Die im Jahre 1883 geborene Gabrielle
Chanel war 33 Jahre, als sie – mitten im Ersten Weltkrieg – zum ersten Mal ihre
Kreationen in Paris mit Gewinn verkaufen konnte und sich dadurch als „Coco“
Chanel (1883 – 1971) einen Namen machte[1].
Gestern Abend zeigte Arte den französischen
Spielfilm „Chanel avant Coco“ (Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft) von Anne Fontaine aus dem Jahr
2008. Audrey Toutou spielte die weltberühmte Modemacherin überzeugend.
Anschließend kam ein Porträt[2] mit dokumentarischem
Charakter, in dem ich diese Persönlichkeit unverklärt kennen lernte.
Durch Film und Dokumentation habe
ich den Eindruck gewonnen, dass die ehemalige „Kokotte“ Chanel ein bösartiges,
geldgieriges Weib war, das zwar die Frauen vom Korsett befreit, aber ihnen
gleichzeitig etwas von ihrer Weiblichkeit genommen hat, indem sie Kleider
entworfen hat, die ihnen einen eher männlichen Charakter gegeben haben. Coco
Chanel gilt als „Erfinderin“ der kurzhaarigen, in schwarzen Männerkostümen
gekleideten Garconne der 20er Jahre.
Sie versammelte Künstler wie Pablo
Picasso, Igor Strawinsky oder Jean Cocteau um sich und gehörte zu jener Pariser
Elite, die das Leben der 20er Jahre nachhaltig beeinflusst hat. Sie ist im
Augenblick für mich das weibliche Gegenstück zu Ernest Hemingway, wenn auch 16
Jahre älter.
Coco Chanel war nie verheiratet,
sie verbreitete Legenden über ihre Herkunft und hatte keine Skrupel, das
Publikum systematisch zu belügen. Sie schlief mit jedem, der ihr gefiel und der
ihr auf der Karriereleiter nach oben helfen konnte. Sie wollte nur eins: reich
werden. Dazu verhalf ihr schließlich ein reicher Jude namens Pierre Wertheimer[3], der ihr Parfüm „Chanel No.
5“ vermarktete. Für die Marke Chanel begann 1975, vier Jahre nach dem Tod der
Gründerin, auch Karl Lagerfeld zu arbeiten, der deutsche Designer aus Hamburg,
der vor kurzem gestorben ist.
Das Broadway-Musical „Coco“ mit
der Musik von Alan Jay Lerner und Andre Previn[4] machte die damals
87-jährige „berühmteste Modeschöpferin der Welt“ 1970 noch zu Lebzeiten zur
Legende. Eine andere Legende spielte in der Aufführung „Coco“: Katherine
Hepburn. Ihr Aufstieg vom Waisenmädchen zu einer der reichsten Frauen
Frankreichs kommt tatsächlich einem profanen Wunder gleich.
Gabrielle Bonheur Chanel wird am
19. August 1883 als Tochter einer Weißnäherin und eines Straßenhändlers in
Saumur an der Loire geboren. Als sie 12 Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter Jeanne
mit 32 Jahren an Tuberkulose und ihr Vater verschwindet. „Fifi“, wie das bis
dahin fröhliche Mädchen hieß, muss mit ihren Geschwistern ins Waisenhaus.
Später sagt sie, sie sei damals „gestorben“. Vielleicht erklärt das ihr
ernstes, beinahe männliches Gesicht, das auch Audrey Toutou so überzeugend
„spielt“.
Bei den Nonnen von der
Kongregation der „Barmherzigen Schwestern vom Herz Marias“, die das Waisenhaus führten, lernt sie nähen.
Sie verlässt das Waisenhaus mit
ihrer Schwester mit 20 Jahren und trägt in dem Variete „Rotonde“ in Moulins
Lieder vor. Sie lernt den Industriellen-Erben Etienne Balsan kennen, der bei
Compiegne in einem Schloss wohnt und mit seinen zahlreichen Freunden Jagden und
Partys feiert oder mit seinen Pferden an Pferderennen teilnimmt. So lernt sie
als Geliebte des reichen Mannes die Haute-Volee von Paris kennen, schneidert
Hüte für seine Freundinnen, öffnet Boutiquen in Deauville, Biarritz und Paris. Ihr Wohnhaus
in der Rue Faubourg Saint Honore in Paris, das sie 1923 bezieht, bildet nun die
erste Adresse der Modeschöpferin.
Das Kapital für die Eröffnung
ihrer Modeboutiquen hatte sie nicht von Etienne Basan, sondern von dessen
Freund, dem reichen britischen Minenbesitzer Arthur Capel („Boy“) bekommen, der
zu ihrer ersten großen Liebe wurde. Ihn verlor sie jedoch am 21. Dezember 1919
durch einen Autounfall.
1921 und 1922 hatte Coco Chanel
eine Liaison mit Dimitri Pawlowitsch Romanow, dem Cousin von Zar Nikolaus II.
und Enkel von Zar Alexander II.
„Durch den Großfürsten ließ sich Coco Chanel
in ihren folgenden Modekollektionen von russischen Pelzmänteln und Stickereien
sowie byzantinischem Schmuck inspirieren. Über ihn lernte sie auch den
französischen Parfümeur am Zarenhof, Ernest Beaux, kennen, mit dem sie 1921 ihr
erstes Parfüm, Chanel No. 5, kreierte.“ [5]
Das finde ich interessant, weiß
ich doch, dass viele Russinnen Chanel-Parfüme lieben. So hat mir Lena zu
Weihnachten 2015 eine Flasche „Bleu de Chanel“ geschenkt, weil sie den Duft
selber mag.
Auch mit dem russischen Komponisten
Igor Strawinsky hatte Coco, die nie verheiratet war, eine Beziehung. Sie
finanzierte 1920 die Wiederaufnahme seines revolutionären Ballets „Sacre de
Printemps“.
Von 1924 bis 1930 war sie die
Geliebte des reichsten Mannes von England: Der Aristokrat Hugh Grosvenor war
der zweite „Duke of Westminster“ (1879 – 1953). Auf seinen Einfluss sind zum
Beispiel die Ideen zu Tweedjacken, kurzen Pullovern und Hosen für Damen
zurückzuführen. Über den Duke bekam sie auch persönlichen Kontakt zu Premierminister Winston
Churchill.
Nachdem sie bereits in den 30er Jahren den Kleidungsstil von Film-Ikonen wie Greta Garbo und Marlene Dietrich geprägt hatte, wurde Coco Chanel in den 60er Jahren zur „Stilberaterin“ für die deutsche Schauspielerin Romy Schneider. Die
Modeikone habe „ihr Leben von Grund auf verändert“, erzählte Romy später.
Edmonde Charles-Roux, die erste
Biographin von Coco Chanel, behauptet in ihrem Buch „L’Irreguliere ou mon
Itineraire Chanel“, dass der strenge Stil der Zisterzienser-Architektur des
Waisenhauses der Ordensschwestern in Aubazine den schlichten, reduzierten
Stil der späteren Modedesignerin geprägt habe. Heute sei, so wird in der
Film-Dokumentation[6]
gesagt, Aubazine zu einem Wallfahrtsort für Chanel-Anhänger geworden:
Bewunderer erkennen in den Glasfenstern das aus zwei, Rücken an Rücken
gezeichneten „C“ gebildete Logo von CC.
Auch die Sterne auf dem Fußboden des Kreuzganges werden zu einem immer
wiederkehrenden Motiv ihrer Kreationen.
Für mich ist es interessant, wie
ein vollkommen verweltlichter weiblicher Zögling von katholischen
Ordensschwestern die sakralen Motive in ihrer Mode aufnimmt und sie dadurch in
gewisser Weise profaniert. Diese Vorgehensweise kann man bei vielen Künstlern
im 20. Jahrhundert beobachten. Ich möchte an dieser Stelle nur die beiden
Filmregisseure Alfred Hitchcock oder Luis Bunuel nennen, die einst von Jesuiten
erzogen wurden.
Dadurch, so empfinde ich, wird
der einst spirituelle Gehalt des christlich-katholischen Glaubens systematisch ausgehöhlt
und vollkommen andere Inhalte können sich der Formen bemächtigen.
Die ganze Modewelt ist seit Coco im
Grunde das exakte Gegenbild zu der Bekleidungskultur der einstigen geistlichen Orden:
Stola, Skapulier, Tunika und all die anderen Kleidungsstücke bis hinauf zu den
Bischofs-, Kardinal, und Papst-Hüten, hatten einst noch einen tiefen
spirituellen Bezug. Heute dient die
Bekleidung den Eitelkeiten reicher Frauen, die in ihrer Langeweile jeden
Frühling und Herbst Stücke der neuesten Kollektionen in ihren Kleiderschränken unterbringen
müssen, um sie vielleicht ein einziges Mal anzuziehen.
Ich habe nichts gegen Chic. Im
Gegenteil.
Aber das, was in der Modewelt heute
in der Regel an Extravaganz für exorbitante Preise geboten wird, hat für mich
nichts mehr mit Schönheit zu tun.
Als ich vor Jahren einmal eine
Boutique in der „Kö“ von Düsseldorf betrat, um mich umzuschauen, wurde ich mit
den Worten „Wir haben sicher nichts für Sie!“ wieder hinauskomplimentiert.
[1]
Die amerikanische Modezeitschrift „Vogue“ erklärte 1916 Chanels Mode zum
„Inbegriff der Eleganz“
[2]
„Coco Chanel, die Revolution der Eleganz“ (Les Guerres de Coco Chanel) von Jean
Lauritano, Frankreich 2018: https://www.arte.tv/de/videos/081552-000-A/coco-chanel-die-revolution-der-eleganz/
[3]
Seit 1974 sind die Enkel Alain und Gerard Wertheimer die alleinigen Inhaber des
Modehauses.
[4]
Der jüdische Komponist des Musicals „My Fair Lady“ ist vor ein paar Tagen
gestorben.
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