Gestern sah ich zum dritten Mal
George Stevens großes Western-Epos „Shane“ (Mein großer Freund Shane, USA 1953)
mit Alan Ladd als Shane, Van Heflin als Joe Starrett und Jack Palance als
Revolverheld Wilson. Es geht, wie so oft, um den Konflikt zwischen Farmern und
Ranchern. Die einen brauchen viel Land für ihre Viehherden, die anderen siedeln
als Kleinbauern auf demselben Land, meistens an einem Fluss. Den guten Farmern
hilft der geheimnisvolle Fremde, der eigentlich ein Revolverheld war, aber
nicht mehr kämpfen will. Dem Großgrundbesitzer Rufus Ryker hilft der Revolverheld
Wilson, der in dem Film wie die Inkarnation des Bösen erscheint.
Shane reitet am Beginn des Films
auf seinem weißen Pferd einen Berg herab und kommt wie eine Erlösergestalt für
die kleine Farmerfamilie Joe, Marion (Jean Arthur) und Sohn Joey Starrett (Brandon de Wilde)
direkt aus dem Himmel. Am Ende reitet er denselben Berg, den er gekommen war[1],
wieder zurück und verschwindet für immer, auch wenn der kleine Joey ihm
nachruft: „Shane! Come back!“ Die Berge, von denen „Shane“ gekommen ist,
spielen im Hintergrund des Tales, in dem die Starretts siedeln, als
eindrucksvolle Silhouette immer mit.
Am Ende entschließt sich Shane
schließlich zum Kampf gegen Wilson und die Ryker-Brüder, die die kleinen Farmer
bedrohen. Er tötet sie in einem kurzen Schusswechsel. Es wird deutlich: Shane
kann nicht aus seiner Haut. Er muss für die Guten gegen das Böse kämpfen. Er
ist und bleibt ein Kämpfer, auch wenn er es nicht mehr sein will, sondern dem
Farmer Joe Starrett helfen will, das Land zu bebauen. Aber da ist Marian, die
sich in Shane verliebt. Das muss unweigerlich zu einem Konflikt zwischen den
beiden Männern führen. Dadurch greift der Film einen zweiten Erzählstrang auf:
Neben dem michaelischen Kampf Gut gegen Böse kommt nun eine Liebesgeschichte
dazu, die von Anfang an auf Verzicht hinausläuft. Und es gibt einen dritten
Erzählstrang: die Vergötterung des guten Revolverhelden durch den etwa
elfjährigen Sohn Joey. Alle drei Erzählungen haben in dem Film etwas
Didaktisch-Moralisches.
Der Film appelliert in dreifacher
Hinsicht an das Gute im Zuschauer. An das Gute im Denken – die Bewunderung
durch den Jungen, der einmal genauso werden möchte wie Shane – an die Läuterung
des Fühlens – die zarte aber unmögliche Liebe zwischen Shane und Marian – und
an das Gute im Wollen – der Kampf Shanes mit dem Drachen Wilson.
Soweit ich erkennen kann, hat der
Regisseur George Stevens (1904 – 1975) keine jüdischen Wurzeln. Erst vor kurzem
habe ich seine beiden bekanntesten Filme, die Verfilmung von Theodore Reisers
Roman „An American Tragedy“ (1925) mit dem Titel „Ein Platz an der Sonne“ (A
Place in the Sun, USA 1951) mit Montgomery Clift, Elisabeth Taylor und Shelley
Winters und die Verfilmung von Edna Ferbers Epos (1952) „Giganten“ (Giant, USA
1956) mit Rock Hudson, Elizabeth Taylor und James Dean wiedergesehen. George
Stevens hat auch „Das Tagebuch der Anne Frank“ (The Diary of Anne Frank, USA
1959) und das Neue Testament als „Die
größte Geschichte aller Zeiten“ (The Greatest Story Ever Told, USA 1965) mit Max
von Sydow als Jesus und Charlton Heston als Johannes der Täufer verfilmt.
Ergänzung:
Ergänzung:
Der Edelwestern „Shane“
beschäftigt mich noch immer. Wie ich auf Wikipedia erfahre, hat George Stevens
über ein Jahr gebraucht, um die Endfassung des Films zu schneiden. Der im
Original 116 Minuten dauernde Film ist also sehr sorgfältig „komponiert“. In
der deutschen Kinofassung ist er auf 90 Minuten zusammengestutzt worden.
Der Film hat offenbar
Generationen von Westernfans geprägt. Auch Bob Dylan[1]
erwähnt ihn als einen „persönlichen Favoriten“ und einen Meilenstein.
Ich habe mich eben in Joe Hembus‘
Western-Lexikon und im Reclam-Bändchen über Filmgenres „Western“ kundig gemacht
und zunächst einmal erfahren, dass Shane am Schluss des Films tatsächlich
tödlich verwundet zurück auf seinen Berg reitet, um dort einsam zu sterben. Das
hatte ich beim Sehen nicht so deutlich erkannt. Interessant finde ich die
Betrachtung von Ulrich von Berg im Reclam-Band:
„‘Shane‘ gilt als das zentrale
Mittelstück jener American-Dream-Trilogie, auf der heute George Stevens
Renommee basiert und zu der noch ‚A Place in the Sun‘ und ‚Giant‘ gehören. In
einer Zeit, die von rigidem Anpassungsdruck geprägt war und in der es in
Hollywood noch keinesfalls der Norm entsprach, die schmerzhaften
Selbstfindungsprozesse von gesellschaftlichen Außenseitern und die brutalen
Ausgrenzungsstrategien der Gesellschaft zu thematisieren, stellt Stevens drei
solche ‚outcasts‘ in den Mittelpunkt seiner Filme – neben Alan Ladd in ‚Shane‘
die von Montgomery Clift und James Dean gespielten Männer in ‚A Place in the
Sun‘ bzw. ‚Giant‘ (Und Jett Rink in ‚Giant‘ ist mehr als nur einmal als der
– halbwegs – erwachsen gewordene Joey
interpretiert worden). Diese Outcasts, die jeder ein wenig weiter als der
vorige dabei gehen, nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt zu verändern,
waren nur noch vom größten Außenseiter überhaupt, nämlich Jesus Christus in
‚The Greatest Story Ever Told‘ zu übertreffen, danach beendete Stevens konsequenterweise seine Karriere,
sieht man von dem 1970 nachgeschobenen ‚The Only Game in Town‘ ab.“ (S 168f)
Den religiösen Hintergrund des
Films, den ich unmittelbar erlebte, beschreiben auch andere Filmkritiker.
Einen, Michael T. Marsden, zitiert Joe Hembus auf Seite 430ff:
„Zu Beginn des Films kommt Alan
Ladd langsam die Grand Teton Mountains herab. Er ist der neue Christus, der Christus
der Grenze, der vom Olymp des Westens kommt, um den Farmern in ihrem Kampf
gegen die Rancher beizustehen. Wir sehen Shane mit den Augen von Amerikas
Zukunft, mit den Augen des jungen Joey Starrett, der die von Shane verkörperte
Tradition weitertragen wird. Es ist kein Zufall, dass Joeys Eltern Joe (Josef)
und Marion (Maria) heißen; sie stehen in Erwartung des Messias-Sohnes, der sie erlösen
wird. Die Theorie einiger Kritiker, dass Joey die ganze Geschichte nur träumt, scheint
in diesem Kontext gut aufzugehen. Denn Shane ist, was Joey werden will und nach
dem Willen seiner Eltern auch werden soll. Wenn die Farmer ihren ermordeten Kameraden
beerdigen und daran denken, ihr Land aufzugeben, ist es Shane, der inmitten des
armseligen Friedhofs mit der kleinen Stadt im Hintergrund daran erinnert, um was
es in diesem epischen Kampf geht. Er hält seine Bergpredigt mit guter Wirkung; die
Leute brechen bestärkt, getröstet, gereinigt auf. Indem Shane aber, unfreiwillig,
doch folgsam, die Last der Heimstätter auf sich nimmt, opfert er sein Anrecht am
göttlichen Leben. Er wurde vom Berg gesandt, um ein Werk des Heils zu vollbringen,
und obwohl er mit seinem Schicksal hadert und sich ein anderes wünscht, zögert er
im Augenblick der Wahrheit nicht, die Last, ein Erlöser zu sein, auf sich zu nehmen“
(„Saviour in the Saddle: The Stagebrush Testament“ in „Focus on Western)
[1] Sein
Song „Joey“, den ich sehr mag, ist vielleicht eine Reminiszenz an die Figur des
Joey in „Shane“.
[1] Allerdings
mit einer kleinen Variante: er muss dabei über einen Friedhofs-Hügel, auf dem einer
der Farmer, den Wilson erschossen hat, begraben wurde.
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