Samstag, 8. September 2018

Der Triumph des Bösen - Eindrücke vom Film "No Country for Old Men" der Coen-Brüder aus dem Jahre 2007





Ich war schon lange nicht mehr so deprimiert wie heute Morgen, als ich aufwachte und nicht die geringste Lust hatte, aufzustehen. Mein Kopf ist dumpf und schwer.
Ich weiß nicht, warum ich mir Manches zumute, von dem ich genau weiß, dass es mir nicht gut tut. Gestern bin ich einmal wieder an meine Grenze gegangen.
Wir hatten im Kaufland günstige Zwetschgen gekauft, anderthalb Kilo für nicht einmal einen Euro, und beschlossen, einen Zwetschgenkuchen zu backen. Ich hatte schon früher Hefeteig gemacht, aber noch nie selbst einen Zwetschgenkuchen gebacken. Trotzdem ging ich optimistisch ans Werk. Lena saß dabei und schaute zu. Sie hatte noch nie einen Zwetschgenkuchen, diese typisch deutsche Delikatesse der Michaeli-Zeit, gebacken.
Während der Hefeteig ging, hatte ich die vollkommen blöde Idee, mit Lena eine DVD anzuschauen, von der ich eigentlich wissen konnte, dass sie ihr nicht gefallen würde: „Showgirls“ (USA 1995) von Paul Verhoeven.
Lena merkte bald, dass auch dieser Regisseur krank im Kopf sein musste, als er diesen Film machte. Ich will gar nicht mehr daran denken, wie abartig diese Glitzerwelt von Las Vegas ist, die der Film zeigt. Es dreht sich alles nur um Sex. Die Frauen werden ausgebeutet, um männliche Widerlinge, die aus irgendeinem Grunde an Geld gekommen waren, zu amüsieren. Und das ekelhafteste ist: sie lassen sich bereitwillig ausbeuten.[1]
Natürlich ist der Film gut gemacht und er gibt wohl eine zutreffende Einsicht in dieses „Business“ und in die Endphase des „american way of life“, wie sie verkommener nicht mehr sein kann. Aber warum zeige ich das ausgerechnet meiner reinen slawischen Seele?
Während wir schauen, schiebe ich den Kuchen in den Backofen und lasse ihn eine halbe Stunde backen, leider bei der falschen Temperatur: ich stelle auf 180° statt auf 220°. So bleibt der Kuchen sehr hell und die Zwetschgen geben zu viel Saft ab, der eigentlich durch die Hitze hätte verdampfen sollen. Als der Kuchen fertig ist, lassen wir ihn abkühlen und nach einer weiteren halben Stunde „kosten“ wir ihn. Er ist zwar lange nicht so gut geraten wie die Zwetschgenkuchen meiner Mutter, aber Lena wünscht sich noch ein zweites Stück.
Inzwischen habe ich auf „Servus TV“ umgeschaltet, einen österreichischen Sender, der in meiner Fernbedienung gleich nach Arte auf dem fünften Sendeplatz kommt (Ich bin zu „dumm“, um die Sendeplätze so zu ordnen, wie ich sie möchte). Zuerst sehen wir die zweite Hälfte der britischen Satire „Toast“ (GB 2010), in der die neue  Frau (Helena Bonham Carter) eines Mannes, der seinen Jungen Nigel nach dem Tod seiner ersten Frau allein erzieht, so bekocht, dass er immer fetter wird und schließlich stirbt. Der Junge, aus dessen Perspektive der abartige Film erzählt wird, ist später, wie im Abspann bekannt gegeben wird, einer der bekanntesten Fernsehköche des Landes (Nigel Slater) geworden.
Im Anschluss daran zeigt „Servus TV“ (klingt wie Klopapier) den abartigsten Film, den ich je gesehen habe: „No Country for Old Men“.
Der Film der Brüder Ethan und Joel Coen aus dem Jahr 2007 bekam vier Oscars und zahlreiche andere Preise und wurde von der Kritik hoch gelobt. Es stimmt, er ist perfekt gemacht; aber er hat so eine üble Moral, dass ich als Zuschauer dagegen innerlich eine starke positive Gegenkraft aktivieren muss, um diese teuflische Geschichte zu ertragen.  Javier Bardem spielt in dem Film das absolut Böse, den Killer Anton Chigurh, eine Art vollkommen gefühllosen,  soratischen Teufel, der zum Schluss sogar noch triumphiert.
Natürlich ist der Film, ähnlich wie „Showgirls“, eine Metapher über den aktuellen Zustand Amerikas, in dem alte Männer vom Schlag des Sheriffs Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones) keinen Platz mehr zu haben scheinen. Sein michaelischer Kampf für das Gute scheitert und er setzt sich resigniert zur Ruhe.
Im modernen Amerika dreht sich offenbar alles nur noch um das Geld. Sogar der positive Held Liewelyn Moss (Josh Brolin) entwickelt sich durch den Fund einer Million aus dem mexikanischen Drogenhandel zum Räuber und  wird gnadenlos vom Teufel Bardem verfolgt und schließlich zur Strecke gebracht.
Die Filme der jüdischen Coen-Brüder erscheinen mir ein wenig wie die Gegenstücke zu Quentin Tarantinos Filmen. Die Filme dieser Regisseure sind absolut perfekt gemacht und spielen durch schöne Bilder, Schock-Momente und passende Musik meisterhaft mit den Gefühlen der Zuschauer. Aber sie führen den Zuschauer auch in eine Art Hoffnungslosigkeit, die besonders das jugendliche Publikum, das auf solche Filme „abfährt“, jeder Perspektive beraubt. Deswegen können sie nur Erzeugnisse ahrimanischer Inspiration sein.
Brad Pitt, einer der bevorzugten Schauspieler Tarantinos, sagte einmal über seinen Regisseur: „Das Set ist die Kirche, Quentin ist Gott, sein Drehbuch ist die Bibel, und Ketzer sind nicht zugelassen.“ (Haller Tagblatt vom 7.9.2018). Das drückt sehr gut den antichristlichen Charakter dieses filmbesessenen, aber vollkommen kranken Regisseurs aus. Man kann in Hollywood heute krank sein und doch geniale Filme machen, mit denen Hollywood- Studios wie zum Beispiel die Weinstein Company einen Haufen Geld verdienen.
Wie schön waren dagegen die Winnetou-Filme aus meiner Jugend. Sie waren zwar vollkommen unrealistisch, aber ihre Moral stimmte: es ging um Freundschaft und den stets erfolgreichen Kampf der Guten gegen die Bösen.
Solche bösen Teufel wie die Figur des Javier Bardem hat es damals nicht einmal im Italo-Western gegeben, wenn ich einmal von dem Corbucci-Film „Il Grande Silencio“ (Leichen pflasterten seinen Weg, Italien 1968) absehe, in dem der teuflische Klaus Kinski am Schluss über den guten Jean-Louis Trintignant triumphiert.
Aber diese Filme waren stets ab 18 und haben so zumindest die unreifsten jugendlichen Seelen nicht erreicht, wenn sie es nicht doch, wie ich, trotzdem ins Kino geschafft haben.
Lena schlief nach den ersten zehn Minuten an meiner Seite ein; Gott sei Dank!
Ich aber blieb hellwach und schaute das Meisterwerk bis zum Ende mit wachsendem Interesse an. Es war eine hervorragende Möglichkeit, das Böse und seine Wirkungen auf die Seele zu studieren.

Eine sehr gute Filmanalyse findet man im Internet:


Das Besondere an dem Film „No Country for Old Men” ist in der Tat die Figur des Bösen. Der Zuschauer weiß nicht, woher Anton Chigurh kommt und wer sein Auftraggeber ist. Er ist einfach da und handelt mit einer Gefühllosigkeit und Sicherheit, die erschreckt. Nichts scheint sich ihm  in den Weg stellen zu können. Er scheint unbesiegbar wie die Terminator-Maschine aus dem James-Cameron-Film des Orwell-Jahres 1984, die aus der Zukunft in die Gegenwart kam, um den einzigen Mann zu töten, der dem Bösen noch hätte gefährlich werden können, das sich in der Zukunft mit Hilfe der von der Firma „Skynet“ entwickelten „Künstlichen Intelligenz“ die Erde untertan machen will, eine Vision, der wir heute wieder etwas näher gekommen sind.
In „No Country for Old Men“  hat der „Terminator“ nicht mehr ein technisches Innenleben. Sein Körper besteht aus Fleisch, Blut und Knochen, nicht aus künstlichen Maschinenbauteilen: Als bei einer Schießerei mit Moss sein Bein verletzt wird, operiert er sich selbst, nachdem er alles Nötige in einer Apotheke geraubt hat. Als er gegen Ende ein Auto rammt, weil er im Rückspiegel zwei Knaben beobachtet hat, die ihn mit ihren Fahrrädern ein paar Meter „verfolgt“ hatten, wird sein Arm verletzt, so dass ein zersplitterter Knochen herausschaut. Er bittet einen der Knaben um das Hemd, zahlt sogar ordentlich dafür, obwohl der Junge nichts möchte, macht sich eine Armbinde und zieht zu Fuß weiter.
Nur eine Seele scheint „der neue Prometheus“ nicht zu haben.
Anton Chigurh ist ständig in Bewegung und mordet scheinbar ziellos und ohne Motiv.
Einmal lässt er einem Tankstellenpächter das Leben, weil er beim Werfen einer Münze nach beharrlichem Fragen durch den Killer schließlich – reiner Zufall – die richtige Antwort gibt: Kopf. Die Freundin von Moss tötet er, weil sie die falsche Antwort gegeben hatte.
Einmal sagt der Killer: I arrived here the same way that coin did” (Ich kam auf dem gleichen Weg hier her, wie die Münze).
Der Film spielt wie die 2005 erschienene Vorlage, der Roman des katholischen Pulitzer-Preisträgers Cormac McCarthy (geboren 1933), im Jahr 1980. Das verrät der Böse selbst, als er dem Tankwart sagt, dass die Münze, die er eben geworfen hat, im Jahr 1958 geprägt wurde und dass sie 22 Jahre gebraucht habe, um an ihr Ziel zu kommen. Der wesentlich ältere Tankwart fragt, was er denn gewinnen könne, wenn er bei der Wette mitmacht. Chigurh erwidert: „alles“ und meint: „Das Leben“.
Chigurh funktioniert wie der „Zufall“, der über Leben und Tod entscheidet. Dieser „Wurf“ der Münze ist ein Schlüssel zu seinem Wesen. Es geht ihm nicht um die zwei Millionen Drogengeld, das Moss geklaut hat. Es geht ihm um „alles“, also um Tod und Leben. Er handelt offensichtlich im Auftrag eines unsichtbaren Wider-Gottes, der ihm diese Macht verliehen hat. Das ist das Unheimliche an dem Film: Solche Wesen in menschlicher Hülle scheinen tatsächlich über die Erde zu wandeln und eine „Spur“ zu hinterlassen. Immer wieder sieht man, wie Cthuluh[1], so nenne ich ihn in Anlehnung an eine Figur von H.P. Lovecraft (1890 – 1937), auf die Spur seiner Schuhe blickt, die einmal sogar blutig ist.
Für den Killer sind Menschen Vieh. So tötet er mit Vorliebe mit einem Bolzenschussgerät. Das Böse in dem Film erscheint unmenschlich, unbesiegbar, intelligent und konsequent. Chigurh verfolgt sein Opfer, bis er es erreicht, wie die Frau von Moss, die er nur deshalb tötet, weil er es Moss angekündigt hatte: „Ich habe es versprochen.“
Moss war der Held in dem Film, der Gegenspieler des Bösen. Der Zuschauer erwartet, dass am Ende des Films der „Show-Down“, das obligatorische Duell zwischen Gut und Böse stattfindet, wie es in unzähligen Western der Fall war. Aber der verblüffte Zuschauer wird „enttäuscht“: das Duell findet nicht statt.
Wir sehen Moss später tot in einem Hausflur liegen. Auch der Sheriff schafft es nicht, Chigurh zu fangen. Er begibt sich unverrichteter Dinge in seinen Ruhestand. Der Archetyp aus allen Märchen, dass das Gute das Böse besiegt, wird im Zuschauer nicht aktiviert. Deshalb ist er unterbewusst extrem irritiert.
In Moss haben wir den Underdog, den Selbst-Made-Man und Vietnam-Kämpfer, einen der typischen Helden des amerikanischen Traums. Er ist auch ein Archetyp, einer der unzähligen mythischen Figuren des amerikanischen Kinos. Er hätte der ebenbürtige Gegner des Killers sein können.
Aber ihn erreicht die tödliche Kugel vor dem Ende des Films. Der Zuschauer bleibt auf seinen Hoffnungen sitzen und versteht nicht. 
Auch der Sheriff ist eine mythische Figur des amerikanischen Kinos, die in anderen Western (zum Beispiel „Pat Garret jagt Billy the Kid“) schließlich den Bösen und seine Helfer zur Strecke bringt. Aber in „No Country for Old Men“ versagt auch der erfahrene Sheriff. Auch er kann die Menschen nicht mehr vor dem Bösen schützen.
Das einmal losgelassene Wesen, das direkt aus der Hölle zu kommen scheint, findet keinen Gegner mehr auf Erden und wird mit Sicherheit weiter morden. Es ist zwar lädiert, aber es wird sich –  wie der Terminator – wieder regenerieren.
Der Film spielt, wie gesagt, im Jahre 1980 im Bundesstaat Texas. Die Städte El Paso und Pecos werden erwähnt. Im Roman werden all die Orte, an denen der Killer seine Opfer findet, genannt, so dass der Leser die Blutspur auf einer Landkarte verfolgen kann.
1980 wurde der Ex-Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan (1911 – 2004) zum 40. Präsidenten der USA gewählt. Er regierte von 1981 bis 1989 und prägte die USA und die Welt durch seine neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik, die am 15. September 2008, also ein Jahr nach dem Erscheinen des Films, in einem ersten großen Crash ein vorläufiges Ende fand. In diesen Tagen gedenkt zum Beispiel „Der Spiegel“ in seiner neuesten Ausgabe (Nr. 37/2018) des Ereignisses.
Im Film geht es um zwei Millionen Dollar und um eine Münze.  Bei der Bankenkrise ging es um hunderte von Milliarden Dollar und um „The stupid German Money“.




[1] Zum ersten Mal wird diese Figur in dem Comic „The Call of Cthulhu“ beschrieben, der 1928 erschien.



[1] Über den Film habe ich schon einmal eine ausführlichere Kritik verfasst. Siehe: http://johannesws.blogspot.com/2018/01/vergewaltigungsfabriken-anmerkungen-zu.html


2 Kommentare:

  1. Ich habe mir auch schon die Frage gestellt, warum werden solche Filme produziert? Und, warum schaut man sie sich überhaupt an. Das Böse siegen zu sehen, ist kaum erträglich. Ganz gleich ob auf der Leinwand, oder im realen Leben. Was macht das mit uns? Den Sinn der drei asiatischen Affen ("Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen") hatte ich als Kind nie verstanden. Bis ich von der Ergänzung "...nichts böses" hörte. Also war gemeint, wer die Einfallstore zur Seele für das Böse verschließt, bleibt reinen Herzens. Andererseits denke ich auch, wir können das Böse nur besiegen, wenn wir es kennen und unsere Angst davor durch Hyposensibilisierung neutralisieren. Ganz genau weiß ich nur, dass ich nichts weiß...!

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    1. Vielen Dank, lieber Claus, für Deinen Kommentar. Du kennst ja bestimmt eine wichtige Aussage Rudolf Steiners, dass die fünfte Kulturepoche, in der wir seit ungefähr 1413 leben, die Aufgabe hat, dem Menschen "die Auseinandersetzung mit dem Bösen" zu ermöglichen. Wir können also dem Bösen, das im Zeichen der (umgekehrten) "fünf" (Pentagramm, Pentagon) erscheint, nicht ausweichen. Wir müssen es, wie Du andeutest, anschauen und erkennen. So haben wir die Möglichkeit, es zu neutralisieren.

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