„Der schwarze Falke“, der zweite
Technicolor-Film, den ich an jenem Samstag, den 12 Mai 2018, in einer
Nachtvorstellung im Karlsruher Kino Schauburg sah, handelt von bösartigen
Indianern, die eine weiße Siedlerfamilie im Monument-Valley überfallen und
grausam niedermetzeln. Nur Debbie, das jüngste Mädchen überlebt, aber die Bande
von Comanchen unter ihrem Häuptling „Scar“ (=Narbe) – in der deutschen Fassung
„Schwarzer Falke“ genannt – hat die zehnjährige entführt und erzieht sie zur
Indianerin. Das Mädchen, das ursprünglich blond war und mich ein bisschen an
Judy Garland in „The Wizzard of the Oz“ erinnert, hat später, als es von Ethan Edwards
(John Wayne) und dem Halbblut Martin Pawley (Jeffrey Hunter) nach fünfjähriger
Suche schließlich in dem Comanchendorf gefunden wird, schwarze Haare. Die junge
Frau wird dann von Natalie Wood dargestellt, einer Filmschauspielerin, in die
ich auch einmal „verliebt“ war.
Ich möchte hier die
Inhaltszusammenfassung von Hans Messias aus dem 2. Band von „Reclams
Filmklassiker – 1946 – 1962“ (Philipp Reclam jr., Stuttgart 2006, 5. Erweiterte
Auflage, S 304ff) wiedergeben, weil sie den Inhalt des Films besser zusammenfasst
als ich es könnte:
„Fünf Jahre wird ihre Suche
dauern; verbissen durchstreifen sie die einsame Weite, nehmen immer neue Spuren
auf. Nur gelegentlich unterbrechen sie ihre Mission für eine kurze Rast in
zivilisierten Gefilden. Martin wird über der Suche nach seiner (Fast-)
Schwester beinahe sein Lebensglück, die Gründung einer eigenen Familie,
verlieren; Ethan bleibt sich in all den Jahren treu, aber schon bald ändert
sich der Grund seiner Suche. Er will Debbie nicht mehr retten, sondern erlösen,
und das heißt töten, da sie in all den Jahren eine Indianerin geworden sein
muss. Als die mittlerweile zur jungen Frau herangewachsene Verschleppte, die
mit Scar, dem Häuptling des Indianertrupps (…) als Frau zusammenlebte, gefunden
wird, will Ethan seinen Vorsatz in die Tat umsetzen. Es kommt zur Auseinandersetzung
mit Martin, der unbeirrt an den humanitären Charakter seiner Mission glaubt. Zunächst
kann Debbie sich retten, und die Indianer können ihre Spuren verwischen, doch
dann gibt der alte Mose den entscheidenden Tip über Debbies Aufenthaltsort. Er
weiht allerdings Martin und nicht den hasserfüllten Ethan ein. Gemeinsam mit
den Rangers und mit der ungeliebten Kavallerie überfallen die beiden Sucher das
Indianerlager; die Soldaten richten ein Massaker an, Ethan ist auf Rache aus,
Martin auf Rettung. Doch letztlich nimmt Ethan die ‚gestrauchelte‘ Debbie – sie
fällt bei der Flucht vor ihm hin und wäre rettungslos verloren – in die Arme
und als seine Verwandte an.
Was da im Genre-Gewand des
Western daherkommt, ist weitaus mehr. John
Fords Film ‚The Searchers‘ ist ein gelungener Versuch über den Prozess der
Zivilisation. Allen beteiligten Texanern scheint der Bürgerkrieg noch in den
Knochen zu stecken, doch einige finden sich leichter mit dem Anbruch einer
neuen Zeit zurecht als andere. Noch ist das Land unbefriedet und wild und hat
noch Platz für die ruhelos umherstreifenden Archetypen der Pionierzeit, obwohl
die Farmer als Vorboten die neue Zeit bereits einfordern. John Waynes Ethan ist
ein Charakter, der auf der Schwelle dieser Entwicklung wandelt, er weiß, dass
er selbst und seine Vergangenheit einem Mythos angehören, er weiß auch, dass
sein Platz nie der vor dem friedlich flackernden Kaminfeuer sein wird. Noch
wird er zwar gebraucht, doch er gehört zu niemandem, ist nur sich selbst
verpflichtet. Vielleicht wäre sein Leben anders verlaufen, wenn sich seine
Liebe zu Martha erfüllt hätte, doch er hat die Liebste – in weiser Voraussicht –
seinem Bruder überlassen. Ethan wird in dieser Welt keine Heimat finden. Die
Eingangssequenz und das Ende des Films machen dies deutlich. In beiden Fällen
steht er außerhalb des Hauses, jeweils gerahmt von der schwarzen Silhouette
einer Tür (die Kamera befindet sich im Innern), er gehört eben nicht in
behagliche Räume, seine Heimat ist die Prärie. Am Ende, nach der glücklichen
Wiedervereinigung, wenn Martin sich bewährt hat und seine Heirat ins Auge
fassen kann, laufen die geretteten Seelen an Ethan vorbei in die gute Stube
hinein, er bleibt als einziger draußen und wird schon bald wieder sein Pferd besteigen.
Die Ablehnung, die Ethan anfänglich
dem Achtel-Indianer entgegenbringt, die Verbissenheit seiner Suche, sein Hass
auf Scar, sein Vorsatz, Debbie zu töten, dies macht ihn gewiss nicht zu einem
Sympathieträger, sondern zu einem Getriebenen, der weiß, dass er eigentlich den
verhassten Indianern näher steht als seinen weißen Gefährten. Er denkt und
handelt wie ein Indianer, kann sich in sie hinein versetzen, das macht ihn
gefährlich – für beide Seiten. Fast scheint es, als stehe er seinem
indianischen Spiegelbild gegenüber, als er Scar endlich aufgespürt hat.“
Der Film mit seinen großartigen
Aufnahmen vom Monument Valley, die sogar David Lean und Sergio Leone für ihre
Filme „Lawrence von Arabien“ und „Spiel mir das Lied vom Tod“ inspiriert haben
sollen, wie wir in der Einführung erfahren, ist eine differenzierte
Auseinandersetzung mit dem latenten Rassismus der weißen Siedler. Dabei wird
klar, dass John Ford eher auf der Seite des Halbbluts Martin Pawley als auf der
Seite seines offen rassistischen Helden Ethan Edwards steht.
Und doch ist Ethan nicht viel rassistischer
als sein „Spiegelbild“ (Hans Messias), der Häuptling Scar (Henry Brandon). Ethan
trägt eine innere Narbe, weil er seine Liebe nicht bekommen hat und nun mit
seiner Wunde wie der fliegende Holländer in den Meeren ewig in der Wildnis
umherziehen muss, was sich zum Beispiel auch in seinem Hass und seiner
Illusionslosigkeit ausdrückt. Scar will in seinem Hass auf die Weißen das erbeutete
Mädchen zu einer Indianerin machen, was ihm schon beinahe gelungen ist, als
Ethan und Martin es finden.
Beide Figuren, Ethan und Scar,
stehen für die Wildheit, während das Halbblut Martin für die Menschlichkeit
steht. Er ist es, der Debbie rettet. Wenn er sich nicht schützend vor das
Mädchen gestellt hätte, hätte Ethan es erschossen.
Als Ethan die Tochter seiner
ehemaligen Geliebten dann in die Arme nimmt und zurückträgt in die
Zivilisation, hat er seine Menschlichkeit wiedergefunden. Das war im Grunde das
Ziel der jahrelangen Suche.
Die erfolgreiche Mission wird
auch zwei weiteren Figuren verdankt, die immer wieder auftauchen: Zwischen Ethan
und Martin stehen vermittelnd der skurrile Alte, der auf den Namen „Mose“ (Hank
Worden) hört und der Texas-Ranger Samuel Clayton (Ward Bond), der gleichzeitig
Priester ist. Der Name erinnert mich an
den Namen des Bösewichts Dayton aus dem Hitchcock-Film, aber John Fords Reverend
ist im Gegensatz zu jenem ein gottesfürchtiger Mann.
„Der Mann, der zu viel wusste“
und „Der schwarze Falke“, dessen Originaltitel „The Searchers“ an die innere
und äußere Suche des Menschen erinnert, der noch „nicht zu viel weiß“, sind mit
Sicherheit zwei Schlüsselfilme des Jahres 1956. Für mich ist jenes Jahr immer
verbunden mit der Arbeit des Schweizer Schriftstellers Max Frisch an seinem
bekanntesten Roman „Homo Faber“, der ebenfalls eine Sinnsuche beschreibt. Der
Roman wurde im Jahr 1957 veröffentlicht, entstand aber vorwiegend im Jahr 1956,
elf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Hans Messias verweist mit Recht
auf den amerikanischen Bürgerkrieg (1861 – 1865), der in der Filmhandlung von „The
Searchers“ gerade mal drei Jahre zurücklag – die Handlung setzt im Jahre 1868
ein und dauert bis 1873 – wenn er behauptet, dass die Figur des Ethan die
verheerende Auswirkung des Krieges auf die Männer zeige. Der Texaner Ethan Edwards
hat seine Liebe seinem Bruder Aaron Edwards (Walter Coy) überlassen, um „für sein
Vaterland“ – das heißt für die elf konföderierten Südstaaten – zu kämpfen. Als
er drei Jahre nach dem Krieg zurückkehrt, ist Martha verheiratet und hat zwei halbwüchsige
Mädchen.
In beiden Filmen (und auch in Max
Frischs Roman) geht es um Verlust und Wiederfinden.
In dem Hitchcock-Film wird der etwa
elfjährige Sohn des amerikanischen Ehepaars McKenna entführt, gerade als sich
Jo (Doris Day) in Marrakesch noch ein Kind wünscht. Durch eine dramatische
Befreiungs-Aktion, an der beide Eltern, Mutter und Vater, teilhaben, kann das Kind
schließlich nach wenigen Tagen in der Londoner Botschaft jenes Staatschefs, der
ermordet werden sollte, aus den „Klauen“ des Oberschurken Dayton gerettet
werden.
In „The Searchers“ wird das etwa
zehnjährige Mädchen Debbie von Indianern entführt, die seine Mutter Martha, die
große Liebe von Ethan, bestialisch ermordet haben. Nach einer langen Suche wird
das nun zur jungen Frau gereifte Mädchen schließlich gefunden und durch ein
Massaker an den Indianern befreit.
In den fünf Jahren der Suche
reift nicht nur Debbie heran, sondern auch die beiden Männer. Dennoch kehrt der
ältere, der „reinrassige“ Weiße Ethan, zurück in die Wildnis, der jüngere, der
Achtel-Indianer Martin, bleibt in der Zivilisation und heiratet.
So findet jeder seinen Sinn im
Leben: Dabei ist der eine – Ethan – ein bisschen mehr Mensch geworden, der
andere – Martin – hat ein paar Illusionen weniger über die weiße Menschheit.
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