Am Sonntagabend (24.05.2020) sah ich zwei
großartige Filme auf Arte:
Zuerst zeigte der Sender den Westernklassiker
„Der letzte Zug von Gun Hill“ (Last Train from Gun Hill) von John Sturges aus
dem Jahr 1959 mit Kirk Douglas als Marshall Matt Morgan und Anthony Quinn als
Rinderbaron Craig Belden. Die beiden ehemaligen Freunde können nicht aus ihrer
Haut und folgen den Mustern, die die amerikanische Gesellschaft (oder
Hollywood) in solchen Fällen vorgibt. Der einzige, aber missratene Sohn Rick des
Rinderbarons (Earl Holliman) vergewaltigt und tötet unter Alkoholeinfluss
zusammen mit einem Kumpel die junge Frau des Marschalls, eine Indianerin, als
diese mit ihrem neunjährigen Sohn Pete auf dem Einspänner gerade auf dem
Heimweg durch ein Wäldchen muss. Sheriff Morgan, der die Initialen C.B. auf dem
Sattel des Pferdes, mit dem der überlebende Pete in die Stadt geritten kam,
schnell als die des allseits bekannten mächtigen Rinderbarons Craig Belden
erkennt, macht sich mit dem Zug auf den Weg nach Gun Hill, einer Stadt, die
ganz unter dem Einfluss von Craig Belden steht, der sogar den Sheriff
„bezahlt“.
Zuerst freuen sich die beiden
noch, als sie sich wiedersehen. Als Craig Belden klar wird, dass Matt Morgan
nicht von seinem Vorhaben ablassen will, seinen Sohn zu verhaften und vor ein
Gericht zu stellen, gerät er in einen inneren Konflikt: Gerechtigkeit oder Blutskräfte?
Zum ersten Mal kommt der Mächtige an seine Grenzen, denn er hat einen
aufrechten Mann als Gegner, der seinen Plan gegen alle durchführen will (und der
ihn schließlich auch durchführen kann): Er will mit den beiden Mördern seiner
Frau den letzten Zug von Gunhill, der abends um 9.00 Uhr abfährt, nehmen. Nun
kommt es unmittelbar am Bahnhof, in den der Zug schon einfährt, zum spannenden
Showdown. Der Kumpel Rick Beldens, Lee Smithers, schießt aus dem Hinterhalt auf
Matt Morgan, der mit Rick als Geisel auf einem Einspänner vom Hotel, in dem er
sich verschanzt hatte, stehend zum Bahnhof gefahren war, und trifft nicht den
Sheriff, sondern seinen Kumpel Rick. Dennoch gibt Craig Belden nicht auf und
fordert Matt Morgan noch am Bahnhof zum Duell heraus. Der Sheriff ist der
bessere Schütze und so bleibt der Mächtige tot auf dem Bahnsteig zurück. Die
Gerechtigkeit hat über die Blutskräfte gesiegt, das Gesetz über das Geld.
Der Film ist eine Variation des
Themas von „Zwölf Uhr mittags“, der sieben Jahre früher stilprägend war: wieder
steht ein einziger Aufrechter ganz allein gegen eine ganze Stadt, die aus Angst
vor dem mächtigen Rinderbaron nichts unternimmt, um ihm zu helfen. Nur Linda
(Carolyn Jones), eine ehemalige Prostituierte und zeitweise Geliebte von Craig
Belden, hat den Mut, Matt heimlich ein Gewehr ins Hotelzimmer zu schmuggeln,
weil sie seine Aufrichtigkeit bewundert. So rettet sie dem Sheriff das Leben.
Wie ich eben aus Wikipedia
erfuhr, hieß Matt Morgans junge indianische Frau Catherine, gespielt von der
israelischen Schauspielerin Ziva Rodann (geboren 1933). Catherine (Lea Massari)
hieß in dem Film „Les Choses de la vie“, der im Anschluss als Programmänderung
im Gedenken an den verstorbenen Michel Piccoli von Arte ausgestrahlt wurde, auch
die Ehefrau von Pierre Berard (Michel Piccoli), einem wohlhabenden Architekten,
der sich mit einem mächtigen Auftraggeber anlegt. Pierre lebt mit der jüngeren
Helene (Romy Schneider) zusammen, kann sich jedoch noch nicht ganz für seine
Geliebte entscheiden, weil er offenbar noch an seiner Frau hängt, die zwar
etwas älter, aber auch sehr schön ist. Auf einer Fahrt nach Rennes ringt er mit
sich selbst, schreibt zunächst einen Brief, um sich von Helene zu trennen,
schickt diesen jedoch nicht ab, sondern lässt ihr in einer plötzlichen
Aufwallung der Gefühle telefonisch ausrichten, dass er sie in einem Hotel in
Rennes „sehnsüchtig“ erwarten würde. Während der Fahrt nach Rennes verunglückt
er tödlich. Die Sequenz des Autounfalls, die immer wieder aus verschiedenen
Blickwinkeln und in Zeitlupe, dann einmal auch in Echtzeit, eingeblendet wird,
wurde aufwendig an zehn Drehtagen durch den „Cascadeur“ Gerard Streiff gefilmt.
Sie ist gewiss der filmische Höhepunkt des Films, zumal sie gemischt ist mit
Erinnerungsfetzen aus Pierres Vergangenheit mit seiner Frau Catherine und
seinem Sohn Bertrand auf der Ile de Re und seinen Zukunftsvisionen von der
Hochzeit mit Helene.
Der Drehbuchautor des
erfolgreichsten Films des Regisseurs Claude Sautet, Jean-Loup Dabadie, der auch
Chansons für bekannte französische Sänger und Sängerinnen (zum Beispiel
Juliette Greco) geschrieben hat, ist gestern (am 24. Mai)mit 81 Jahren in einem
Pariser Krankenhaus gestorben und seinem Kollegen Michel Piccoli nachgefolgt.
Ein paar Tage später musste ich noch
einmal an die beiden Filme denken, die ich am Sonntagabend auf Arte sah. Ich
hatte sie zwar in groben Zügen beschrieben, aber noch kein „Urteil“ über sie gefällt.
Beide Filme sind natürlich gut gemacht. Aber ich kann nicht sagen, dass sie Kunstwerke
sind.
Warum?
Zu einem Kunstwerk gehört immer Vielschichtigkeit.
In „Last Train from Gunhill“ USA, 1959) bleiben die Charaktere sich selber treu
und verharren daher in dem alttestamentarischen Modus des „Auge um Auge, Zahn
um Zahn“. Diese Eindeutigkeit ist auf ein großes, meist jugendliches amerikanisches
Publikum zugeschnitten, das klare Botschaften braucht. Eine etwas
differenziertere Schilderung der Charaktere hätte es irritiert.
Im Grunde ist es bis heute nicht
anders: Die einfachen Menschen in den USA lieben einfache, eindeutige
Botschaften und haben wenig Verständnis für differenziertes Denken. Solche
Botschaften vermittelt – bisher noch
vorwiegend über das Massenmedium „Twitter“ – der derzeitige amerikanische
Präsident.
Der französische Film „Les choses
de la vie“ (1970) zeigt viel von der typischen Einstellung französischer
Intellektueller gegenüber dem Leben: Es hat im Grunde keinen Sinn, aber man
kann es „verschönern“ (affabuler). Diese Weltanschauung des existentialistischen Nihilismus
wird in dem Film in eine schöne Geschichte mit schönen Menschen gepackt, denen
kein Happy End vergönnt ist: Michel Piccoli stirbt in dem Film bei einem
Autounfall, ohne bisher im Leben irgendetwas auf die Reihe gebracht zu haben. Er
hat seine attraktive Frau Catherine für
die jüngere Helene verlassen und man erfährt eigentlich nicht warum. Allerdings
weiß man zum Schluss: es war wohl Liebe. Dieses schwebende Gefühl bleibt am
Ende in der Seele des Zuschauers zurück, was dem Film eine süße Melancholie verleiht,
die die Franzosen lieben.
Auch hier sehe ich eine Parallele
zur französischen Gegenwart: Der jugendliche Präsident der Franzosen ist im
Grunde eine tragische Gestalt: Ihm gelingt so gut wie gar nichts, aber er
lächelt immer gleichbleibend und ewig jung in die Kameras. Es ist der schöne
Schein (la "gloire"), der die Franzosen bisher fasziniert hat. Jetzt aber verlangen sie mehr
von ihrem Präsidenten und sind mal wieder bereit zu einer Revolution. Aber wohin
der Weg gehen soll, das wissen sie genau so wenig wie ihr Präsident.
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