Dienstag, 17. April 2018

Sex ist auch keine Lösung - zum Film "Einer flog über das Kuckucksnest" von Milos Forman aus dem Jahre 1975


In den vergangenen drei Tagen habe ich drei interessante Filme gesehen, über die ich heute ein wenig nachdenken will. Vielleicht ist es ja verschwendete Zeit, aber ich denke, es lohnt sich, die Strukturen des Denkens zu enthüllen, die in der Hollywood-Film-Industrie herrschen. Erst jetzt gelingt es mir, diese Denkweise immer mehr zu durchschauen.
Natürlich sind all diese Filme hervorragend gemacht und dramaturgisch gut aufgebaut. Diese Seite der Filme will ich auch nicht kritisieren. Die Meister aus Hollywood beherrschen ihr Metier. Umso schwerer fällt es mir auch heute noch, mich dem Sog dieser Filme zu entziehen und sie hinterher mit kühlem Kopf zu analysieren. Ich versuche dabei immer, die geistige Botschaft herauszufinden, die diese Produkte der „Kulturindustrie“ (Theodor Adorno) transportieren.
Der erste der drei Filme lief am Sonntagabend auf Arte: „Einer flog über das Kuckucksnest“ (One Flew over the Cuckoo’s Nest) von Milos Forman aus dem Jahre 1975: Der Film wurde als Hommage auf den in der Nacht vom Freitag, den 13. April auf Samstag, den 14. April 2018 – etwa gleichzeitig mit der völkerrechtswidrigen Bombardierung Syriens durch die USA, Großbritanniens und Frankreich  – mit 86 Jahren verstorbenen Regisseur gezeigt, wozu das Programm geändert worden war.
Selbst in den Nachrichtensendungen und in 3SAT-Kulturzeit wurde mit kleineren Beiträgen des Regisseurs gedacht, der für seinen wohl berühmtesten „Kultfilm“ 1975 die fünf begehrtesten Oscars gewann, die vor ihm nur ein anderer Regisseur für einen Film gewonnen hatte: Frank Capra für „It happened one Night“ (1932): Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch, bester männlicher Hauptdarsteller (Jack Nicholson) und beste weibliche Hauptrolle Louise Fletcher.


Den Film, der gleichzeitig Höhepunkt und Schlusspunkt des „New Hollywood“ bedeutete, hatte ich schon mehrmals gesehen und ich schaute mir auch das anschließende „Make-of“ an: „Es war einmal… Einer flog über das Kuckucksnest“ von Antoine de Gaudemar aus dem Jahr 2011.
Der Film basiert auf dem Roman von Ken Kesey (1935 – 2001). Der Autor hatte im Jahr 1959 während seines Literatur-Studiums am „Veterans Hospital“ im kalifornischen Menlo Park gejobbt und dort am geheimen CIA „Forschungsprogramm“ MKULTRA mit bewusstseinsverändernden Drogen teilgenommen. Seine Erfahrungen verarbeitete er in seinem 1962 erschienenen Roman „Einer flog über das Kuckucksnest“, der ein Bestseller wurde.[1]
Der Schauspieler Kirk Douglas, der eben seinen Film „Spartacus“ fertiggestellt hatte, interessierte sich für das Buch, schrieb es zu einem Theaterstück um und inszenierte es am Broadway. Er selbst übernahm die Hauptrolle. Das Stück hatte jedoch nicht den erhofften Erfolg.
Später überließ er die Rechte an dem Roman seinem Sohn Michael Douglas, der den tschechischen Regisseur engagierte, mit dem sein Vater bereits Mitte der 60er Jahre Kontakt aufgenommen hatte, nachdem gerade dessen erster Film „Die Liebe einer Blondine“ mit Erfolg in den amerikanischen Kinos angelaufen war. Michael Douglas ließ durch Bo Goldman („Der Duft der Frauen“, 1992) und Lawrence Hauben ein Drehbuch schreiben.
Im Unterschied zum Roman wird die Geschichte im Film nicht aus der Perspektive des „stummen“ Indianerhäuptlings Bromden, sondern aus der Perspektive des unangepassten „Spielers, Maulhelden, Frauenfreundes und Taugenichts“[2] McMurphy (Jack Nicholson) erzählt. Die Geschichte spielt in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrischen Anstalt und zeigt, wie sich der anarchische McMurphy durch seine unkonventionelle Art allmählich zum Anführer der Gruppe aufschwingt und die Insassen „aufmischt“. So erleben diese Momente ungewohnter Freiheit in einem geschlossenen System, das von der eiskalten Oberschwester Ratched beherrscht wird. Schließlich wird der aufmüpfige McMurphy, nachdem eine Elektroschock-Therapie nicht geholfen hat, durch einen logopädischen Eingriff (Trennung der Gehirnhälften) „ruhig“ gestellt.
Der Film wurde in einer wirklichen Psychiatrischen Klinik in Oregon gedreht, wie die Dokumentation von Gaudemar zeigt. Mehrere Insassen durften vor und hinter der Kamera mitarbeiten. Sogar der Klinikdirektor und ein Psychiater durften mitspielen. Diese Umstände verleihen dem Film  Authentizität.
Milos Forman erklärt in der Dokumentation, dass er bei dem Film vor allem die Verhältnisse in den autoritär gelenkten kommunistischen Ländern vor Auge hatte, die er in der Tschechoslowakei selbst erlebt hatte. Dort konnten unliebsame Kritiker des Systems von heute auf morgen für psychisch krank erklärt und weggesperrt werden, ohne dass man je wieder etwas von ihnen erfuhr. Diese Methode wurde in diesen Staaten tausendfach ausgeübt.
Wie die Zustände in amerikanischen Kliniken in den 60er und 70er Jahren waren, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber ich denke, dass Typen wie McMurphy, die sich nicht in das System des „american way of life“ einordnen konnten, durchaus ebenfalls in solchen Anstalten verschwinden konnten. Als der Film entstand, befand sich Amerika auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den Vietnam-Krieg und das Vertrauen in den Staat war unter den jungen Menschen nach der Watergate-Affäre auf einen Nullpunkt gesunken.
So spricht Milos Forman in der Dokumentation zu Recht von den beiden wichtigsten Bürgerrechten, für die der Film eintritt: die Redefreiheit und die Meinungsfreiheit. Diese waren nicht nur in den kommunistischen Staaten, sondern auch in den Vereinigten Staaten bedroht.
Was ich an dem Film auszusetzen habe, ist die Gestalt des McMurphy, die zum Helden des Films hochstilisiert wird. Dabei hat diese Figur rein gar nichts zu bieten außer seiner anarchischen Aufmüpfigkeit. Er ist im Grunde trotz seiner unbestreitbaren Intelligenz ein geistloses Individuum, das ständig nur an eines denkt: an Sex. So trägt er ständig ein Kartenspiel mit sich herum, das delikate Fotos von halbnackten Frauen in eindeutigen Positionen zeigt. Natürlich reizt er dadurch etwas in den psychisch Kranken, die nie oder selten Gelegenheit haben, ihre geschlechtlichen Triebe zu befriedigen.
Ob die Methode des „schwanzgesteuerten“ McMurphy die bessere Therapie ist, wie der Film suggeriert, oder ob es doch nicht viel mehr die „wissenschaftliche“ Methode seiner Kontrahentin, der kühlen und scheinbar geschlechtslosen Oberschwester Rached, ist, die in dem Film als das sublime „Böse“ dargestellt wird, ist die eigentliche Frage des Films, die dieser allerdings zugunsten McMurphys beantwortet.
Ich erkenne darin ein Prinzip des Hollywoodkinos: Sexualität ist ein Mittel, um das Publikum unbewusst zu beeinflussen und zu binden. Es ist falsch, wenn immer wieder behauptet wird, dass durch die Darstellung der Sexualität die Menschen freier würden. An die Stelle von Sex müsste in Wirklichkeit Geist treten. Aber das passiert in den seltensten Fällen im Hollywood-Kino. Selbst in den prüdesten Doris-Day-Filmen geht es unterschwellig immer nur um geistlosen Sex.
Sex ohne Geist wird zum Gefühlsgefängnis, das schließlich in die Depression führt. Wahre Erfüllung, wirkliches Glück kann ein Paar nur erfahren, wenn es sich einem Höheren zuwendet. Die Libido ist zwar eine starke Kraft, aber sie zieht den Menschen, der keinen Geist hat, schließlich nur herab und macht ihn zum Sklaven seiner Triebe.
Aber seit Sigmund Freud versucht die Psychiatrie dem Menschen einzureden, dass nur durch die Befreiung der Libido auch der Mensch frei würde. Dabei ist bekannt, dass Freud die Psychoanalyse als „Bollwerk gegen den Okkultismus“[3] verstanden wissen wollte. Gleichzeitig mit Freud bot Rudolf Steiner, der sich durchaus mit der Psychologie seiner Zeit auseinandergesetzt hat, die Geisteswissenschaft als Alternative an.
Natürlich besteht auch in einer abgehobenen Geistigkeit eine Gefahr und ich kenne diese Gefahr aus eigenem Erleben. Zuviel Geist kann auch in die Psychiatrie führen, so wie McMurphy durch zu viel Libido ins Gefängnis und dann in die Psychiatrie kam: er hat eine Minderjährige zum Sex gezwungen und schwärmt noch vor dem Klinikdirektor von ihrer „rosaroten Muschi“.
Der einzige, der in dem Film über etwas Geist verfügt, ist der „stumme“ Indianerhäuptling, dem tatsächlich am Ende des Films auch die Flucht in die Freiheit gelingt.



[2] Stefanie Weinsheimer in „Reclams Filmklassiker“, Band 3, 5. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 2006
[3] „Die Sexualtheorie, so Freud zu Jung, sei das Allerwesentlichste. Sehen Sie, wir müssen daraus ein Dogma machen, ein unerschütterliches Bollwerk gegen die schwarze Schlammflut des Okkultismus.“ Siehe: http://www.wissenbloggt.de/?p=25536 Mit der „schwarzen Schlammflut des Okkultismus“ deutet Freud unmissverständlich auf die Steinersche Geisteswissenschaft hin.



[2] Stefanie Weinsheimer in „Reclams Filmklassiker“, Band 3, 5. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 2006

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