Weil mich jüdisches Denken und
Leben interessiert, habe ich mir gestern Abend auf Arte den Film „Die Welt der Wunderlichs“
(2016) von Dani Levy (geboren 1957 in Basel) angesehen. Die jüdische Sicht auf
die Welt und die Dinge ist immer besonders und so hoffte ich, auch durch diesen
Film wieder etwas Neues zu erfahren. Aber der Film bediente leider wieder nur
konstruierte Klischees über eine „moderne“, das heißt vollkommen chaotische
deutsche Familie: Der manisch-depressive Vater Walter Wunderlich (Peter
Simonischek), die in sich selbst und ihren Schmerz eingesponnene Mutter
(Hannelore Elsner), die toughe, alleinerziehende Borderline-Mutter Mimi
Wunderlich (Katharina Schüttler), die bei einem Schweizer Song-Contest eine
„zweite Chance“ erhält, ihre Schwester Manuela (Christiane Paul), die einen
Friseursalon betreibt, der Ex-Mann von Mimi, der Musiker Johnny (Martin Feifel)
und der Exfreund von Manuela, ein Schönling, der sich aus reiner Nächstenliebe
für die verzweifelte Mimi einsetzt (Steffen Groth), das alles sind vollkommen überzogene
Charaktere. Am überzogensten ist allerdings der Sohn von Mimi, das hyperaktive
Kind Felix (Ewi Rodriguez), das schon einmal seine Lehrerin im
Klassenzimmerschrank einsperrt – so beginnt der Film.
Die „Wunderlichs“ werden am Ende
des Films durch ein „Wunder“ geheilt und plötzlich alle in Harmonie vereint:
Mimi gewinnt zwar den Song-Contest nicht, weil Felix, der kleine Einstein, die
Bewertungsmaschinerie manipuliert hat, aber sie berührt das Publikum so sehr,
dass sich nun die Plattenfirmen um sie bemühen. Dadurch scheinen die
materiellen Probleme der Familie, die wohl der Hauptgrund für das Scheitern der
Familienmitglieder im wirklichen Leben waren, mit einem Schlag behoben:
Illusion rettet Wirklichkeit.
Im Netz finde ich eine Kritik des
Films von Barbara Möller aus der „Welt“ vom 14. 10. 2016. Ich kopiere hier den
Anfang:
„Bipolarität, Borderline-Syndrom,
Depression, ADHS – diese Familie wirkt ganz schön irre. Dani Levys neue
Kinokomödie „Die Welt der Wunderlichs“ ist aber ein Hybrid: halb Roadmovie,
halb Groteske.
Zwölf Drehbuchfassungen. Das mag
in Hollywood normal sein, bei uns bedeutet es nichts Gutes. Ein Dutzend
Varianten hat Dani Levy zu seinem Film geschrieben, wie er der ‚Berliner
Zeitung‘ sagte. Die erste ‚wie im Rausch‘, die nächste im Bann der
Selbstzweifel, irritiert, dass der WDR eine Beteiligung abgelehnt hatte.
Man sieht es dem Film an. Er
wirkt mit seinem Plot und seinem Happy End einerseits amerikanisch, mit seinem
vorzüglichen Ensemble aber auch wieder sehr europäisch. Er ist halb gut, halb
schlecht, also unbefriedigend.
Die Geschichte ist schnell
erzählt. Mimi Wunderlich (Katharina Schüttler), alleinerziehend in Mannheim,
hat gerade ihren Job in einem Elektromarkt verloren. Sie musste mal wieder zur
Schule rasen, wo ihr altklug-hyperaktiver Sohn Felix (Ewi Rodriguez) die
Lehrerin in einen Schrank gesperrt hat.
Mimis manisch-depressiver Vater
(Peter Simonischek) ist aus der Psychiatrie getrürmt, Mimis Mutter (Hannelore
Elsner) zieht mal wieder eine ihrer suizidalen Erpressungsnummern durch. Die
große Schwester (Christiane Paul) denkt nur an sich und ihren Frisörsalon, und
Ex-Mann Johnny (Martin Feifel), ein erfolgloser Keith-Richards-Verschnitt, ist auch
keine Hilfe."
Was fängt der Filmzuschauer mit
solchen chaotischen Familienverhältnissen unterbewusst an? Er denkt vielleicht
an Fälle, die er kennt und bekommt drastisch bestätigt: das soziale Leben in
der kleinsten Zelle der Gesellschaft, der Familie, ist genauso chaotisch, wie
die ganze Gesellschaft der Gegenwart.
Wer gibt der Menschheit eine
„zweite Chance“?
Im Universum von Dani Levy stehen
dafür die Götter des Show-Business bereit, zu denen die Familie Wunderlich von
Mannheim nach Zürich pilgert: der beleibte Produzent der Show, bei der Mimi
bereits einmal erfolgreich teilgenommen hat und nun ins Finale darf, ist wie
Gottvater, der sich immer wieder telefonisch bei Mimi meldet ("Wir lieben Psychos!"), der glatzköpfige
Regisseur fungiert als der Heilige Geist der Show und die gute Fee, die
Moderatorin Arabella, ist die Liebe in Person, also beinahe ein weiblicher
Christus. Diese „heilige Dreieinigkeit“ wird gespiegelt von den drei Juroren,
die in ihren weißen Kugel-Sesseln sitzen und am „Beliebtheitsschalter“ drehen,
der über Sieg oder Niederlage entscheidet.
Aber Dani Levy bietet ein
falsches „Happy End“ an. Deswegen funktioniert der Film nicht, wie Barbara
Möller richtig feststellt:
"Der Dysfunktionalität der Familie
Wunderlich entspricht über weite Strecken der Ton, geschweige denn das verlogene
Heile-Welt-Ende. Levy kann offenbar nicht über seinen Schatten springen, wenn es
ernst wird. Werden muss. Ihm ist offenbar nicht klar, dass Figuren das Recht auf
einen Subtext haben.
Dieses Defizit erklärt auch, warum
man nicht Schüttler, sondern Hannelore Elsner mit dem größten Interesse zuschaut:
Großartig, wie sie den sterbenden Schwan mimt – ‚Ich habe einen Tumor im Kopf! Er
ist fast so winzig wie ein Sandkorn, aber er wächst rapide!‘ – toll, mit welcher
Infamie sie die leidenschaftliche Mutter spielt, sobald im Castingstudio eine Kamera
läuft. Die Elsner zieht in ihrer kleinen Rolle alle Register. Herrlich.
Was bleibt unterm Strich? Ein Film,
den man angucken kann, der einen aber nicht wirklich berührt. Auch mit der ‚Welt
der Wunderlichs‘ wird es Levy nicht gelingen, den Erfolg von ‚Alles auf Zucker!‘
zu wiederholen." [1]
Die kaputte Gesellschaft heilt
man nicht durch „Brot und Spiele“, wie Levy in einem vermutlichen Anfall von
„Bipolarität“ suggeriert, sondern mit der tieferen Einsicht in die
übersinnlichen Quellen der sozialen Welt, zu denen jeder Mensch allein durch
ein wirklichkeitsgemäßes Denken finden kann. Schon der chinesische Weise
Konfuzius (ca. 600 vor Christus) wies darauf hin. Auf die Frage, was er für das
Wichtigste im Staatsleben halte, antwortete der Meister:
„Was vor allem not tut, ist, dass
man alle Dinge beim rechten Namen nennen kann.“
Auf die erstaunte Miene des
fragenden Fürsten hin erklärte er:
„Wenn die Begriffe nicht richtig
sind, so stimmen die Worte nicht. Stimmen die Worte nicht, so ist das, was
gesagt wird, nicht mehr das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht
zustande. Kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht.
Gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft das Recht nicht. Trifft das Recht
nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen.
Also dulde man nicht, dass in den
Worten irgendetwas in Unordnung ist.
Das ist es, worauf es ankommt.“
Beim weiteren Nachdenken über den
Film und seine geistigen Implikationen ist mir bewusst geworden, dass Dani Levy
nur eine Scheinlösung anbietet. Er will das Chaos mit Illusion heilen. Chaos
aber ist ein Werk der ahrimanischen Geister, die seit 1879 in immer mehr
unbewussten Menschenseelen wirken und sich im Chaos wohlfühlen. So nennt schon
Faust Mephistopheles „des Chaos wunderlichen Sohn“. Die Illusion war und ist
das Gebiet der luziferischen Geister.
So pendelt die arme Mimi Wunderlich
im Grunde zwischen Skylla und Charibdis hin und her. Dabei hat sie als Musikerin
tatsächlich eine Chance, aus dem Chaos herauszukommen, wenn sie sich auf sich selbst
besinnen würde. Ihre Songs sind tief empfunden und gefallen mir. Sie erinnern mich
stark an die Songs von Sophie Hunger.
Mimi ist, das sieht man gleich, nicht zum Superstar geboren. Sie ist eine ganz normale alleinerziehende Mutter, die alles für ihren Sohn tut. Ihre wunderbaren Lieder könnte sie allein für Felix (der Glückliche) singen, der sie „bis zum Mond“ liebt.
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