Mittwoch, 2. August 2017

Die Filmlegende Jeanne Moreau


Jeanne Moreau, die durch die Rolle der Catherine weltbekannt wurde und dadurch für immer in die Annalen der Filmgeschichte eingeschrieben sein wird, war die „Grande Dame“ des französischen Kinos. Eigentlich ist sie Theaterschauspielerin. Ich erfahre bei meiner Recherche, dass sie in den 50er Jahren bereits als eine der besten Theaterschauspielerinnen ihrer Generation galt. Sie wurde 1954 in zwei Stücken gefeiert, die Jean Marais inszeniert hat: als Eliza in George Bernard Shaws „Pygmalion“ und in einem Stück von Jean Cocteau („Die Höllenmaschine“). Bereits 1951 hat sie an der Seite von Gerard Philippe in Corneilles „Le Cid“ und in Kleists „Prinz von Homburg“ die weiblichen Hauptrollen gespielt. In „Tagebuch einer Kammerzofe“ aus dem Jahre 1964 sagt sie einmal, dass sie 33 Jahre alt sei, in „Jules et Jim“ gibt sie ihr Alter einmal mit 32 Jahren an. In beiden Filmen entspricht es ungefähr dem realen Alter der am 23. Januar 1928 (im Zeichen des Wassermanns) in Paris geborenen Darstellerin.
Besonders eindrucksvoll fand ich auch ihre Rolle als blinde Edith Farber an der Seite von Max von Sydow als ihr Ehemann Henry in „Bis ans Ende der Welt“ von Wim Wenders (1991).

All die eben erwähnten Namen gehören zu einem geistig-realen Schicksalsnetz von Künstlern, die ich nie persönlich getroffen habe, die aber auf einer tiefen Ebene in mein Leben „hereinspielen“.

Gestern kaufte ich im Bahnhofskiosk für knapp 10 Euro vier Tageszeitungen, um zu erfahren, was sie zum Tod von Jeanne Moreau schreiben: die „FAZ“, die „Süddeutsche Zeitung“, die „Welt“ und die „TAZ“.
Am Abend las ich all diese Nachrufe und konnte mich nicht des Eindrucks erwehren, dass ich es bei diesem gefeierten Star des französischen Kinos mit einem dunklen Nacht-Engel zu tun hatte. Jeanne Moreau ist sozusagen die Antipodin zu dem Tag-Engel Audrey Hepburn.
Der Film, der Jeanne Moreau bekannt machte, war „Fahrstuhl zum Schafott“  von Louis Malle (1957). Die Szene, in der sie durch das nächtliche Paris streift, während ihr Liebhaber im Fahrstuhl festsitzt, war sozusagen der dunkle "Posaunenklang", der die „Nouvelle Vague“ einleitete, von Miles Davis improvisiert und von Henri Dacae auf den nächtlichen Champs Elysees ohne künstliche Beleuchtung aus einem Kinderwagen heraus gefilmt.
Die Story ist dabei zunächst einmal zweitrangig, lässt sich aber nicht ganz ausblenden: es geht um eine Frau (Jeanne Moreau), die ihren Liebhaber (Maurice Ronet) anstiftet, ihren Ehemann, einen reichen Rüstungsunternehmer, umzubringen. 
In „Jules et Jim“ (1962) verführt Jeanne Moreau als lebenslustige Catherine abwechselnd die beiden Freunde und allerlei andere Männer, nur um zum Schluss festzustellen, dass ihr Leben in einer Sackgasse endet: Sie stürzt sich und Jim mit dem Auto von einer in den Fluss ragenden Brückenhälfte und begeht „Doppelselbstmord“.
Die Liebe dieses Todesengels endet meistens tödlich.
Das zeigt am besten Francois Truffauts Klassiker „Die Braut trug schwarz“, ein Film aus dem Jahre 1967, in dem Jeanne Moreau als moderne Diana die Mörder ihres Bräutigams verfolgt und nacheinander „zur Strecke bringt“.
Im Privatleben gab sich Jeanne Moreau als Intellektuelle, die sich auch in die Produktion ihrer Filme einmischte. Und sie war bis zum Schluss Kettenraucherin: kein Wunder, dass sie auf fast allen Fotos, die ihre Nachrufe auf der Titelseite der genannten Zeitungen bringen, mit einer Zigarette in der Hand abgebildet ist. 
Ich sah die Schauspielerin zum ersten Mal mit 15 Jahren am 4. Juli 1967 als Eva in „Le feu Follet“ (1963), ihrem dritten Louis-Malle-Film. Wieder spielte sie an der Seite von Maurice Ronnet, der im Film aus Lebensüberdruss (l‘ennui) Selbstmord begeht.
Louis Malle (1932 – 1995) war etwas jünger als Jeanne Moreau, aber sie gehörten der gleichen Generation an und sie waren wohl auch eine Zeitlang ein Liebespaar. In Wikipedia lese ich über den Filmemacher: „Seine Filme handeln meist von Figuren, gefangen im Netz des Schicksals.“
Was ist das: „gefangen im Netz des Schicksals“? Das erinnert mich an die alte Diskussion darüber, ob der Mensch frei sei oder einem unerbittlichen Schicksal unterworfen ist: Freiheit oder Notwendigkeit.
Genau in dieser zweiten Situation sehe ich auch Jeanne Moreau. Trotz ihres hohen Verstandes und ihres Selbstbewusstseins schien sie mir eine „Gefangene“ zu sein, die nicht aus ihrer Haut heraus konnte. Sie war, wie sie war, im Grunde immer die gleiche. 
Eine gewisse Düsterheit umgab sie, besonders in Louis Bunuels „Tagebuch einer Kammerzofe“ (1964). Aber bisweilen sah man auch ein inneres Glänzen, das ab und zu auch aus ihr hervorleuchten konnte, besonders in dem Film „Jules et Jim“. Da gefiel sie mir am besten. Nie aber verlor sich der düstere Hintergrund.

Audrey Hepburn war immer im Licht.
Interessant sind die Epitheta, welche die Nachrufenden der „Göttin des Kinos“ (SZ) gaben: Andreas Platthaus schreibt in der FAZ über Jeanne Moreau unter der Überschrift „Die Frau von ihrer dunklen Seite“, dagegen nennen Alexander Gorkow und Tobias Kniebe sie in ihrem ganzseitigen Nachruf auf der dritten Seite der „Süddeutschen Zeitung“: „Die luzide Frau“. Die Welt nennt sie einfach „La Femme Immortelle“ (die unsterbliche Frau), die TAZ sachlich „Die erwachsene Frau“.
Alle sind sich einig, dass Jeanne Moreau die „Ikone der Nouvelle Vague“ war, die SZ nennt sie auch „die Muse der Nouvelle Vague“, die FAZ nennt sie in einem Atemzug mit der älteren Simone Signoret „eine Legende“.
Die modernen „Diven“ gehen gemäß dieser Ansicht nach ihrem Tod offenbar in die Legende ein, die in früheren Zeiten christlichen Heiligen und Märtyrern vorbehalten war.
Jeanne Moreau glaubte nicht an ein Jenseits. Aber sie glaubte an das Gewissen. Sie sagte in einem Interview im Jahre 2006: 
„Am Ende geht es nicht um Trauer oder Glück. Sondern um richtig oder falsch. Am Ende stehen wir alle alleine da vor unserem Gewissen. Auf der Leiter, die Jakob in der Bibel im Traum sieht, bin ich deshalb immer nur nach oben gegangen. Es gab Niederlagen, einige sogar. Aber ich habe – in guten wie in schlechten Zeiten – immer meiner eigenen Moral standgehalten. Das Leid vergeht. Das Gewissen? Bleibt.“[1]




[1] Süddeutsche Zeitung vom 01.08.2017, Seite drei

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