Jeanne Moreau, die durch die
Rolle der Catherine weltbekannt wurde und dadurch für immer in die Annalen der
Filmgeschichte eingeschrieben sein wird, war die „Grande Dame“ des
französischen Kinos. Eigentlich ist sie Theaterschauspielerin. Ich erfahre bei
meiner Recherche, dass sie in den 50er Jahren bereits als eine der besten
Theaterschauspielerinnen ihrer Generation galt. Sie wurde 1954 in zwei Stücken
gefeiert, die Jean Marais inszeniert hat: als Eliza in George Bernard Shaws
„Pygmalion“ und in einem Stück von Jean Cocteau („Die Höllenmaschine“). Bereits
1951 hat sie an der Seite von Gerard Philippe in Corneilles „Le Cid“ und in
Kleists „Prinz von Homburg“ die weiblichen Hauptrollen gespielt. In „Tagebuch
einer Kammerzofe“ aus dem Jahre 1964 sagt sie einmal, dass sie 33 Jahre alt
sei, in „Jules et Jim“ gibt sie ihr Alter einmal mit 32 Jahren an. In beiden
Filmen entspricht es ungefähr dem realen Alter der am 23. Januar 1928 (im
Zeichen des Wassermanns) in Paris geborenen Darstellerin.
Besonders eindrucksvoll fand ich
auch ihre Rolle als blinde Edith Farber an der Seite von Max von Sydow als ihr
Ehemann Henry in „Bis ans Ende der Welt“ von Wim Wenders (1991).
All die eben erwähnten Namen
gehören zu einem geistig-realen Schicksalsnetz von Künstlern, die ich nie
persönlich getroffen habe, die aber auf einer tiefen Ebene in mein Leben
„hereinspielen“.
Am Abend las ich all diese
Nachrufe und konnte mich nicht des Eindrucks erwehren, dass ich es bei diesem
gefeierten Star des französischen Kinos mit einem dunklen Nacht-Engel zu tun
hatte. Jeanne Moreau ist sozusagen die Antipodin zu dem Tag-Engel Audrey
Hepburn.
Der Film, der Jeanne Moreau
bekannt machte, war „Fahrstuhl zum Schafott“
von Louis Malle (1957). Die Szene, in der sie durch das nächtliche Paris streift, während ihr Liebhaber im Fahrstuhl festsitzt, war sozusagen der dunkle "Posaunenklang", der die „Nouvelle Vague“ einleitete, von Miles Davis improvisiert und von Henri Dacae auf
den nächtlichen Champs Elysees ohne künstliche Beleuchtung aus einem
Kinderwagen heraus gefilmt.
Die Story ist dabei zunächst
einmal zweitrangig, lässt sich aber nicht ganz ausblenden: es geht um eine Frau
(Jeanne Moreau), die ihren Liebhaber (Maurice Ronet) anstiftet, ihren Ehemann,
einen reichen Rüstungsunternehmer, umzubringen.
In „Jules et Jim“ (1962) verführt
Jeanne Moreau als lebenslustige Catherine abwechselnd die beiden Freunde und
allerlei andere Männer, nur um zum Schluss festzustellen, dass ihr Leben in
einer Sackgasse endet: Sie stürzt sich und Jim mit dem Auto von einer in den
Fluss ragenden Brückenhälfte und begeht „Doppelselbstmord“.
Die Liebe dieses Todesengels
endet meistens tödlich.
Das zeigt am besten Francois
Truffauts Klassiker „Die Braut trug schwarz“, ein Film aus dem Jahre 1967, in
dem Jeanne Moreau als moderne Diana die Mörder ihres Bräutigams verfolgt und
nacheinander „zur Strecke bringt“.
Im Privatleben gab sich Jeanne Moreau
als Intellektuelle, die sich auch in die Produktion ihrer Filme einmischte. Und
sie war bis zum Schluss Kettenraucherin: kein Wunder, dass sie auf fast allen
Fotos, die ihre Nachrufe auf der Titelseite der genannten Zeitungen bringen,
mit einer Zigarette in der Hand abgebildet ist.
Ich sah die Schauspielerin zum
ersten Mal mit 15 Jahren am 4. Juli 1967 als Eva in „Le feu Follet“ (1963),
ihrem dritten Louis-Malle-Film. Wieder spielte sie an
der Seite von Maurice Ronnet, der im Film aus Lebensüberdruss (l‘ennui)
Selbstmord begeht.
Louis Malle (1932 – 1995) war
etwas jünger als Jeanne Moreau, aber sie gehörten der gleichen Generation an
und sie waren wohl auch eine Zeitlang ein Liebespaar. In Wikipedia lese ich über
den Filmemacher: „Seine Filme handeln meist von Figuren, gefangen im Netz des
Schicksals.“
Was ist das: „gefangen im Netz
des Schicksals“? Das erinnert mich an die alte Diskussion darüber, ob der
Mensch frei sei oder einem unerbittlichen Schicksal unterworfen ist: Freiheit oder
Notwendigkeit.
Genau in dieser zweiten Situation
sehe ich auch Jeanne Moreau. Trotz ihres hohen Verstandes und ihres
Selbstbewusstseins schien sie mir eine „Gefangene“ zu sein, die nicht aus ihrer
Haut heraus konnte. Sie war, wie sie war, im Grunde immer die gleiche.
Eine
gewisse Düsterheit umgab sie, besonders in Louis Bunuels „Tagebuch einer
Kammerzofe“ (1964). Aber bisweilen sah man auch ein inneres Glänzen, das ab und
zu auch aus ihr hervorleuchten konnte, besonders in dem Film „Jules et Jim“. Da
gefiel sie mir am besten. Nie aber verlor sich der düstere Hintergrund.
Audrey Hepburn war immer im Licht.
Interessant sind die Epitheta,
welche die Nachrufenden der „Göttin des Kinos“ (SZ) gaben: Andreas Platthaus
schreibt in der FAZ über Jeanne Moreau unter der Überschrift „Die Frau von ihrer
dunklen Seite“, dagegen nennen Alexander Gorkow und Tobias Kniebe sie in ihrem
ganzseitigen Nachruf auf der dritten Seite der „Süddeutschen Zeitung“: „Die
luzide Frau“. Die Welt nennt sie einfach „La Femme Immortelle“ (die
unsterbliche Frau), die TAZ sachlich „Die erwachsene Frau“.
Alle sind sich einig, dass Jeanne
Moreau die „Ikone der Nouvelle Vague“ war, die SZ nennt sie auch „die Muse der
Nouvelle Vague“, die FAZ nennt sie in einem Atemzug mit der älteren Simone
Signoret „eine Legende“.
Die modernen „Diven“ gehen gemäß dieser Ansicht nach ihrem Tod offenbar in die Legende ein, die in früheren
Zeiten christlichen Heiligen und Märtyrern vorbehalten war.
Jeanne Moreau glaubte nicht an
ein Jenseits. Aber sie glaubte an das Gewissen. Sie sagte in einem Interview im
Jahre 2006:
„Am Ende geht es nicht um Trauer oder Glück. Sondern um richtig
oder falsch. Am Ende stehen wir alle alleine da vor unserem Gewissen. Auf der
Leiter, die Jakob in der Bibel im Traum sieht, bin ich deshalb immer nur nach
oben gegangen. Es gab Niederlagen, einige sogar. Aber ich habe – in guten wie
in schlechten Zeiten – immer meiner eigenen Moral standgehalten. Das Leid vergeht.
Das Gewissen? Bleibt.“[1]
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