Gott, habe ich eben einen schönen
Film gesehen!
„Eva und der Priester“ (Leon
Morin, Pretre) von Jean-Pierre Melville ist das Beste, was ich seit langem über
das Christentum gesehen habe – und das von einem jüdischen Regisseur! Ich bin
so gerührt und habe geheult wie ein Kind.
Ich werde mir den Film auf DVD
bestellen.
Mehr kann ich im Augenblick nicht
dazu sagen.
Warum hat mich der Film von
Jean-Pierre Melville so gerührt, dass ich zum Schluss tatsächlich richtig stark
weinen musste?
Ich glaube, ich habe mich sehr
mit dem jungen Priester Morin – gespielt von Jean-Paul Belmondo –
identifiziert, der es so souverän schafft, allen „Versuchungen“ zu widerstehen.
Alles, was er sagt und tut, ist mir aus dem Herzen gesprochen und eigentlich
genau das, was ich auch sagen und tun möchte. Wort und Tat kommen bei Leon Morin
zur Deckung.
Der junge Priester ist ein
überzeugender Katholik. Er vertritt die Kirche der Armen, lehnt kirchlichen
Prunk und sogar die Kollekte ab. Seine Liebe zu Gott ist so groß, dass er keine
Frau zu brauchen scheint, auch wenn er sich vielleicht schon in die hübsche
Barny (Emmanuelle Riva, 1927 - 2017) verliebt. Er schätzt ihren offenen, ja
fast rebellischen Geist und trifft sich gerne zu Gesprächen mit ihr. Aber mehr
lässt er nicht zu, auch wenn die Frauen, die damals in der Kriegszeit keine
Männer hatten und erotisch „ausgehungert“ waren, mehr von ihm wollen, so auch
Barny.
Leon Morin schafft es mit seinen
unorthodoxen Ansichten und seinen entsprechenden Taten, aus der atheistischen,
den Glauben als „Opium für das Volk“ ablehnenden, jungen alleinerziehenden Mutter eine überzeugte
Katholikin zu machen, die durch ein Pfingstwunder die Gottesliebe entdeckt, als
sie gerade ihre Bühne aufräumt.
Der Film kreist überzeugend um
die Frage: Was steht höher, die Liebe zu Gott oder die Liebe zum Nächsten? Und
er findet eine überzeugende Antwort: das erste ist höher als das zweite, weil
es die Voraussetzung für das zweite ist: „Du sollst Gott, deinen Herrn über
alles lieben. Das zweite aber ist ihm gleich: Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst“ (aus dem Gedächtnis zitiert).
In diesen beiden Geboten fasst
Jesus seine ganze Lehre zusammen. Und Leon Morin lebt nach dieser Lehre und
erweist sich dadurch als wahrer Christ.
Dass ausgerechnet ein jüdischer
Regisseur dieses tief christliche, filmische Meisterwerk an den Anfang seiner
Karriere stellt, lässt mich seine späteren „harten“ Gangsterfilme in einem neuen
Lichte sehen und ich möchte fast um Absolution bitten, wenn ich ihm in einer
früheren Kritik, als ich ihn als „Pessimisten“ bezeichnete, Unrecht getan habe.
In einer Szene berührt Melville,
dessen Vorlage ein Roman von Beatrix Beck (1914 – 2008) aus dem Jahre 1952 war,
die darin ihre eigene Konversion erzählte, die geheime Verwandtschaft von
Juden- und Christentum, der beiden abrahamitischen Religionen: Barny, die
angefangen hat, die Bibel zu lesen, fragt den Priester, warum Christus am Kreuz
rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ und Leon Morin
erklärt ihr richtig, dass Christus am Kreuz nur einen Vers aus dem 22. Psalm
zitiert habe, der in Wirklichkeit ein Lobgesang ist.
Der deutsche Regisseur Volker
Schlöndorff, der 1961 bei Melvilles Film Assistent war, erzählt in seiner
Autobiographie „Licht, Schatten und Bewegung – mein Leben und meine Filme“ sehr
anschaulich von der Zusammenarbeit mit dem französischen Regisseur, der in der
Resistance gegen die Nazis gekämpft hat, aber als Elsässer immer eine tiefe
Liebe zu den Deutschen hatte. Melville liebte nur zwei amerikanische
Regisseure, darunter einen, den ich auch sehr liebe: William Wyler und Robert
Wise. Ersterer war auch Jude, aber ihm ist es gelungen, in seinen großartigen
Filmen das Christliche in seiner tiefen Gestalt und wahren Größe
herauszuarbeiten, am bekanntesten vielleicht in seinem Monumentalfilm „Ben
Hur“, in dem er die Konversion des leidgeprüften reichen Juden Juda Ben Hur zum
Christentum schildert.
Schlöndorff gibt mir auch den
Schlüssel zu den Gangsterfilmen Melvilles. Sie drehen sich alle mehr oder
weniger um das Thema „Verrat“. Dieses Thema behandelt Melville auch in „Leon
Morin, Pretre“. Einmal sagt er zu Barny, dass sie keine Gewissensbisse haben
solle. Gewissensbisse führten zu Selbsthass. Das könne man an dem Verräter
Judas studieren, der sich aus Gewissensbissen das Leben nahm.
Diese Ansicht überrascht mich, da
für mich gerade das Gewissen der Platz ist, wo Gott im Menschen wirkt. Wenn
Leon Morin an anderer Stelle sagt, man dürfe Gott nicht beleidigen, dann frage
ich mich, wie man eine „Gottesbeleidigung“ anders erleben kann als durch
„Gewissensbisse“?
Solche tiefen, theologischen
Fragen aufzuwerfen, ist das große Verdienst dieses spannenden Films, der ganz
ohne Gewalt und äußere Effekte auskommt. Er gehört wie die Filme des Russen Andrej
Tarkowskij zu der Art von Filmen, die ich bevorzuge.
Das sind Filme, bei denen man
hellwach sein muss, um die innere Dramatik zu erfassen.
Das ist kein „Popcorn-Kino“.
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