Freitag, 15. September 2017

"Solche Leute wie dich können wir hier nicht brauchen!" - zum Western "El Dorado" von Howard Hawks aus dem Jahre 1966



„Solche Leute wie dich können wir hier sowieso nicht brauchen“, sagt Robert Mitchum zu John Wayne am Ende des Westerns  „El Dorado“, den ich heute Nachmittag – trotz Schmerzen – fast ganz angeschaut habe.
Ich war heute Vormittag fast vier Stunden in Behandlung beim Zahnarzt. Zwei Frauen und ein Mann haben mich heute ziemlich heftig „gequält“. Allein 12-mal wurde ich zur Betäubung „eingespritzt“. Schon die ersten beiden Stiche, von einer jungen Zahnärztin und ehemaligen „Fast-Schülerin“ meines Gymnasiums, taten höllisch weh. Die hübsche, junge Frau entschuldigte sich und ich merkte, dass es ihr wirklich leid tat. Alle beiden Frauen, die Zahnärztin und die Zahnarzthelfein, hatten großes Mitgefühl mit mir. Nur der Meister-Zahnarzt erledigte sein Handwerk professionell und ohne die geringste Spur von Mitleid in denkbar kurzer Zeit. Ich muss sie alle drei loben. Sie waren phantastisch. Aber ich war fix und fertig. Mein Körper hat – glaube ich – noch nie so viele Stresshormone ausgeschüttet wie heute.
El Dorado ging nicht so lange – nur etwas mehr als zwei Stunden. Aber in dem Film müssen die zwei Helden auch furchtbar leiden, bevor sie endlich in den michaelischen Endkampf ziehen können: Der eine wird – ausgerechnet von einer sehr attraktiven Frau – in den Rücken geschossen. Der Doc kann die Kugel nicht herausoperieren, weil sie zu nah an der Wirbelsäule sitzt und weil er – wie er offen zugibt – nicht genug Erfahrung hat. Der andere ist wegen einer Frauengeschichte abgestürzt und dem Alkohol verfallen. Er muss erst ausgenüchtert werden. Der Sherif Robert Mitchum ist nur noch ein Häufchen Elend, als ihn sein Freund John Wayne nach sechs Monaten Abwesenheit wieder besucht, weil er jetzt die bedrohliche Bande eines mächtigen Viehbarons bekämpfen muss, der einem anderen Farmer das Land durch Terror abluchsen will, weil dieses an einem Fluss liegt: Die klassische Konstellation, die auch zum Beispiel aus dem wunderbaren Western „Weites Land“ (1958)[1] von William Wyler bekannt ist.
Man muss schon einige Western-Filme gesehen haben, um „El Dorado“ von Howard Hawks aus dem Jahr 1966, den Western, der alle Regeln des Genres unterläuft, wirklich genießen zu können. Ich habe im Angesicht der Leiden der beiden Freunde meine eigenen Schmerzen glatt vergessen, gegen die mir der Zahnarzt „Iboflam“ verabreichen wollte.
Natürlich ist „El Dorado“ in erster Linie ein Film über Männerfreundschaft. John Wayne hilft seinem abgestürzten Freund wieder auf die Beine. Wie er das macht, das ist eine schöne Studie in Psychologie. Allein deswegen lohnt sich der Film schon.
Ein anderes Motiv ist das Thema der Identität. In dem Film gibt es eine Figur, die so ganz anders ist, als die sonst auftretenden Typen im Wilden Westen. Robert Mitchum, der allmählich wieder zu sich selbst und seiner alten Stärke findet, fragt den jungen Mann an der Seite von John Wayne[2] mindestens fünfmal: „Wer bist Du denn?“
Wie in einen Spiegel schauend erkennt er allmählich James Caan und sich selbst wieder als zwei Seiten einer Medaille, die eigentlich für einen ordentlichen Kampf nicht brauchbar sind. Der eine kann gar nicht schießen, der andere zittert, wenn er einen Revolver betätigen soll.
Im Grunde ist der Kampf gegen die Bande ähnlich aussichtslos wie der Kampf Gary Coopers in „Zwölf Uhr Mittags“ (High Noon, 1952), auf den sich „El Dorado“ bezieht.
Also, das sind nicht gerade die großen Helden, die die Wild-West-Filme über 60 Jahre lang in unzähligen Auflagen gefeiert haben.
Solche Leute sind eigentlich „unbrauchbar“.




[2] Enno Patalas leitet seine Besprechung des Films folgendermaßen ein: „‘Allan Bourdillion Traherne‘, stellt der komische Vogel mit dem Hut, der aussieht wie ein halbierter Zylinder, sich vor. ‚Ach du meine Güte‘ antwortet Thornton (John Wayne) – so heißt schließlich kein Westerner. Traherne hat aber noch einen Spitznamen parat, und der ist gleich so westernmäßig wie nur möglich: Mississippi. Dieser Mississippi ist eine Schlüsselfigur in Hawks Film. Er verhöhnt die Regeln, denen der Westernheld gehorcht, teils indem er sie parodiert, teils indem er sich völlig außerstande zeigt, ihnen nachzukommen. Dessen ungeachtet hat sein Verhalten einen größeren Erfolg als das Treiben derer, die sich nach den Regeln richten“ (Reclam "Filmgenres - Western", Stuttgart 2003, S. 272 ff)

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