Gestern war ich einmal wieder im
Kino. Endlich gelang es mir, den schon seit mehreren Wochen laufenden Film
meines deutschen Lieblingsregisseurs Wim Wenders über Papst Franziskus, „Ein
Mann seines Wortes“, anzuschauen.
Es war wie eine reale Begegnung
mit einer außergewöhnlichen Individualität. Ich war so berührt von der
liebevollen Bescheidenheit und Authentizität dieses argentinischen
Jesuitenpriesters! Alle Vorurteile flogen wie schwarze Vögel schon in den
ersten Minuten des Films aus meinem Kopf, als Jorge Bergoglio sagte, dass er
nicht viel sprechen, sondern lieber zuhören wolle. So wirkten seine Worte in
den durch Wim Wenders Team gefilmten Interviews, in denen der Papst den
Zuschauer direkt anzusprechen scheint, auf mich einfach und gleichzeitig
wahrhaftig. Ja, ich gebe zu: auch ich hatte immer wieder kritische Fragen an
den Papst, die der Tatsache geschuldet waren, dass mit ihm durch das Enklave
der erste Jesuit auf den Stuhl Petris gewählt worden war.
Die Mitglieder der Societas Jesu
sind nicht gerade meine bevorzugten Christen, zumal ich als evangelischer
Protestant weiß, wie sehr sie im Verlauf der Geschichte seit ihrer Gründung die
Mitglieder der reformierten Kirchen bedrängt und drangsaliert haben. Immer
steht mir das Beispiel des Jesuitenpropstes Christoph von Westerstetten vor
Augen, der am Beginn des 17. Jahrhunderts in Ellwangen und Umgebung über 500
Männer und Frauen als Ketzer oder Hexen verbrennen oder hinrichten ließ, einzig
und allein deswegen, weil sie vom „rechten Glauben“ abgefallen waren und
Sympathien für die Evangelischen gezeigt hatten.
Aber dieser Orden trieb nicht nur
aktiv die Gegenreformation voran, sondern übte auch in der Form von Beratern
vieler europäischer und außereuropäischer Regierungen starken Einfluss auf die
Politik aus, blieb dabei aber meistens im Hintergrund, was wiederum zu
zahlreichen Verschwörungstheorien beitrug. Das Netzwerk der Gesellschaft Jesu
war eines der ersten, das global agierte und deswegen sehr durchsetzungsfähig
war.
Wieder einmal bewahrheitet sich
der Satz, dass man nicht alle Menschen „über einen Kamm scheren“ dürfe. In Jorge
Bergoglio, der als erster Papst in der Geschichte den Namen „Franziskus“
gewählt hat, um damit anzuzeigen, dass er, wie einst Franz von Assisi, für die
Armen, die Kranken und die Mitgeschöpfe Gottes eintreten will, erkenne ich
durch den Film einen Menschen mit großem Charisma, der es ernst meint und der die
Menschen aufrichtig liebt.
Interessant ist, was Papst
Franziskus in dem Film über die Freiheit sagt: Ohne Freiheit, sich für das Gute
oder für das Böse zu entscheiden, gäbe es keine Liebe. Das greift unmittelbar
die Gedanken Rudolf Steiners aus seiner „Philosophie der Freiheit“ auf. Ich
erlebe an dem Papst einen Menschen, der die in jener Grundschrift des
Katholiken Rudolf Josef Lorenz Steiner geforderte „moralische Phantasie“ in
einem hohen Maße besitzt.
Nur ein gläubiger Katholik wie
Wim Wenders konnte diesen Film machen, der die gleiche Positivität ausstrahlt
wie der Papst selbst, obwohl Regisseur und Papst das Leid und die Zerstörung,
die durch die Raffgier und Geldsucht derjenigen Menschen zustande kommen, die
immer mehr haben wollen, durchaus sieht.
Hier wird nicht angeklagt.
Es wird die Ursache aber deutlich
genannt, ob bei den Häftlingen in einem italienischen Gefängnis, den Sterbenden
in einem afrikanischen Krankenhaus, bei den Philippinos nach einem verheerenden
Hurrikan, bei den Armen in den Favelas oder aber vor der UNO-Vollversammlung
oder im amerikanischen Kongress: wir sollen nicht immer reicher werden wollen,
sondern wir müssen wieder – freiwillig – ärmer werden. Und wenn man dann die Gesichter
der wirklich Armen sieht, dann kann man nur staunen, wie sie trotz aller Not noch
mehr strahlen als die Gesichter in der UNO oder im Kongress.
Der Reichtum der 20 Prozent der Weltbevölkerung,
die über 80 Prozent des Geldvermögens verfügt, führt zu der Wegwerfgesellschaft,
die den Planeten vermüllt und zerstört.
Der Papst spricht in seiner Rede vor
dem US-Kongress auch die Waffen an, die Firmen nur um des Geldes willen an
Staaten liefern, die dadurch ins Chaos gestürzt werden.
Natürlich könnte der Papst, der
sicher Ross und Reiter kennt, noch deutlicher werden.[1]
Aber Anklagen helfen nicht
weiter. Anklagen zeigen nur, dass man nicht zuhören kann. Selbst der schlimmste
Verbrecher[2]
hat ein Anrecht auf die Liebe Gottes. Das macht Franziskus an dem Beispiel des Mannes
klar, der als erster – von Christus selbst – heiliggesprochen wurde: er meint einen
der beiden Verbrecher, die mit Jesus gekreuzigt wurden.
Wenn Gott zulässt, was geschieht,
dann hängt es eben mit jener Freiheit zusammen, die er dem Menschen geschenkt
hat.
Nicht anklagen, sondern liebevoll
beobachten und hinhören hilft weiter. Und an dieser Stelle möchte ich den Film
im Sinne von Rudolf Steiner ergänzen: wer aus der Liebe heraus beobachtet, was
auf der Welt vor sich geht, der kann die Fehlentwicklungen im Geiste „richtig
stellen“. Dazu braucht er die „moralische Phantasie“. Und diese
„Richtigstellungen“ hören die geistigen Wesen, welche die Menschheit bei ihrer derzeitigen
Talfahrt begleiten, die wie die Pubertät eines Jugendlichen eines Tages, wenn
alle Grenzen ausprobiert sein werden, wieder
zu Einsicht und zu Frieden führen wird.
Auf diese Hoffnung setzt der Papst, auf sie setzt
Wim Wenders und auf diese Hoffnung setze auch ich jeden Tag.
[1] Die Journalisten,
die den Film besprechen, kritisieren das zum Teil, aber sie haben meiner Meinung
nach das Wesentliche nicht verstanden. Siehe die Kritik von Rene Martens in der
Zeit: https://www.zeit.de/kultur/film/2018-06/papst-franziskus-mann-seines-wortes-wim-wenders-film , oder die Kritik in Spiegel-Online von Kirsten Rißelmann, die den Film „kitschig“
findet: http://www.spiegel.de/kultur/kino/papst-franziskus-ein-mann-seines-wortes-filmkritik-privataudienz-im-kino-a-1212369.html
[2] Nur bei den
pädophilen Priestern innerhalb der katholischen Kirche scheint Papst Franziskus
geradezu ungnädig zu werden: er verurteilt sie als Verräter an Christus.
Wim war als ich mit ihm zu tun hatte streng evangelisch. Wird das auch heute noch sein. Das Interesse des vatikanischen Staatspräfekten für Kommunikation an einem überzeugten Katholiken für diese Aufgabe wäre viel geringer gewesen. Ist ja nicht blöd.
AntwortenLöschenWim Wenders ist inzwischen zum Katholizismus konvertiert.
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