Ich war schon lange nicht mehr so
deprimiert wie heute Morgen, als ich aufwachte und nicht die geringste Lust
hatte, aufzustehen. Mein Kopf ist dumpf und schwer.
Ich weiß nicht, warum ich mir
Manches zumute, von dem ich genau weiß, dass es mir nicht gut tut. Gestern bin
ich einmal wieder an meine Grenze gegangen.
Wir hatten im Kaufland günstige
Zwetschgen gekauft, anderthalb Kilo für nicht einmal einen Euro, und
beschlossen, einen Zwetschgenkuchen zu backen. Ich hatte schon früher Hefeteig
gemacht, aber noch nie selbst einen Zwetschgenkuchen gebacken. Trotzdem ging
ich optimistisch ans Werk. Lena saß dabei und schaute zu. Sie hatte noch nie
einen Zwetschgenkuchen, diese typisch deutsche Delikatesse der Michaeli-Zeit,
gebacken.
Während der Hefeteig ging, hatte
ich die vollkommen blöde Idee, mit Lena eine DVD anzuschauen, von der ich
eigentlich wissen konnte, dass sie ihr nicht gefallen würde: „Showgirls“ (USA
1995) von Paul Verhoeven.
Lena merkte bald, dass auch
dieser Regisseur krank im Kopf sein musste, als er diesen Film machte. Ich will
gar nicht mehr daran denken, wie abartig diese Glitzerwelt von Las Vegas ist,
die der Film zeigt. Es dreht sich alles nur um Sex. Die Frauen werden
ausgebeutet, um männliche Widerlinge, die aus irgendeinem Grunde an Geld
gekommen waren, zu amüsieren. Und das ekelhafteste ist: sie lassen sich
bereitwillig ausbeuten.[1]
Natürlich ist der Film gut
gemacht und er gibt wohl eine zutreffende Einsicht in dieses „Business“ und in
die Endphase des „american way of life“, wie sie verkommener nicht mehr sein
kann. Aber warum zeige ich das ausgerechnet meiner reinen slawischen Seele?
Während wir schauen, schiebe ich
den Kuchen in den Backofen und lasse ihn eine halbe Stunde backen, leider bei
der falschen Temperatur: ich stelle auf 180° statt auf 220°. So bleibt der
Kuchen sehr hell und die Zwetschgen geben zu viel Saft ab, der eigentlich durch
die Hitze hätte verdampfen sollen. Als der Kuchen fertig ist, lassen wir ihn
abkühlen und nach einer weiteren halben Stunde „kosten“ wir ihn. Er ist zwar
lange nicht so gut geraten wie die Zwetschgenkuchen meiner Mutter, aber Lena
wünscht sich noch ein zweites Stück.
Inzwischen habe ich auf „Servus
TV“ umgeschaltet, einen österreichischen Sender, der in meiner Fernbedienung gleich
nach Arte auf dem fünften Sendeplatz kommt (Ich bin zu „dumm“, um die Sendeplätze
so zu ordnen, wie ich sie möchte). Zuerst sehen wir die zweite Hälfte der
britischen Satire „Toast“ (GB 2010), in der die neue Frau (Helena Bonham Carter) eines Mannes, der
seinen Jungen Nigel nach dem Tod seiner ersten Frau allein erzieht, so bekocht,
dass er immer fetter wird und schließlich stirbt. Der Junge, aus dessen
Perspektive der abartige Film erzählt wird, ist später, wie im Abspann bekannt
gegeben wird, einer der bekanntesten Fernsehköche des Landes (Nigel Slater)
geworden.
Im Anschluss daran zeigt „Servus
TV“ (klingt wie Klopapier) den abartigsten Film, den ich je gesehen habe: „No
Country for Old Men“.
Der Film der Brüder Ethan und
Joel Coen aus dem Jahr 2007 bekam vier Oscars und zahlreiche andere Preise und
wurde von der Kritik hoch gelobt. Es stimmt, er ist perfekt gemacht; aber er
hat so eine üble Moral, dass ich als Zuschauer dagegen innerlich eine starke
positive Gegenkraft aktivieren muss, um diese teuflische Geschichte zu
ertragen. Javier Bardem spielt in dem
Film das absolut Böse, den Killer Anton Chigurh, eine Art vollkommen
gefühllosen, soratischen Teufel, der zum
Schluss sogar noch triumphiert.
Natürlich ist der Film, ähnlich
wie „Showgirls“, eine Metapher über den aktuellen Zustand Amerikas, in dem alte
Männer vom Schlag des Sheriffs Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones) keinen Platz mehr
zu haben scheinen. Sein michaelischer Kampf für das Gute scheitert und er setzt
sich resigniert zur Ruhe.
Im modernen Amerika dreht sich offenbar
alles nur noch um das Geld. Sogar der positive Held Liewelyn Moss (Josh Brolin)
entwickelt sich durch den Fund einer Million aus dem mexikanischen Drogenhandel
zum Räuber und wird gnadenlos vom Teufel
Bardem verfolgt und schließlich zur Strecke gebracht.
Die Filme der jüdischen
Coen-Brüder erscheinen mir ein wenig wie die Gegenstücke zu Quentin Tarantinos
Filmen. Die Filme dieser Regisseure sind absolut perfekt gemacht und spielen durch
schöne Bilder, Schock-Momente und passende Musik meisterhaft mit den Gefühlen
der Zuschauer. Aber sie führen den Zuschauer auch in eine Art
Hoffnungslosigkeit, die besonders das jugendliche Publikum, das auf solche
Filme „abfährt“, jeder Perspektive beraubt. Deswegen können sie nur Erzeugnisse
ahrimanischer Inspiration sein.
Brad Pitt, einer der bevorzugten
Schauspieler Tarantinos, sagte einmal über seinen Regisseur: „Das Set ist die
Kirche, Quentin ist Gott, sein Drehbuch ist die Bibel, und Ketzer sind nicht
zugelassen.“ (Haller Tagblatt vom 7.9.2018). Das drückt sehr gut den
antichristlichen Charakter dieses filmbesessenen, aber vollkommen kranken
Regisseurs aus. Man kann in Hollywood heute krank sein und doch geniale Filme
machen, mit denen Hollywood- Studios wie zum Beispiel die
Weinstein Company einen Haufen Geld verdienen.
Wie schön waren dagegen die Winnetou-Filme
aus meiner Jugend. Sie waren zwar vollkommen unrealistisch, aber ihre Moral
stimmte: es ging um Freundschaft und den stets erfolgreichen Kampf der Guten
gegen die Bösen.
Solche bösen Teufel wie die Figur
des Javier Bardem hat es damals nicht einmal im Italo-Western gegeben, wenn ich
einmal von dem Corbucci-Film „Il Grande Silencio“ (Leichen pflasterten seinen
Weg, Italien 1968) absehe, in dem der teuflische Klaus Kinski am Schluss über
den guten Jean-Louis Trintignant triumphiert.
Aber diese Filme waren stets ab
18 und haben so zumindest die unreifsten jugendlichen Seelen nicht erreicht,
wenn sie es nicht doch, wie ich, trotzdem ins Kino geschafft haben.
Lena schlief nach den ersten zehn
Minuten an meiner Seite ein; Gott sei Dank!
Ich aber blieb hellwach und
schaute das Meisterwerk bis zum Ende mit wachsendem Interesse an. Es war eine
hervorragende Möglichkeit, das Böse und seine Wirkungen auf die Seele zu
studieren.
Eine sehr gute Filmanalyse findet man im Internet:
Eine sehr gute Filmanalyse findet man im Internet:
Das Besondere an dem Film „No
Country for Old Men” ist in der Tat die Figur des Bösen. Der Zuschauer weiß nicht, woher
Anton Chigurh kommt und wer sein Auftraggeber ist. Er ist einfach da und
handelt mit einer Gefühllosigkeit und Sicherheit, die erschreckt. Nichts
scheint sich ihm in den Weg stellen zu
können. Er scheint unbesiegbar wie die Terminator-Maschine aus dem James-Cameron-Film
des Orwell-Jahres 1984, die aus der Zukunft in die Gegenwart kam, um den
einzigen Mann zu töten, der dem Bösen noch hätte gefährlich werden können, das
sich in der Zukunft mit Hilfe der von der Firma „Skynet“ entwickelten
„Künstlichen Intelligenz“ die Erde untertan machen will, eine Vision, der wir
heute wieder etwas näher gekommen sind.
In „No Country for Old Men“ hat der „Terminator“ nicht mehr ein
technisches Innenleben. Sein Körper besteht aus Fleisch, Blut und Knochen,
nicht aus künstlichen Maschinenbauteilen: Als bei einer Schießerei mit Moss
sein Bein verletzt wird, operiert er sich selbst, nachdem er alles Nötige in
einer Apotheke geraubt hat. Als er gegen Ende ein Auto rammt, weil er im
Rückspiegel zwei Knaben beobachtet hat, die ihn mit ihren Fahrrädern ein paar
Meter „verfolgt“ hatten, wird sein Arm verletzt, so dass ein zersplitterter
Knochen herausschaut. Er bittet einen der Knaben um das Hemd, zahlt sogar
ordentlich dafür, obwohl der Junge nichts möchte, macht sich eine Armbinde und
zieht zu Fuß weiter.
Nur eine Seele scheint „der neue
Prometheus“ nicht zu haben.
Anton Chigurh ist ständig in
Bewegung und mordet scheinbar ziellos und ohne Motiv.
Einmal lässt er einem Tankstellenpächter das Leben, weil er beim Werfen einer Münze nach beharrlichem
Fragen durch den Killer schließlich – reiner Zufall – die richtige Antwort
gibt: Kopf. Die Freundin von Moss tötet er, weil sie die falsche Antwort
gegeben hatte.
Einmal sagt der Killer: I arrived
here the same way that coin did” (Ich kam auf dem gleichen Weg hier her, wie die
Münze).
Der Film spielt wie die 2005
erschienene Vorlage, der Roman des katholischen Pulitzer-Preisträgers Cormac
McCarthy (geboren 1933), im Jahr 1980. Das verrät der Böse selbst, als er dem
Tankwart sagt, dass die Münze, die er eben geworfen hat, im Jahr 1958 geprägt
wurde und dass sie 22 Jahre gebraucht habe, um an ihr Ziel zu kommen. Der
wesentlich ältere Tankwart fragt, was er denn gewinnen könne, wenn er bei der
Wette mitmacht. Chigurh erwidert: „alles“ und meint: „Das Leben“.
Chigurh funktioniert wie der
„Zufall“, der über Leben und Tod entscheidet. Dieser „Wurf“ der Münze ist ein
Schlüssel zu seinem Wesen. Es geht ihm nicht um die zwei Millionen Drogengeld,
das Moss geklaut hat. Es geht ihm um „alles“, also um Tod und Leben. Er handelt
offensichtlich im Auftrag eines unsichtbaren Wider-Gottes, der ihm diese Macht
verliehen hat. Das ist das Unheimliche an dem Film: Solche Wesen in
menschlicher Hülle scheinen tatsächlich über die Erde zu wandeln und eine
„Spur“ zu hinterlassen. Immer wieder sieht man, wie Cthuluh[1], so
nenne ich ihn in Anlehnung an eine Figur von H.P. Lovecraft (1890 – 1937), auf
die Spur seiner Schuhe blickt, die einmal sogar blutig ist.
Für den Killer sind Menschen
Vieh. So tötet er mit Vorliebe mit einem Bolzenschussgerät. Das Böse in dem
Film erscheint unmenschlich, unbesiegbar, intelligent und konsequent. Chigurh
verfolgt sein Opfer, bis er es erreicht, wie die Frau von Moss, die er nur
deshalb tötet, weil er es Moss angekündigt hatte: „Ich habe es versprochen.“
Moss war der Held in dem Film,
der Gegenspieler des Bösen. Der Zuschauer erwartet, dass am Ende des Films der
„Show-Down“, das obligatorische Duell zwischen Gut und Böse stattfindet, wie es
in unzähligen Western der Fall war. Aber der verblüffte Zuschauer wird
„enttäuscht“: das Duell findet nicht statt.
Wir sehen Moss später tot in
einem Hausflur liegen. Auch der Sheriff schafft es nicht, Chigurh zu fangen. Er
begibt sich unverrichteter Dinge in seinen Ruhestand. Der Archetyp aus allen Märchen,
dass das Gute das Böse besiegt, wird im Zuschauer nicht aktiviert. Deshalb ist er
unterbewusst extrem irritiert.
In Moss haben wir den Underdog,
den Selbst-Made-Man und Vietnam-Kämpfer, einen der typischen Helden des amerikanischen
Traums. Er ist auch ein Archetyp, einer der unzähligen mythischen Figuren des
amerikanischen Kinos. Er hätte der ebenbürtige Gegner des Killers sein können.
Aber ihn erreicht die tödliche Kugel
vor dem Ende des Films. Der Zuschauer bleibt auf seinen Hoffnungen sitzen und versteht
nicht.
Auch der Sheriff ist eine mythische Figur des amerikanischen Kinos, die
in anderen Western (zum Beispiel „Pat Garret jagt Billy the Kid“) schließlich
den Bösen und seine Helfer zur Strecke bringt. Aber in „No Country for Old Men“
versagt auch der erfahrene Sheriff. Auch er kann die Menschen nicht mehr vor dem
Bösen schützen.
Das einmal losgelassene Wesen, das direkt aus
der Hölle zu kommen scheint, findet keinen Gegner mehr auf Erden und wird mit
Sicherheit weiter morden. Es ist zwar lädiert, aber es wird sich – wie der Terminator – wieder regenerieren.
Der Film spielt, wie gesagt, im
Jahre 1980 im Bundesstaat Texas. Die Städte El Paso und Pecos werden erwähnt.
Im Roman werden all die Orte, an denen der Killer seine Opfer findet, genannt,
so dass der Leser die Blutspur auf einer Landkarte verfolgen kann.
1980 wurde der
Ex-Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan (1911 – 2004) zum 40. Präsidenten der
USA gewählt. Er regierte von 1981 bis 1989 und prägte die USA und die Welt
durch seine neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik, die am 15. September
2008, also ein Jahr nach dem Erscheinen des Films, in einem ersten großen Crash
ein vorläufiges Ende fand. In diesen Tagen gedenkt zum Beispiel „Der Spiegel“
in seiner neuesten Ausgabe (Nr. 37/2018) des Ereignisses.
Im Film geht es um zwei Millionen
Dollar und um eine Münze. Bei der
Bankenkrise ging es um hunderte von Milliarden Dollar und um „The stupid German
Money“.
[1] Zum
ersten Mal wird diese Figur in dem Comic „The Call of Cthulhu“ beschrieben, der
1928 erschien.
[1] Über den
Film habe ich schon einmal eine ausführlichere Kritik verfasst. Siehe: http://johannesws.blogspot.com/2018/01/vergewaltigungsfabriken-anmerkungen-zu.html
Ich habe mir auch schon die Frage gestellt, warum werden solche Filme produziert? Und, warum schaut man sie sich überhaupt an. Das Böse siegen zu sehen, ist kaum erträglich. Ganz gleich ob auf der Leinwand, oder im realen Leben. Was macht das mit uns? Den Sinn der drei asiatischen Affen ("Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen") hatte ich als Kind nie verstanden. Bis ich von der Ergänzung "...nichts böses" hörte. Also war gemeint, wer die Einfallstore zur Seele für das Böse verschließt, bleibt reinen Herzens. Andererseits denke ich auch, wir können das Böse nur besiegen, wenn wir es kennen und unsere Angst davor durch Hyposensibilisierung neutralisieren. Ganz genau weiß ich nur, dass ich nichts weiß...!
AntwortenLöschenVielen Dank, lieber Claus, für Deinen Kommentar. Du kennst ja bestimmt eine wichtige Aussage Rudolf Steiners, dass die fünfte Kulturepoche, in der wir seit ungefähr 1413 leben, die Aufgabe hat, dem Menschen "die Auseinandersetzung mit dem Bösen" zu ermöglichen. Wir können also dem Bösen, das im Zeichen der (umgekehrten) "fünf" (Pentagramm, Pentagon) erscheint, nicht ausweichen. Wir müssen es, wie Du andeutest, anschauen und erkennen. So haben wir die Möglichkeit, es zu neutralisieren.
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