Mittwoch, 6. Dezember 2017

Christentum im Film - persönliche Anmerkungen zu Jean-Pierre Melvilles Meisterwerk "Eva und der Priester" aus dem Jahre 1961



Gott, habe ich eben einen schönen Film gesehen!
„Eva und der Priester“ (Leon Morin, Pretre) von Jean-Pierre Melville ist das Beste, was ich seit langem über das Christentum gesehen habe – und das von einem jüdischen Regisseur! Ich bin so gerührt und habe geheult wie ein Kind.
Ich werde mir den Film auf DVD bestellen.
Mehr kann ich im Augenblick nicht dazu sagen.

Warum hat mich der Film von Jean-Pierre Melville so gerührt, dass ich zum Schluss tatsächlich richtig stark weinen musste?
Ich glaube, ich habe mich sehr mit dem jungen Priester Morin – gespielt von Jean-Paul Belmondo – identifiziert, der es so souverän schafft, allen „Versuchungen“ zu widerstehen. Alles, was er sagt und tut, ist mir aus dem Herzen gesprochen und eigentlich genau das, was ich auch sagen und tun möchte. Wort und Tat kommen bei Leon Morin zur Deckung.
Der junge Priester ist ein überzeugender Katholik. Er vertritt die Kirche der Armen, lehnt kirchlichen Prunk und sogar die Kollekte ab. Seine Liebe zu Gott ist so groß, dass er keine Frau zu brauchen scheint, auch wenn er sich vielleicht schon in die hübsche Barny (Emmanuelle Riva, 1927 - 2017) verliebt. Er schätzt ihren offenen, ja fast rebellischen Geist und trifft sich gerne zu Gesprächen mit ihr. Aber mehr lässt er nicht zu, auch wenn die Frauen, die damals in der Kriegszeit keine Männer hatten und erotisch „ausgehungert“ waren, mehr von ihm wollen, so auch Barny.
Leon Morin schafft es mit seinen unorthodoxen Ansichten und seinen entsprechenden Taten, aus der atheistischen, den Glauben als „Opium für das Volk“ ablehnenden, jungen alleinerziehenden Mutter eine überzeugte Katholikin zu machen, die durch ein Pfingstwunder die Gottesliebe entdeckt, als sie gerade ihre Bühne aufräumt.
Der Film kreist überzeugend um die Frage: Was steht höher, die Liebe zu Gott oder die Liebe zum Nächsten? Und er findet eine überzeugende Antwort: das erste ist höher als das zweite, weil es die Voraussetzung für das zweite ist: „Du sollst Gott, deinen Herrn über alles lieben. Das zweite aber ist ihm gleich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (aus dem Gedächtnis zitiert).
In diesen beiden Geboten fasst Jesus seine ganze Lehre zusammen. Und Leon Morin lebt nach dieser Lehre und erweist sich dadurch als wahrer Christ.
Dass ausgerechnet ein jüdischer Regisseur dieses tief christliche, filmische Meisterwerk an den Anfang seiner Karriere stellt, lässt mich seine späteren „harten“ Gangsterfilme in einem neuen Lichte sehen und ich möchte fast um Absolution bitten, wenn ich ihm in einer früheren Kritik, als ich ihn als „Pessimisten“ bezeichnete, Unrecht getan habe.
In einer Szene berührt Melville, dessen Vorlage ein Roman von Beatrix Beck (1914 – 2008) aus dem Jahre 1952 war, die darin ihre eigene Konversion erzählte, die geheime Verwandtschaft von Juden- und Christentum, der beiden abrahamitischen Religionen: Barny, die angefangen hat, die Bibel zu lesen, fragt den Priester, warum Christus am Kreuz rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ und Leon Morin erklärt ihr richtig, dass Christus am Kreuz nur einen Vers aus dem 22. Psalm zitiert habe, der in Wirklichkeit ein Lobgesang ist.
Der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff, der 1961 bei Melvilles Film Assistent war, erzählt in seiner Autobiographie „Licht, Schatten und Bewegung – mein Leben und meine Filme“ sehr anschaulich von der Zusammenarbeit mit dem französischen Regisseur, der in der Resistance gegen die Nazis gekämpft hat, aber als Elsässer immer eine tiefe Liebe zu den Deutschen hatte. Melville liebte nur zwei amerikanische Regisseure, darunter einen, den ich auch sehr liebe: William Wyler und Robert Wise. Ersterer war auch Jude, aber ihm ist es gelungen, in seinen großartigen Filmen das Christliche in seiner tiefen Gestalt und wahren Größe herauszuarbeiten, am bekanntesten vielleicht in seinem Monumentalfilm „Ben Hur“, in dem er die Konversion des leidgeprüften reichen Juden Juda Ben Hur zum Christentum schildert.
Schlöndorff gibt mir auch den Schlüssel zu den Gangsterfilmen Melvilles. Sie drehen sich alle mehr oder weniger um das Thema „Verrat“. Dieses Thema behandelt Melville auch in „Leon Morin, Pretre“. Einmal sagt er zu Barny, dass sie keine Gewissensbisse haben solle. Gewissensbisse führten zu Selbsthass. Das könne man an dem Verräter Judas studieren, der sich aus Gewissensbissen das Leben nahm.
Diese Ansicht überrascht mich, da für mich gerade das Gewissen der Platz ist, wo Gott im Menschen wirkt. Wenn Leon Morin an anderer Stelle sagt, man dürfe Gott nicht beleidigen, dann frage ich mich, wie man eine „Gottesbeleidigung“ anders erleben kann als durch „Gewissensbisse“?
Solche tiefen, theologischen Fragen aufzuwerfen, ist das große Verdienst dieses spannenden Films, der ganz ohne Gewalt und äußere Effekte auskommt. Er gehört wie die Filme des Russen Andrej Tarkowskij zu der Art von Filmen, die ich bevorzuge.
Das sind Filme, bei denen man hellwach sein muss, um die innere Dramatik zu erfassen.

Das ist kein „Popcorn-Kino“.

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