Am Montagabend zeigte Arte den
Thriller „Die Akte ODESSA“ (The ODESSA File, GB/Westdeutschland 1974) von
Ronald Neame (1911 – 2010).
Auch diesem Film liegt ein Roman
zugrunde. Es ist der nur zwei Jahre zuvor veröffentlichte zweite Roman des britischen
Erfolgsautors und ehemaligen MI6-Agenten Frederick Forsyth.[1] Neben Jon Voight[2] in der Rolle des
Protagonisten Peter Miller, einem frei tätigen Hamburger Journalisten, spielte
eine ganze Reihe bekannter deutscher Schauspieler mit, die alle durchweg ehemalige
SS-Offiziere und Mitglieder der Geheimorganisation ODESSA (Akronym für „Organisation
der ehemalgen SS-Angehörigen“) darstellen – ein seltsam dämonisches
Gruselkabinett.
Inmitten dieser Organisation, die
alten Nazis zu einer neuen Identität verhilft, agiert der „Schlächter von Riga“
Eduard Roschmann, gespielt von Maximilian Schell. Der jüdische Schauspieler
Shmuel Rodensky darf den Nazi-Jäger Simon Wiesenthal spielen.
Im Vorspann wird behauptet, dass
der Film wie der Roman in allen dargestellten Tatsachen, insbesondere bei der
Figur Roschmanns, auf historischen Recherchen beruhe. Das stimmt allerdings
nicht. Entgegen dem Eindruck vieler Zuschauer bezweifeln Historiker, dass es
eine Organisation „ODESSA“ wirklich gab[3]. Zwar gab es tatsächlich Altnazis,
die nach 1945, wie der Film zeigt, wieder Fuß fassten und Schlüsselpositionen
in Politik und Wirtschaft einnahmen, aber ihr Einfluss wird, soweit ich sehe,
in dem Film stark übertrieben. Insbesondere kann ich mir nicht vorstellen, dass
in der Bundesrepublik eine streng durchorganisierte Geheimorganisation
existiert hat, die ihre Gegner mit Berufskillern verfolgt. Solche Organisationen
konnte und kann man eher in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien oder
Frankreich[4], oder in der Sowjetunion antreffen.
Bis heute kennt man keine „deutsche Mafia“.
Die angebliche deutsche
Geheimorganisation, die in dem Film mit ähnlichen Methoden wie der israelische Geheimdienst
Mossad agieren darf, der in dem Thriller als der stärkere Gegenspieler erscheint,
wird von dem Enthüllungsjournalisten, der dabei zweimal einem tödlichen
Anschlag durch Mitglieder dieser Organisation nur knapp entgeht, aufgedeckt,
nachdem er bei einem Mitglied in einer Druckerei in Bayreuth die „Akte Odessa“
gefunden hat.
Interessant an diesem die
historischen Tatsachen extrem verzerrenden Film sind für mich zwei Szenen: In
der ersten Szene sieht man Mitglieder des israelischen Geheimdienstes, die sich
über einen bevorstehenden Angriff arabischer Raketen auf die wichtigsten
Metropolen Israels unterhalten, der im Jahre 1963 anscheinend unmittelbar
bevorstand und nur deshalb noch nicht erfolgt sei, weil eine deutsche Firma die
Lenk-Elektronik noch nicht geliefert habe. Nun sendet der Mossad drei Agenten
nach Deutschland, die dem deutschen Journalisten, der aus persönlichen Gründen den
unter einer neuen Identität lebenden Eduard Roschmann verfolgt, helfen sollen,
den Mann zu enttarnen, dem die Fabrik gehört, die bewusst mit dem ägyptischen
Präsident Nasser zusammenarbeitet, um Israel noch einmal einen Holocaust zu
bereiten.
Es stellt sich heraus, dass der
skrupellose deutsche Unternehmer eben
dieser Roschmann ist, der schon einmal im Konzentrationslager von Riga tausende
von Juden in den Tod geschickt hatte und außerdem den Vater von Peter Miller
erschossen hat.
Der Wikipedia-Eintrag stellt
fest: „Mit der realen Person hat die Romanfigur Roschmann wenig gemein.“[5]
Damit stellt sich der Film in
eine Reihe von ähnlichen Filmen, die einen realen Nazi zu der dämonischen Figur
des bösen Schurken hochstilisieren, der bis zum Tode uneinsichtig bleibt, um
dem Publikum anhand dieser Figur die Abirrung des Deutschen zu demonstrieren,
vor der sich die Welt bis heute zu fürchten habe. Ich denke dabei vor allem an
den Film „Die Nacht der Generale“ aus dem Jahre 1966, in dem das gleiche
Verfahren angewandt wurde.[6]
Durch beide Filme kann man den
Eindruck bekommen, dass noch bis in die 60er Jahre Altnazis in geheimen
Versammlungen ihr Unwesen trieben und in mafiaähnlichen Organisationen weiter
an der Vernichtung der Juden arbeiten würden. Davon weiß die Geschichte
allerdings nichts. Damit will ich nicht bestreiten, dass es auch heute wieder fanatische
junge Menschen gibt, die einer ähnlichen menschenverachtenden Ideologie
verfallen sind, wie manche Alt-Nazis, die an die Heilsbotschaften eines Adolf
Hitlers glaubten. An ihren Worten und vor allem an ihren Taten kann man sie
erkennen.
Die zweite Szene, die mir
auffiel, kam ebenfalls gleich zu Beginn. Es wird das Datum des 22. November
1963 eingeblendet. Jeder historisch Gebildete merkt sofort, dass dies ein
wichtiges historisches Datum ist: An diesem Tag wurde, wie der Journalist Peter
Miller selbst bei seiner Fahrt durch das nächtliche Hamburg aus dem Radio
erfährt, der amerikanische Präsident John F. Kennedy ermordet. Es ist der Tag
von Dallas.
An genau diesem Tag begeht in
einem Stadtteil Hamburgs der alleinstehende Jude Salomon Tauber Selbstmord. Das
ist der Ausgangspunkt des Plots. Peter Miller erhält von einem Freund, der bei
der Polizei arbeitet, das Tagebuch dieses Mannes. Dadurch erfährt er von den
Vorgängen im Konzentrationslager Riga, in die Eduard Roschmann als „Judenreferent“
der Einsatzgruppe A zwischen 1941 und 1945 schuldhaft verwickelt war.
Der Film, der wieder einmal mit
dem erhobenen Zeigefinger auf die Deutschen und ihre verbrecherische
Vergangenheit deutet, streift also zwei ganz reale Themen nur am Rande, die besser
als die fiktive deutsche „Organisation ODESSA“ geeignet sind, als Vorlage für Thriller
zu dienen: die Besiedlung Palästinas durch die zionistischen Juden, die mit der
systematischen Vertreibung der seit Jahrhunderten dort wohnenden arabischen Bevölkerung,
der sogenannten „Nakba“[7], einherging. In den
Monaten vor der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 wurden von
zionistischen Hardlinern etwa eine Million Palästinenser vertrieben, in Gefangenenlager
eingesperrt oder exekutiert. Dabei wandten Männer wie Ezra Danin und Yehoshua
Palmon ganz ähnliche Methoden an, wie sie in unzähligen Filmen von den Nazis gezeigt
werden.[8]
Das andere Thema diente bereits
als Vorlage für unzählige Filme, Dokumentationen und Untersuchungen: die
Ermordung J.F. Kennedys. Bis heute werden die Hintermänner dieser
weltverändernden Bluttat gedeckt, obwohl es unzählige Hinweise auf die Mafia
gibt, die von der CIA unterstützt wurde, um einen unbequemen Politiker aus dem
Weg zu räumen.
Wer nach kriminellen und
menschenverachtenden Geheimorganisationen sucht, kann in den USA fündig werden.
Eine „Odessa“-Organisation
dagegen suchen die Historiker bis heute vergeblich.
[2]
Der Schauspieler ist durch einen „Klassiker des New Hollywood“ bekannt
geworden: „Asphalt Cowboy“, 1969 von John Schlesinger, https://de.wikipedia.org/wiki/Asphalt-Cowboy
[4]
Der erste Roman von Frederick Forsyth mit dem Titel „Der Schakal“ (1971) zeigt
eine solche „Armee im Schatten“. Auch dieser Roman wurde verfilmt und ist bis
heute ein wirklich sehenswertes Meisterwerk des Spionage-Thrillers von Fred
Zinnemann aus dem Jahr 1973.
[6]
Siehe meine Kritik vom März 2016: http://johannesws.blogspot.de/2016/03/auf-arte-lief-am-sonntagabend-13.html
[7]
Siehe Ilan Pape, Die ethnische Säuberung Palästinas, Haffmans & Tolkemitt,
Berlin 2014
[8] Siehe Ilan Pape, a.a.O., S 84
ff
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