Montag, 4. März 2019

Wie die Eitelkeiten moderner, reicher Frauen befördert wurden - Gedanken zu einem Film und einer Dokumentation über Coco Chanel.





Die im Jahre 1883 geborene Gabrielle Chanel war 33 Jahre, als sie – mitten im Ersten Weltkrieg – zum ersten Mal ihre Kreationen in Paris mit Gewinn verkaufen konnte und sich dadurch als „Coco“ Chanel (1883 – 1971) einen Namen machte[1].
Gestern Abend zeigte Arte den französischen Spielfilm „Chanel avant Coco“ (Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft) von Anne Fontaine aus dem Jahr 2008. Audrey Toutou spielte die weltberühmte Modemacherin überzeugend. Anschließend kam ein Porträt[2] mit dokumentarischem Charakter, in dem ich diese Persönlichkeit unverklärt kennen lernte.
Durch Film und Dokumentation habe ich den Eindruck gewonnen, dass die ehemalige „Kokotte“ Chanel ein bösartiges, geldgieriges Weib war, das zwar die Frauen vom Korsett befreit, aber ihnen gleichzeitig etwas von ihrer Weiblichkeit genommen hat, indem sie Kleider entworfen hat, die ihnen einen eher männlichen Charakter gegeben haben. Coco Chanel gilt als „Erfinderin“ der kurzhaarigen, in schwarzen Männerkostümen gekleideten Garconne der 20er Jahre.
Sie versammelte Künstler wie Pablo Picasso, Igor Strawinsky oder Jean Cocteau um sich und gehörte zu jener Pariser Elite, die das Leben der 20er Jahre nachhaltig beeinflusst hat. Sie ist im Augenblick für mich das weibliche Gegenstück zu Ernest Hemingway, wenn auch 16 Jahre älter.
Coco Chanel war nie verheiratet, sie verbreitete Legenden über ihre Herkunft und hatte keine Skrupel, das Publikum systematisch zu belügen. Sie schlief mit jedem, der ihr gefiel und der ihr auf der Karriereleiter nach oben helfen konnte. Sie wollte nur eins: reich werden. Dazu verhalf ihr schließlich ein reicher Jude namens Pierre Wertheimer[3], der ihr Parfüm „Chanel No. 5“ vermarktete. Für die Marke Chanel begann 1975, vier Jahre nach dem Tod der Gründerin, auch Karl Lagerfeld zu arbeiten, der deutsche Designer aus Hamburg, der vor kurzem gestorben ist.
Das Broadway-Musical „Coco“ mit der Musik von Alan Jay Lerner und Andre Previn[4] machte die damals 87-jährige „berühmteste Modeschöpferin der Welt“ 1970 noch zu Lebzeiten zur Legende. Eine andere Legende spielte in der Aufführung „Coco“: Katherine Hepburn. Ihr Aufstieg vom Waisenmädchen zu einer der reichsten Frauen Frankreichs kommt tatsächlich einem profanen Wunder gleich.
Gabrielle Bonheur Chanel wird am 19. August 1883 als Tochter einer Weißnäherin und eines Straßenhändlers in Saumur an der Loire geboren. Als sie 12 Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter Jeanne mit 32 Jahren an Tuberkulose und ihr Vater verschwindet. „Fifi“, wie das bis dahin fröhliche Mädchen hieß, muss mit ihren Geschwistern ins Waisenhaus. Später sagt sie, sie sei damals „gestorben“. Vielleicht erklärt das ihr ernstes, beinahe männliches Gesicht, das auch Audrey Toutou so überzeugend „spielt“.
Bei den Nonnen von der Kongregation der „Barmherzigen Schwestern vom Herz Marias“, die das  Waisenhaus führten, lernt sie nähen.
Sie verlässt das Waisenhaus mit ihrer Schwester mit 20 Jahren und trägt in dem Variete „Rotonde“ in Moulins Lieder vor. Sie lernt den Industriellen-Erben Etienne Balsan kennen, der bei Compiegne in einem Schloss wohnt und mit seinen zahlreichen Freunden Jagden und Partys feiert oder mit seinen Pferden an Pferderennen teilnimmt. So lernt sie als Geliebte des reichen Mannes die Haute-Volee von Paris kennen, schneidert Hüte für seine Freundinnen, öffnet Boutiquen in Deauville, Biarritz und Paris. Ihr Wohnhaus in der Rue Faubourg Saint Honore in Paris, das sie 1923 bezieht, bildet nun die erste Adresse der Modeschöpferin.
Das Kapital für die Eröffnung ihrer Modeboutiquen hatte sie nicht von Etienne Basan, sondern von dessen Freund, dem reichen britischen Minenbesitzer Arthur Capel („Boy“) bekommen, der zu ihrer ersten großen Liebe wurde. Ihn verlor sie jedoch am 21. Dezember 1919 durch einen Autounfall.
1921 und 1922 hatte Coco Chanel eine Liaison mit Dimitri Pawlowitsch Romanow, dem Cousin von Zar Nikolaus II. und Enkel von Zar Alexander II.
 „Durch den Großfürsten ließ sich Coco Chanel in ihren folgenden Modekollektionen von russischen Pelzmänteln und Stickereien sowie byzantinischem Schmuck inspirieren. Über ihn lernte sie auch den französischen Parfümeur am Zarenhof, Ernest Beaux, kennen, mit dem sie 1921 ihr erstes Parfüm, Chanel No. 5, kreierte.“ [5]
Das finde ich interessant, weiß ich doch, dass viele Russinnen Chanel-Parfüme lieben. So hat mir Lena zu Weihnachten 2015 eine Flasche „Bleu de Chanel“ geschenkt, weil sie den Duft selber mag.
Auch mit dem russischen Komponisten Igor Strawinsky hatte Coco, die nie verheiratet war, eine Beziehung. Sie finanzierte 1920 die Wiederaufnahme seines revolutionären Ballets „Sacre de Printemps“.
Von 1924 bis 1930 war sie die Geliebte des reichsten Mannes von England: Der Aristokrat Hugh Grosvenor war der zweite „Duke of Westminster“ (1879 – 1953). Auf seinen Einfluss sind zum Beispiel die Ideen zu Tweedjacken, kurzen Pullovern und Hosen für Damen zurückzuführen. Über den Duke bekam sie auch persönlichen Kontakt zu Premierminister Winston Churchill.
Nachdem sie bereits in den 30er Jahren den Kleidungsstil von Film-Ikonen wie Greta Garbo und Marlene Dietrich geprägt hatte, wurde Coco Chanel in den 60er Jahren zur „Stilberaterin“ für die deutsche Schauspielerin Romy Schneider. Die Modeikone habe „ihr Leben von Grund auf verändert“, erzählte Romy später.
Edmonde Charles-Roux, die erste Biographin von Coco Chanel, behauptet in ihrem Buch „L’Irreguliere ou mon Itineraire Chanel“, dass der strenge Stil der Zisterzienser-Architektur des Waisenhauses der Ordensschwestern in Aubazine den schlichten, reduzierten Stil der späteren Modedesignerin geprägt habe. Heute sei, so wird in der Film-Dokumentation[6] gesagt, Aubazine zu einem Wallfahrtsort für Chanel-Anhänger geworden: Bewunderer erkennen in den Glasfenstern das aus zwei, Rücken an Rücken gezeichneten „C“  gebildete Logo von CC. Auch die Sterne auf dem Fußboden des Kreuzganges werden zu einem immer wiederkehrenden Motiv ihrer Kreationen.
Für mich ist es interessant, wie ein vollkommen verweltlichter weiblicher Zögling von katholischen Ordensschwestern die sakralen Motive in ihrer Mode aufnimmt und sie dadurch in gewisser Weise profaniert. Diese Vorgehensweise kann man bei vielen Künstlern im 20. Jahrhundert beobachten. Ich möchte an dieser Stelle nur die beiden Filmregisseure Alfred Hitchcock oder Luis Bunuel nennen, die einst von Jesuiten erzogen wurden.
Dadurch, so empfinde ich, wird der einst spirituelle Gehalt des christlich-katholischen Glaubens systematisch ausgehöhlt und vollkommen andere Inhalte können sich der Formen bemächtigen.
Die ganze Modewelt ist seit Coco im Grunde das exakte Gegenbild zu der Bekleidungskultur der einstigen geistlichen Orden: Stola, Skapulier, Tunika und all die anderen Kleidungsstücke bis hinauf zu den Bischofs-, Kardinal, und Papst-Hüten, hatten einst noch einen tiefen spirituellen Bezug. Heute dient die Bekleidung den Eitelkeiten reicher Frauen, die in ihrer Langeweile jeden Frühling und Herbst Stücke der neuesten Kollektionen in ihren Kleiderschränken unterbringen müssen, um sie vielleicht ein einziges Mal anzuziehen.
Ich habe nichts gegen Chic. Im Gegenteil.
Aber das, was in der Modewelt heute in der Regel an Extravaganz für exorbitante Preise geboten wird, hat für mich nichts mehr mit Schönheit zu tun.
Als ich vor Jahren einmal eine Boutique in der „Kö“ von Düsseldorf betrat, um mich umzuschauen, wurde ich mit den Worten „Wir haben sicher nichts für Sie!“ wieder hinauskomplimentiert.



[1] Die amerikanische Modezeitschrift „Vogue“ erklärte 1916 Chanels Mode zum „Inbegriff der Eleganz“
[2] „Coco Chanel, die Revolution der Eleganz“ (Les Guerres de Coco Chanel) von Jean Lauritano, Frankreich 2018: https://www.arte.tv/de/videos/081552-000-A/coco-chanel-die-revolution-der-eleganz/
[3] Seit 1974 sind die Enkel Alain und Gerard Wertheimer die alleinigen Inhaber des Modehauses.
[4] Der jüdische Komponist des Musicals „My Fair Lady“ ist vor ein paar Tagen gestorben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen