „Westliche Post“ engagiert
wurde, organisierte in seiner Zeitung
eine große Spendenaktion für den Bau eines Sockels für die Freiheitsstatue, die
1886 auf Liberty Island in der Hafeneinfahrt von New York aufgestellt wurde, um
die Immigranten zu begrüßen.[1]
Seit 1654 kamen auch jüdische
Emigranten in die USA, wie ein Video des „World Jewish Congress“ („Celebrating
Jewish-American Heritage Month“) zeigt, aus dem ich auch erfahre, dass seit
dem Jahre 1880 mehr als zwei Millionen osteuropäische Juden in die USA eingewandert
sind. Das änderte und formte den Charakter des amerikanischen Judentums – und
der amerikanischen Geschichte, behauptet das Video („It changed and shaped the Character
of American Jewery – and American History“). In dem Film wird auch die jüdische
Schriftstellerin Emma Lazarus erwähnt, die im Jahre 1883 das Sonett „The New
Colossus“ dichtete, das seit 1903 im Inneren des Sockels, in Bronze gegossen, den
Besucher empfängt. Ich kopiere es hier, weil es mir im Zusammenhang mit der
amerikanischen Geschichte als wichtig erscheint:
Not like
the brazen giant of Greek fame
With
conquering limbs astride from land to land
Here at
our sea-washed, sunset gates shall stand
A mighty
woman with a torch, whose flame
Is the
imprisoned lightning, and her name
Mother
of Exiles. From her beacon-hand
Glows
worldwide welcome; her mild eyes command
The air-bridged
harbor that twin cities frame.
“Keep,
ancient lands, your storied pomp!” cries she
With
silent lips. “Give me your tired, your poor,
Your
huddled masses yearning to breathe free,
The
wretched refuse of your teeming shore.
Send
these, the homeless, tempest-tossed to me:
I lift
my lamp beside the golden door.”[2]
Das Gedicht vergleicht die Freiheitsstatue, der Intention ihres Schöpfers folgend, mit dem Koloss aus der Hafeneinfahrt der griechischen Insel Rhodos, einer Statue, die als eines der sieben Weltwunder galt. Der Colmarer Bildhauer Frederic Auguste Bartholdy (1834 – 1904) hatte die Freiheitsstatue geschaffen, damit das französische Volk der jungen amerikanischen Nation ein Geschenk machen konnte. Er hatte ihr den Titel „La Liberte eclairant le monde“ (Die Freiheit die Welt erleuchtend) gegeben und damit nicht nur die Einwanderer begrüßen, sondern ihnen gleichzeitig die Philosophie Amerikas versinnlichen wollen: Amerika sollte – im Sinne der Freimaurer – ein aufgeklärter Staatenbund sein. Bartholdy selbst war seit 1874 durch seine „Einweihung“ in die Pariser Loge Alsace-Lorraine praktizierender Freimaurer.[3]
Man kann sagen, dass diese Freiheitsstatue eine Art geheimer Code für
die Zusammenarbeit freimaurerischer und jüdischer Kreise ist. Dass beide
Gruppen auch heute noch eng verbunden sind, sieht man deutlich am Stadtplan von
Paris, wo sich im Umkreis der Rue Cadet, dem Sitz des „Grand Orient de France“,
mindestens zehn Synagogen befinden.
Jüdische Kultur, so verkündet das Video des WJC, blühte in Amerika. Es
gab „allein in New York im frühen 20. Jahrhundert 22 jiddische Theater“. Von
1941 bis 1945 dienten über 500.000 jüdische Soldaten in der amerikanischen
Armee. Eine New Yorker Synagoge hatte 24 Stunden geöffnet, damit sich jüdische
Rekruten für den „D-Day“ einschreiben konnten. 2017 waren ungefähr zwei Prozent
der amerikanischen Bevölkerung jüdisch.
Die osteuropäischen Juden hatten sich in Hollywood „Ein eigenes Reich“
(An Empire of their own)[4]
geschaffen.
Wie die vorwiegend jüdischen Bolschewiki im kommunistischen Russland suchten
auch im kapitalistischen Amerika zahlreiche amerikanische Juden ihr Heil in der
Lehre von Karl Marx, ihres neuen Moses. Nachdem Hitler-Deutschland besiegt war,
brauchte die amerikanische Rüstungsindustrie dringend einen neuen Feind. Das
war das kommunistische Russland, das eben noch Amerikas Verbündeter war.
Mit Beginn des Kalten Krieges begann in Amerika eine wahre „Hexenjagd“
auf Kommunisten, wie sie zum Beispiel Arthur Miller (1915 – 2005) in seinem gleichnamigen Theaterstück (Amerikanisch:
The Crucible, 1953) thematisierte. Der jüdische Autor war eng mit Hollywood verbunden
und heiratete 1956 Marilyn Monroe, die Stilikone der Traumfabrik, die er durch
Elia Kazan kennen gelernt hatte. Die Schauspielerin trat ihm zuliebe sogar zum
jüdischen Glauben über.[5]
Die Hintergründe für die Verfolgung der Kommunisten in dem „Komitee für
unamerikanische Umtriebe“, das für immer mit dem Namen des Senators Joseph McCarthy
(1908 – 1957) verknüpft sein wird, aufzuklären, ist nicht ganz einfach. Natürlich
werden diese Geschehnisse von jüdischer Seite als „Verfolgung“ dargestellt. Es
scheint mir aber, dass diese Ausschüsse, geistig gesehen, wie eine Art
karmischer Ausgleich für die Nürnberger Prozesse gegen die nationalsozialistischen
Haupt-Kriegsverbrecher waren, in denen insbesondere jüdische Ankläger über die
Deutschen zu Gericht saßen.
Durch den Film „Faust im Nacken“ versucht Elia Kazan, der in den HUAC-Prozessen
ähnlich wie der Regisseur Edward Dmytrik Namen genannt hatte[6],
seine Vorgehensweise zu rechtfertigen. Er stellt den Chef der Gewerkschaft, der
nach dem historischen Vorbild von Michael Clemente („Mike Costello“), einem Paten
der Genueser Mafia in New York[7]
gezeichnet ist, als durch und durch korrupt dar. Will er damit sagen, dass auch
die Kommunisten in Hollywood „Böses“ im Schilde führten, ja vielleicht die amerikanische
Gesellschaft unterwandern wollten, so wie der „Mob“ die Gewerkschaften (The
International Longshoremen’s association, ILO) im Hafen von New York?
Die Gewerkschaften als Arbeitervertreter standen und stehen noch heute
eher links.
Dass Hollywood tatsächlich unter dem Einfluss jüdischer
Geschäftsmänner stand, die auch Kontakte zur Mafia pflegten, ist bekannt, seit
Dan E. Moldea 1986 sein Enthüllungsbuch „Dark Victory – Ronald Reagan, MCA, and
the Mob“ veröffentlichte. Diese Zusammenhänge deutet der Film nicht an, weil
sie damals wohl zu brisant gewesen wären. Aber alle in Hollywood wussten
Bescheid.
In dem Film spielt der Pater Barry (Karl Malden), der ebenfalls nach einer
historischen Persönlichkeit, dem Jesuitenpaters John M. Corridan (1911 – 1984)[8],
gezeichnet wurde, als Gegenspieler zu dem korrupten Gewerkschaftsboss „Johnny
Friendly“, die entscheidende Rolle. Er schafft es, Terry dazu zu bringen,
seinem Gewissen zu folgen und sich gegen seinen eigenen Bruder und den „Boss“
zu stellen. Natürlich spielt auch die Liebe zu Edie Doyle (Eva Maie Saint) eine
wichtige Rolle dabei.
Terry liebt Tauben.
Er hat einen Taubenschlag auf dem Dach des mehrstöckigen Reihenhauses,
in dem er als einfacher Hafenarbeiter wohnt. Zu Beginn schickt er Joey Doyle, Edies
Bruder, eine von dessen Tauben, die er eingefangen hatte. Als dieser sie in den
Taubenschlag zurückbringen will, wird er von Johnnys Männern vom Dach gestürzt.
Es sieht aus wie ein Unfall, war aber, was Terry sofort bemerkt, kaltblütiger Mord.
Es ist eine bittere Ironie, dass in dem Film ausgerechnet eine Taube, ein
Symbol des Friedens, als Mittel zu einem Verbrechen benützt wird.
Der Zeuge und Mittäter Terry wird nun bedroht; er solle der Polizei
keine Informationen geben, sonst könne ihm das gleiche passieren wie Joey. Dieser
hatte sich offenbar gegen die Machenschaften von Johnny Friendly aufgelehnt.
In dem Film stehen sich also zwei Parteien unversöhnlich gegenüber:
Die Partei der aufrechten Christen um den Pater Barry auf der einen Seite, die
Gangster von der Gewerkschaft auf der anderen Seite. Auch Edie Doyle wird deutlich als Christin gezeichnet: sie war auf einem christlichen
Internat der Ursulinen, weil sie Lehrerin werden will. Terry steht dazwischen. Dass
zum Schluss durch den Mut Terrys, der eigentlich Boxer werden wollte, die Guten
gewinnen und die Hafenarbeiter von ihrem korrupten Boss abfallen, erscheint
fast zu schön, um wahr zu sein, gibt aber dem Schwarz-Weiß-Film nach all der
Dramatik das ersehnte Happy End.
[2]
Diese Zeilen sprechen bewusst die Heimatlosen, die Armen, die Verfolgten an. Darunter
kann man in erster Linie die Juden verstehen, die wie Ahasver ohne Heimat durch
die Welt irren müssen, nachdem sie aus ihrem Land vertrieben worden waren. Die
Fackel, die sie in der Hand hält, verkündet das „Worldwide welcome“. Kabbalistisch
interpretiert taucht hier der hebräische Buchstabe „Waw“ auf, der wie in der
Kombination „worldwide web“ sicher nicht zufällig dreimal wiederholt wird.
[4]
Siehe das Buch von Neal Gabler: „Ein
eigenes Reich – Wie jüdische Emigranten „Hollywood“ erfanden“, Berlin Verlag
2004 (Original: 1988)
[6]
Edward Dmytryk, der christliche Regisseur ukrainischer Abstammung, hat seine
Erlebnisse vor dem Ausschuss 1996 unter dem Titel „Odd Man Out – A Memoir of
the Hollywood Ten“ veröffentlicht
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