Nachdem wir in dem Eiscafe am
Karlsruher Kaiserplatz noch ein Eis gegessen haben, fahren wir wieder zurück in
die Nähe des Kinos „Schauburg“. Wir sind etwa um 19.00 Uhr da und bekommen noch
gute Plätze in der zehnten Reihe: Nr. 10 und 11. Komisch: es ist das erste Mal,
dass ich mir die Platznummern bewusst merke. Als ich dies tue, weiß ich noch nicht
warum.
Um 19.30 Uhr beginnt die
Vorstellung. Der Kinosaal ist zu Dreiviertel voll. Die morgige zweite
Vorstellung von „2001 – Odyssee im Weltraum“ ist bereits ausverkauft.
Vor dem Film gibt es eine ca.
vierzigminütige Einführung von Nils Daniel Peiler, des Filmhistorikers und Ko-Kurators
(Jahrgang 1988) des Frankfurter Filmmuseums, das in diesen Wochen eine Ausstellung
zu Kubricks „2001“ macht. Er hat den Film mit zwölf Jahren zum ersten Mal
gesehen, als er anlässlich des Jahres 2001 wieder aufgeführt wurde, und seitdem
ungefähr 50 Mal.
Ich fühle mich mit dem Film deshalb
besonders verbunden, weil er an meinem 16. Geburtstag in einem Filmtheater in
der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. uraufgeführt worden ist.[1] Da ich mir in der Pause
das Büchlein von Nils Daniel Peiler „201 x 2001“ für 9.90 Euro kaufe, weiß ich,
dass der Film am 11. September 1968 in einem Münchner Kino seine deutsche
Premiere hatte, ausgerechnet an einem elften September und das exakt 33 Jahre
vor dem elften September 2001, der die Welt grundlegend veränderte.
Es ist einiges merkwürdig an
diesem Film, aber nicht nur an diesem epochemachenden ästhetischen Meisterwerk,
sondern an allen 13 Filmen des Regisseurs Stanley Kubrik (geboren 1928), der im
Jahr 1999 kurz vor der Aufführung seines letzten, geheimnisumwitterten Films „Eyes
Wide Shut“ mit erst 70 Jahren plötzlich verstorben ist.
Es gibt die Hypothese, dass er
ein Jahr nach „2001- Odyssee im Weltraum“ die angebliche Mondlandung dreier
amerikanischer Astronauten in den Filmstudios von Walt Disney inszeniert habe,
und dass damals in Wirklichkeit gar keine Amerikaner auf dem Mond gelandet waren.
Lena, die Russin, die nicht weit von der russischen Raumfahrtzentrale Boikonur
aufgewachsen ist, wo auch Verwandte von ihr arbeiteten, bezweifelt die
Mondlandung vom 20. Juli 1969 ebenfalls.
Außerdem bezweifelt Lena, dass
die Menschen, wie der Film im Eingangskapitel „The Dawn of Mankind“ suggeriert, vom Affen abstammen. Sie sagt
ironisch, dass sie sich vorstellen könne, dass die Amerikaner oder vielleicht sogar
alle Männer vom Affen abstammen, aber
auf keinen Fall die Frauen und auch nicht die Russen.
Sie glaubt einfach nicht, dass
ein Affenpärchen an einem Tag x plötzlich feststellt, dass sie ein
Menschenkind, das aufrecht gehen und sprechen kann, zur Welt gebracht hat.
Leider hat das Kino, das vor 50 Jahren, am 25. September
1968 nach einer grundlegenden Renovierung mit dem Film „2001“ wiedereröffnet
wurde, bis heute keine Klimaanlage. So leidet Lena unter der Hitze und kann den
Film gar nicht wirklich genießen. Außerdem hält sie den Film für „amerikanischen
Kinderkram“ und kann ihm inhaltlich nichts abgewinnen. Sie kritisiert vor allem
die unrealistische Darstellung der Schwerelosigkeit, insbesondere bei den
Essensszenen. Als sie in der Einführung ein Foto von Stanley Kubrik sieht, hat
sie den Eindruck, dass der Mann aufgedunsen war und ungesund aussah. Das meint
sie durchaus im psychologischen Sinne. Sie behauptet, ohne mehr zu wissen: „Er
war krank.“
Mir sind Lenas Kommentare immer
interessant und wertvoll, weil sie in ihrer reinen Unbefangenheit die Filme
ganz anders sieht als ich, der ich von der Hollywoodästhetik seit meinem elften
Lebensjahr geprägt bin und mich erst jetzt – auch mit Hilfe von Lena –
allmählich von ihr wieder befreien kann. Durch sie merke ich, wie stark meine
Generation[2] diese Prägung verinnerlicht
hat, so dass wir es schwer haben, einen kritischen Abstand aufrechtzuerhalten.
Das geht bis hinein in die Werte-Vorstellung. Lena findet, dass in
Hollywoodfilmen Sex, Ehebruch, Fremdgehen und Gangster-Gewalt in gewisser Weise
„verherrlicht“ werden.
Diese ständige Beeinflussung hat
viele westliche – und nach 1991 auch russische – Menschen dazu verleitet, all das, was in den
Filmen gezeigt wird, für normal zu halten, ja sogar nachzuahmen.
Lena hat mir
schon früher erzählt, dass zum Beispiel Francis Ford Coppolas „Pate“-Trilogie
einen enormen Einfluss auf russische Männer gehabt habe und dass damals die
russische Mafia einen enormen Auftrieb bekommen habe. Sie hatte selbst einmal kurze
Zeit einen Liebhaber aus diesem Milieu und kann aus eigener Erfahrung davon
erzählen. Solche Kriminelle bereicherten sich mit mafiösen Methoden und schreckten
auch nicht vor Mord zurück. Aus den erfolgreichsten seien später die reichen
russischen Oligarchen hervorgegangen, behauptet Lena glaubwürdig.
Es handelt sich bei jenen Filmen
um eine subtile Korrumpierung der ursprünglich christlich-moralischen Werte der
abendländischen Menschheit. Es ist für mich ein Wunder, das Lenas sensible
slawische Seele trotz der Sozialisation in der kommunistischen Sowjetunion
diese urchristlichen Werte bewahrt hat und sich an ihrer Negation stößt.
Da ich Lenas Leiden unter der
Hitze neben mir spüre, entschließe ich mich, nach der Pause den Kino-Genuss,
der für sie offensichtlich keiner ist, abzubrechen und vorzeitig heimzufahren.
Wir sehen also das Ende des Films nicht, sondern verlassen die Schauburg im
klimagekühlten Nissan um 22.15 Uhr und fahren nach Hause, wo wir um 23.30
ankommen. Dabei haben wir gute Gespräche.
Ich habe den Film ja seit langem
auf DVD und kann mir das Ende, also die letzte halbe Stunde, jederzeit
anschauen, wenn auch nicht auf der 17 x 7 Meter breiten Cinerama-Leinwand.
[1]
Allerdings habe ich ihn erst später im Kino gesehen, ich weiß im Augenblick nur
noch nicht wann, werde aber den Termin irgendwo in einer alten Tagebuchaufzeichnung
finden.
[2]
In der Schauburg laufen in diesem Jubiläumsjahr in der Reihe „Traumfabrik –
Lasst 1000 Blumen blühen“ Klassiker des Kinos, die ich alle Ende der 60er Jahre
im Kino gesehen habe, wie Alexander Kluges „Abschied von gestern“, Jean-Luc
Godards „Weekend“, Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“, Roman Polanskis „Rosemary’s
Baby“, May Spils „Zur Sache Schätzchen“, Dennis Hoppers „Easy Rider“, Michelangelo
Antonionis „Zabriskie Point“ und andere.
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