Montag, 6. August 2018

Das didaktische Westernepos "Mein großer Freund Shane" von George Stevens aus dem Jahre 1953




Gestern sah ich zum dritten Mal George Stevens großes Western-Epos „Shane“ (Mein großer Freund Shane, USA 1953) mit Alan Ladd als Shane, Van Heflin als Joe Starrett und Jack Palance als Revolverheld Wilson. Es geht, wie so oft, um den Konflikt zwischen Farmern und Ranchern. Die einen brauchen viel Land für ihre Viehherden, die anderen siedeln als Kleinbauern auf demselben Land, meistens an einem Fluss. Den guten Farmern hilft der geheimnisvolle Fremde, der eigentlich ein Revolverheld war, aber nicht mehr kämpfen will. Dem Großgrundbesitzer Rufus Ryker hilft der Revolverheld Wilson, der in dem Film wie die Inkarnation des Bösen erscheint.
Shane reitet am Beginn des Films auf seinem weißen Pferd einen Berg herab und kommt wie eine Erlösergestalt für die kleine Farmerfamilie Joe, Marion (Jean Arthur) und Sohn Joey Starrett (Brandon de Wilde) direkt aus dem Himmel. Am Ende reitet er denselben Berg, den er gekommen war[1], wieder zurück und verschwindet für immer, auch wenn der kleine Joey ihm nachruft: „Shane! Come back!“ Die Berge, von denen „Shane“ gekommen ist, spielen im Hintergrund des Tales, in dem die Starretts siedeln, als eindrucksvolle Silhouette immer mit.
Am Ende entschließt sich Shane schließlich zum Kampf gegen Wilson und die Ryker-Brüder, die die kleinen Farmer bedrohen. Er tötet sie in einem kurzen Schusswechsel. Es wird deutlich: Shane kann nicht aus seiner Haut. Er muss für die Guten gegen das Böse kämpfen. Er ist und bleibt ein Kämpfer, auch wenn er es nicht mehr sein will, sondern dem Farmer Joe Starrett helfen will, das Land zu bebauen. Aber da ist Marian, die sich in Shane verliebt. Das muss unweigerlich zu einem Konflikt zwischen den beiden Männern führen. Dadurch greift der Film einen zweiten Erzählstrang auf: Neben dem michaelischen Kampf Gut gegen Böse kommt nun eine Liebesgeschichte dazu, die von Anfang an auf Verzicht hinausläuft. Und es gibt einen dritten Erzählstrang: die Vergötterung des guten Revolverhelden durch den etwa elfjährigen Sohn Joey. Alle drei Erzählungen haben in dem Film etwas Didaktisch-Moralisches.
Der Film appelliert in dreifacher Hinsicht an das Gute im Zuschauer. An das Gute im Denken – die Bewunderung durch den Jungen, der einmal genauso werden möchte wie Shane – an die Läuterung des Fühlens – die zarte aber unmögliche Liebe zwischen Shane und Marian – und an das Gute im Wollen – der Kampf Shanes mit dem Drachen Wilson.
Soweit ich erkennen kann, hat der Regisseur George Stevens (1904 – 1975) keine jüdischen Wurzeln. Erst vor kurzem habe ich seine beiden bekanntesten Filme, die Verfilmung von Theodore Reisers Roman „An American Tragedy“ (1925) mit dem Titel „Ein Platz an der Sonne“ (A Place in the Sun, USA 1951) mit Montgomery Clift, Elisabeth Taylor und Shelley Winters und die Verfilmung von Edna Ferbers Epos (1952) „Giganten“ (Giant, USA 1956) mit Rock Hudson, Elizabeth Taylor und James Dean wiedergesehen. George Stevens hat auch „Das Tagebuch der Anne Frank“ (The Diary of Anne Frank, USA 1959) und das Neue Testament  als „Die größte Geschichte aller Zeiten“ (The Greatest Story Ever Told, USA 1965) mit Max von Sydow als Jesus und Charlton Heston als Johannes der Täufer verfilmt.

Ergänzung:

Der Edelwestern „Shane“ beschäftigt mich noch immer. Wie ich auf Wikipedia erfahre, hat George Stevens über ein Jahr gebraucht, um die Endfassung des Films zu schneiden. Der im Original 116 Minuten dauernde Film ist also sehr sorgfältig „komponiert“. In der deutschen Kinofassung ist er auf 90 Minuten zusammengestutzt worden. 
Der Film hat offenbar Generationen von Westernfans geprägt. Auch Bob Dylan[1] erwähnt ihn als einen „persönlichen Favoriten“ und einen Meilenstein.
Ich habe mich eben in Joe Hembus‘ Western-Lexikon und im Reclam-Bändchen über Filmgenres „Western“ kundig gemacht und zunächst einmal erfahren, dass Shane am Schluss des Films tatsächlich tödlich verwundet zurück auf seinen Berg reitet, um dort einsam zu sterben. Das hatte ich beim Sehen nicht so deutlich erkannt. Interessant finde ich die Betrachtung von Ulrich von Berg im Reclam-Band:
„‘Shane‘ gilt als das zentrale Mittelstück jener American-Dream-Trilogie, auf der heute George Stevens Renommee basiert und zu der noch ‚A Place in the Sun‘ und ‚Giant‘ gehören. In einer Zeit, die von rigidem Anpassungsdruck geprägt war und in der es in Hollywood noch keinesfalls der Norm entsprach, die schmerzhaften Selbstfindungsprozesse von gesellschaftlichen Außenseitern und die brutalen Ausgrenzungsstrategien der Gesellschaft zu thematisieren, stellt Stevens drei solche ‚outcasts‘ in den Mittelpunkt seiner Filme – neben Alan Ladd in ‚Shane‘ die von Montgomery Clift und James Dean gespielten Männer in ‚A Place in the Sun‘ bzw. ‚Giant‘ (Und Jett Rink in ‚Giant‘ ist mehr als nur einmal als der –  halbwegs – erwachsen gewordene Joey interpretiert worden). Diese Outcasts, die jeder ein wenig weiter als der vorige dabei gehen, nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt zu verändern, waren nur noch vom größten Außenseiter überhaupt, nämlich Jesus Christus in ‚The Greatest Story Ever Told‘ zu übertreffen, danach beendete  Stevens konsequenterweise seine Karriere, sieht man von dem 1970 nachgeschobenen ‚The Only Game in Town‘ ab.“ (S 168f)
Den religiösen Hintergrund des Films, den ich unmittelbar erlebte, beschreiben auch andere Filmkritiker. Einen, Michael T. Marsden, zitiert Joe Hembus auf Seite 430ff:
„Zu Beginn des Films kommt Alan Ladd langsam die Grand Teton Mountains herab. Er ist der neue Christus, der Christus der Grenze, der vom Olymp des Westens kommt, um den Farmern in ihrem Kampf gegen die Rancher beizustehen. Wir sehen Shane mit den Augen von Amerikas Zukunft, mit den Augen des jungen Joey Starrett, der die von Shane verkörperte Tradition weitertragen wird. Es ist kein Zufall, dass Joeys Eltern Joe (Josef) und Marion (Maria) heißen; sie stehen in Erwartung des Messias-Sohnes, der sie erlösen wird. Die Theorie einiger Kritiker, dass Joey die ganze Geschichte nur träumt, scheint in diesem Kontext gut aufzugehen. Denn Shane ist, was Joey werden will und nach dem Willen seiner Eltern auch werden soll. Wenn die Farmer ihren ermordeten Kameraden beerdigen und daran denken, ihr Land aufzugeben, ist es Shane, der inmitten des armseligen Friedhofs mit der kleinen Stadt im Hintergrund daran erinnert, um was es in diesem epischen Kampf geht. Er hält seine Bergpredigt mit guter Wirkung; die Leute brechen bestärkt, getröstet, gereinigt auf. Indem Shane aber, unfreiwillig, doch folgsam, die Last der Heimstätter auf sich nimmt, opfert er sein Anrecht am göttlichen Leben. Er wurde vom Berg gesandt, um ein Werk des Heils zu vollbringen, und obwohl er mit seinem Schicksal hadert und sich ein anderes wünscht, zögert er im Augenblick der Wahrheit nicht, die Last, ein Erlöser zu sein, auf sich zu nehmen“ („Saviour in the Saddle: The Stagebrush Testament“ in „Focus on Western)




[1] Sein Song „Joey“, den ich sehr mag, ist vielleicht eine Reminiszenz an die Figur des Joey in „Shane“.



[1] Allerdings mit einer kleinen Variante: er muss dabei über einen Friedhofs-Hügel, auf dem einer der Farmer, den Wilson erschossen hat, begraben wurde.

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