Montag, 17. September 2018

Von der schönen Helena zu Maria - Romy Schneider in "Eine einfache Geschichte" von Claude Sautet aus dem Jahre 1978





Am Abend (17.09.2018) zeigte Arte einen sehr schönen Film mit Romy Schneider, die am 23. September 80 Jahre alt geworden wäre: „Une histoire simple“ (Eine einfache Geschichte) von Claude Sautet aus dem Jahre 1978, Olgas Geburtsjahr.
Der Film berührt mich sehr, da er so viel von der Lebenstragik dieser großen deutsch-französischen Schauspielerin zeigt, die mit 43 Jahren viel zu früh starb.
In dem Film trennt sich Marie (Romy Schneider) von Serge (Claude Brasseur), ihrem zweiten Mann, nachdem sie – ohne ihm davon zu erzählen oder ihn auch nur zu fragen – das gemeinsame Kind abgetrieben hat. Sie lebt ein paar Monate allein und rettet in dieser Zeit dem Kollegen Jerome (Roger Pigaud in seinem letzten Film), der in der gleichen Firma arbeitet wie sie und ein schönes Haus auf dem Lande besitzt, das Leben. Jerome sollte in der Firma, die sich umstrukturieren musste, gekündigt werden, was er nicht verkraftet. Während sich seine Frau Gabrielle (Arlette Bonnard) mit Gästen vor dem Haus mit Gesellschaftsspielen vergnügt, schluckt er eine Überdosis Schlaftabletten. Gabriele und Marie kommen gerade noch rechtzeitig, um ihm die Finger in den Mund zu stecken, damit er sich erbricht.
Das war leider bei Romy Schneider nicht der Fall, als sie am Abend des 28. Mai 1982 Schlaftabletten mit Rotwein schluckte und am nächsten Morgen nicht mehr aufwachte. Manche meinen auch, sie sei an gebrochenem Herzen gestorben. Dabei hatte sie noch ein Filmprojekt geplant, in dem sie an der Seite von Alain Delon spielen sollte, wegen dem sie Deutschland und ihr Image als unschuldige Sissi 1958 verlassen hatte.
Mehrmals rufe ich heute Abend während des Anschauens des Films, an Romy Schneider gerichtet, leise aus: „Armes Mädchen!“
Berührend ist auch die Tatsache, dass Romy Schneider nach den Erfolgen in Deutschland ausgerechnet in Frankreich noch eine große Karriere als Schauspielerin gemacht hat. Diese Beziehung zu Frankreich und den Franzosen, insbesondere zu ihrem Regisseur Claude Sautet, spiegelt das spannungsreiche Verhältnis zwischen den „cousins germains“, also den beiden Ländern mit den gleichen Wurzeln wieder: Das Reich Karls des Großen zerfiel nach den Verträgen von Verdun 849 in das Westfrankenreich, das spätere Frankreich, und das Ostfrankenreich, das spätere Deutschland.
Romy Schneider hat die beiden Länder nach etwa 100 Jahren „Erbfeindschaft“ in gewisser Weise wieder versöhnt.
Durch den Film „Christine“ (nach Arthur Schnitzlers „Liebelei“) lernte sie im Jahre 1958 Alain Delon kennen, in den sie sich heftig verliebte. Allerdings war der französische Beau nicht sehr treu: Während Romy in den USA unter der Regie von Otto Preminger den Hollywoodfilm „Der Kardinal“ drehte, vergnügte sich ihr Verlobter mit der sechs Jahre jüngeren Schauspielerin Nathalie Barthelemy, die er später heiratete.
1963, als ihre Liebe zerbrach, war das schlimmste Jahr für Romy. Sie versuchte sogar, sich das Leben zu nehmen. Dennoch standen Alain Delon und Romy Schneider fünf Jahre später wieder zusammen vor der Kamera und zwar für den französischen Erotik-Thriller „La Piscine“ (Der Swimmingpool) von Jacques Deray (Frankreich 1969). Romy Schneider behauptete jedoch vor der Presse, dass zwischen ihr und Alain Delon nichts mehr war: „Ich empfinde nichts mehr, es ist, als wenn ich eine Mauer umarme. Absolut!“[1]
1971 lässt sie sich dann von Alice Schwarzer überreden, an der Kampagne „Wir haben abgetrieben“ teilzunehmen, die das Magazin „Der Stern“ veröffentlichte.
Fünf Jahre später, am 12. Dezember 1976 trifft sie sich mit Alice Schwarzer zu einem Interview in Köln. Der Feministin, die damals eine Zeitschrift für Frauen plante, die dann auch unter dem Markennamen „Emma“ erschien, kann sie sich anvertrauen und sie erzählt ihr fast die ganze Nacht aus ihrem Leben. Die Tonbandprotokolle wurden erst jetzt für den französischen Dokumentarfilm „Ein Abend mit Romy“ von Patrick Jeudy freigegeben, der am Sonntagabend nach dem Film „Cesar et Rosalie“ (Frankreich 1972) auf Arte erstausgestrahlt wurde. Ich war zu müde und brach um 21.00 Uhr meine Film-Lektüre ab. Mich nervte wieder einmal das oberflächliche Spiel von Yves Montand als Cesar.
Eigentlich mag ich die Filme des Regisseurs Claude Sautet (1924 – 2000), insbesondere seinen ersten Film mit Romy Schneider, „Les choses de la vie“ (Die Dinge des Lebens, Frankreich 1970), in dem sie an der Seite von Michel Piccoli dessen Geliebte Helene spielt. „Une histoire simple“ ist ihr letzter gemeinsamer Film.
Man könnte sagen, Romy Schneider hat sich von der schönen Helena aus „Die Dinge des Lebens“ im Laufe ihrer Filmkarriere in Frankreich zu Maria gewandelt, einer Frau, die auf einen Mann und sogar auf Sex verzichten kann.
Einmal begrüßt sie ihr Ex-Mann Georges (Bruno Cremer), dem sie sich wieder annähert, nachdem sie sich von Serge (Claude Brasseur) getrennt hat, mit einer Zeile aus einem Lied von Georges Brassens: „Je vous salue, Marie“. Damit ist Maria, die Mutter Jesu gemeint. Und in der Tat, am Ende erfährt der verblüffte Zuschauer, dass Marie ein Kind von Georges erwartet, ihm aber nichts davon erzählt. Am Ende gehen die beiden getrennte Wege und sie sagt "Leb wohl!" zu Georges.
Claude Sautet, der die Drehbücher für seine einfühlsamen Filme in der Regel selbst schrieb, ist am 22. Juli 2000 gestorben, an Lenas 32. Geburtstag. ohe

Nachtrag:
Romy Schneider, die sonst keine Interviews gab, suchte Alice Schwarzer am 12.12. 1976 bewusst auf, damit die Feministin, die sie 1971 im Zusammenhang mit der Kampagne „Wir haben abgetrieben“ kennen gelernt hatte, ihrem wahren Wesen eine Stimme gab. Sie wollte zeigen, wer sie jenseits des Glamours wirklich war. Diese Mitteilungen waren ihr offenbar ein tiefes Bedürfnis und Alice Schwarzer hatte die Titelgeschichte für die erste Ausgabe von „Emma“. Es war einen „Win-Win“-Situation.
Der Film „Eine einfache Geschichte“ beginnt und endet mit einem Gespräch, das Marie (Romy Schneider) mit ihrer Ärztin führt. Am Anfang des Films erklärt sie, warum sie das Kind von Serge abtreiben will, am Ende erklärt sie, warum sie das Kind von Georges behalten will.
Das Thema Abtreibung belastet Romy Schneider offenbar unbewusst weiter.
Frauen, die aus irgendeinem Grunde zur Abtreibung gezwungen sind, wissen – spirituell gesehen – nicht, was sie tun: sie verhindern die im Himmel beschlossene Geburt eines Menschen und tragen damit zu dem zunehmenden sozialen Chaos bei, das sich in der Gegenwart ausbreitet. All die „zurückgewiesenen“ Kinder müssen sich „schnell“ neue Eltern suchen und geraten dadurch oft in die falsche Familie, in der sie oft nicht die Liebe empfangen, die Wunschkinder empfangen hätten. 
Die Kampagne von Alice Schwarzer war zwar ein großer Schritt für alle Frauen, die in Not waren, weil sie ihr ungewolltes Kind nur illegal abtreiben lassen konnten, aber es war auch ein weiterer Schritt in den Materialismus. Gerade an der Frage der Abtreibung könnten die Menschen, werdende Mütter wie werdende Väter, erwachen und ein neues, spirituelleres Bild vom Menschenwesen erlangen.
Nur die katholische Kirche wehrt sich noch gegen die „Tötung“ des ungeborenen Menschenlebens. Allerdings wurde sie im katholischen Irland kürzlich von den Abtreibungsbefürwortern überstimmt. Anders war es in Argentinien, wo Abtreibung nach der Volksabstimmung vor wenigen Wochen nach wie vor erschwert, wenn auch nicht ganz verboten ist.
Als Romy Schneider 1971 zugab, dass sie abgetrieben hat, da war das ein Riesenskandal. Die Deutschen sahen in ihr immer noch Sissi, die reine Kaiserin, die niemals auf eine solche Idee gekommen wäre.
Nachdem Alice Schwarzer die Kampagne im Stern veröffentlicht hatte, waren sie und Romy Schneider die am meisten beschimpften Frauen in Deutschland („les femmes le plus insultees en Allemagne“).
Zu der Zeit, als das Interview stattfand, weilte Romy Schneider gerade für die Dreharbeiten der Heinrich-Böll-Verfilmung „Gruppenbild mit Dame“ in Deutschland und wurde von den Journalisten („Paparazzi“) „gejagt“. In dem Film spielt sie die Figur Leni.
Die Stadt Köln weckt Erinnerungen an Romys Jugend. Diese Stadt ist der Ort ihrer „ersten Erfolge und ihrer ersten Blessuren“, sagt der Kommentator. 1954 hieß die 15jährige Romy noch Rosemarie Albach und hatte eine erste Filmrolle in dem Film „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ bekommen.
Romys Mutter Magda Schneider und ihre Großmutter Rosa Albach-Retty waren beide starke Persönlichkeiten und bekannte Schauspielerinnen. Die Großmutter hat, so betont Romy in dem Interview, Sissi und den Kaiser noch persönlich gekannt.
Ihr Vater Albach-Retty war ein Anhänger der Nationalsozialisten. Die Mutter Magda, eine beliebte UFA-Filmschauspielerin, rühmte sich noch in den 80er Jahren ihrer Nähe zu den Nazi-Größen in Berchtesgaden, sagt der Kommentator. Die Mutter Magda hatte auch das Haus in Berchtesgaden gebaut, in dem Romy aufgewachsen ist. Sie ging oft zu Empfängen Adolf Hitlers auf den nahegelegenen Berghof, die Residenz des Reichskanzlers auf dem Obersalzberg. Romy Schneider gibt sich in dem Interview mit Alice Schwarzer hundertprozentig überzeugt, dass ihre Mutter Magda auch ein sexuelles Verhältnis zu Adolf Hitler hatte.
1958, als sie ihre Wunschrolle der Christine aus Arthur Schnitzlers „Liebelei“ gespielt und den noch völlig unbekannten französischen Schauspieler und Charmeur Alain Delon kennen gelernt hat, verlässt Romy Schneider Köln und zieht nach Frankreich. Die Deutschen erleben das wie einen Verrat.
Man hatte Romy eine Million Mark für einen vierten Sissi-Film geboten, aber die Schauspielerin lehnte ab. Von nun an galt sie als Rebellin und wird dadurch interessant für die rebellische Jugend jener Zeit. Sie fühlte sich damals wie ein „German Public property“ (Deutsches Nationalgut). Aus diesem Gefängnis musste sie ausbrechen, wenn sie künstlerisch weiterkommen wollte. Und sie nahm ihren Beruf als Schauspielerin sehr ernst.
Romy ging in ihrer Rebellion so weit, dass sie sogar ihre Muttersprache ablegte und mit Alice Schwarzer vorwiegend Französisch sprach. Nur wenn sie „wütend“ wurde, fiel sie ins Deutsche zurück. Sie wollte nicht mehr das „brave Mädchen“ sein. Sie wollte nicht mehr „lügen“[1]. Sie war auf einmal auf der Suche nach sich selbst, wie so viele Frauen, aber auch Männer jener Zeit …
Alice Schwarzer erlebte Romy in dem Interview als „extrem zerrissenen“ (dechiree) Menschen, als stark und schwach, dominierend und unterwürfig, voller Selbstvertrauen und voller Unsicherheit zugleich.
Romy Schneider sagt in dem Interview, dass sie besonders Simone Signoret bewundert, deren Autobiografie sie damals gerade las. Sie sei auf der einen Seite eine Frau, die einen Mann (Yves Montand) mit aller Hingabe liebt und auf der anderen Seite eine wunderbare Schauspielerin. Für Romy ist Simone Signoret eine der Größten, von der sie viel gelernt hat („J’ai pris de sacres lessons“).
Romys großes Ideal war es, die Schuld der Deutschen „wieder gut zu machen“. Deswegen spielte sie immer wieder Rollen, die die Zuschauer mit der Nazi-Vergangenheit Deutschlands konfrontierten („Das alte Gewehr“ von Robert Enrico, „Le Train“ von Pierre Granier-Deferre, „Der Kardinal“ von Otto Preminger oder „Gruppenbild mit Dame“ von Aleksander Petrovic). Ihr erster Ehemann, der deutsche Theaterregisseur Harry Meyen, dessen Vater im Konzentrationslager umgebracht worden war, und sie gaben ihrem ersten Kind bewusst einen jüdischen Namen: David.
In dem Gespräch offenbart Romy zu später Stunde weinend, dass sie von ihrem Stiefvater (Herbert Blatzheim, den sie „Daddy“ nennen musste) als junges Mädchen mehrfach sexuell missbraucht worden ist.
Am Schluss des Interviews fasst Romy Schneider das Bild, das ihr nun aus dem Spiegel entgegen schaut, zusammen und nennt es mit einem Wort, welches ihr Luchino Visconti, ihr Lieblingsregisseur, einmal gesagt hatte: „Le spleen germanique“. Das ist „la contradiction totale continuelle“. Das bedeutete aber auch, dass man es sich als Deutscher nie einfach macht, jedenfalls nicht als Romy Schneider. Diese „deutsche Schwermut“ hat auch immer eine melancholische Seite, was ein wenig auch den Charme von Romy Schneider ausmachte.
Als Fazit dieses Interviews stellt Alice Schwarzer zum Schluss fest, dass Romy Schneider ein ganz einfaches Bedürfnis hatte: wahrgenommen zu werden als Ich.ohe




[1] Sie sagt: „Wer so früh in den Beruf des Filmschauspielers eingestiegen ist wie ich, ist „verdammt“ zum Lügen“. Sie lügt, ohne es zu merken. In „Die Dinge des Lebens“ fragt sie Michel Piccoli in einer berühmten Szene, was lügen im Sinne von „Geschichten erzählen“ auf Französisch bedeutet. Michel Piccoli antwortet: „affabuler“ und Romy ist zufrieden.

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