Am Sonntagabend (10.12.2017) lief auf Arte der
amerikanische Raumfahrerfilm „Der Stoff, aus dem die Helden sind“ (The Right
Stuff, USA 1983) von Philip Kaufman.
Obwohl ich den Darsteller (und
Schriftsteller) Sam Shepard[1] sehr mag,
der die Rolle des Chuck Yeager spielt, der am 14. Oktober 1947 über der Wüste
von Kalifornien zum ersten Mal die Schallmauer durchbrach, und obwohl mich die
Geschichte rein historisch interessiert, kann ich den Film doch nicht zu Ende
anschauen, weil mich das „Macho-Gehabe“ der amerikanischen Männer nervt, die in
dem Film als Helden gefeiert werden, obwohl sie (zumindest in dem Film) zwar
sportlich durchtrainierte, aber geistig ziemlich ungebildete Kerle ohne
Manieren sind – das typische Klischee des „guten Amerikaners“.
Nur die Stelle finde ich in dem Film
interessant, als gezeigt wird, wie die Piloten, die zu Astronauten ausgebildet
werden sollen, 1957 auf den Sputnik-Schock reagieren. Da wird von „den
Deutschen“ geredet, die offenbar bei den Sowjets erfolgreicher am
Raumfahrtprogramm gearbeitet hätten als die Deutschen, die die Amerikaner nach
dem Zweiten Weltkrieg ins amerikanische Raumfahrtprogramm eingebunden hatten.
Ost wie West haben offenbar während des Kalten Krieges von den deutschen
Ingenieuren profitiert: jede Seite hatte ihre „Deutschen“.
Ich betrachte es als eine Tragik,
dass Deutsche während des Ost-West-Konfliktes so entscheidend in den
industriell-militärischen Komplex der beiden Staatssysteme eingebunden waren,
wo Deutschland doch eigentlich die „Mission“ hat, zwischen Ost und West zu
vermitteln.
Am Montag zeigte Arte dann zwei
alte Ufa-Filme: Den Schwarz-Weiß-Klangfilm „Der Blaue Engel“ aus dem Jahr 1930
von Josef von Sternberg und den Agfacolor-Farbfilm „Opfergang“ aus dem Jahre
1944 von Veit Harlan. Beide Filme werden von der Kritik als Meisterwerke
gepriesen.
Ich habe „Opfergang“, der erst ab
22.00 Uhr lief, nicht ganz angeschaut, weil ich zu müde war. Aber ich habe doch
etwas von der positiven Stimmung dieses Melodrams wahrnehmen können, die in
deutlichem Kontrast zu der negativen Stimmung des Films „ Der Blaue Engel“
steht.
So unmittelbar habe ich das noch
nie erleben können und diese – wenn auch unvollständige – Wahrnehmung hat mich
angeregt, weiter darüber nachzudenken.
„Der Blaue Engel“ ist die
Verfilmung des 1905 veröffentlichten Romans „Professor Unrat“ von Heinrich
Mann, des jüngeren Bruders von Thomas Mann. Ich hatte den Roman im Juli 2014
gelesen. Selbst das Drehbuch des Films hatte ich vor vielen Jahren einmal
gekauft und ich besitze selbstverständlich auch die DVD.
Mein Interesse an diesem
Meisterwerk des expressionistischen Films der Weimarer Republik war also immer
groß. Nun beim Wiedersehen fällt mir aber auch die „verborgene“ Seite des Films
auf, denn inzwischen habe ich gelernt, auch Filme so zu sehen, wie ich Romane
lese: ich schaue auch nach dem Subtext, oder einfacher ausgedrückt, nach dem, was
„zwischen den Zeilen“ steht. Hier versteckt sich die eigentliche geistige
Botschaft, die zu entschlüsseln die Aufgabe der Hermeneutik ist, deren ich mich
seit dem Germanistikstudium bei meinem geschätzten Professor Heinz Schlaffer
gerne bediene.
Die durch den großartigen
Schauspieler Emil Jannings dargestellte Figur des unverheirateten
Gymnasialprofessors Rath (so heißt er im Film), ist natürlich ein Bild des
deutschen Spießers der Wilhelminischen Zeit, wie es Heinrich Mann auch in
seinem späteren Roman „Der Untertan“ gezeichnet hat. Sein Leben gerät nach und
nach vollkommen aus der Bahn, als der verklemmte Professor sich in die hübsche
Lola-Lola verliebt, die von der jungen Marlene Dietrich gespielt wird, die in
dem Film ihr berühmtes Lied „Nimm dich in Acht vor blonden Fraun“ singt.
Der deutsche Bildungsbürger
heiratet das Tingel-Tangel-Mädchen, lässt sich in dem Variete, in dem die
„fesche Lola“ neben anderen „Künstlern“ auftritt, vom Direktor, einem
Zauberkünstler, anstellen, weil er seine Stelle als Professor verloren hat und
Geld für den Lebensunterhalt braucht, und endet schließlich im Wahnsinn.
Im Theater muss er als Gockel das
„Kikeriki“ schreien, während der Direktor ihm Eier aus der Nase zaubert. Als er
dann in seiner Heimatstadt, wohin die Tournee die kleine Truppe führt,
auftreten soll, weigert er sich, weil er sich nicht vor den versammelten
Honoratioren „zum Affen machen“ lassen möchte.
Der Film endet mit der
Katastrophe: Der einst hochangesehene
Professor irrt zum Schluss durch die verwinkelten Gassen seiner Heimatstadt und
rettet sich in sein ehemaliges Klassenzimmer, wo er sich am Lehrerpult festklammert
und stirbt. Dabei erklingt, natürlich ironisch gemeint, zum wiederholten Mal die
Melodie des Liedes „Üb immer Treu und Redlichkeit“, das mit einfachen Worten
die wichtigsten deutschen Tugenden beschreibt. Dabei wandern in einem Kirchturm
Figuren aller Stände, vom Bauern über den Handwerker und Gelehrten bis zum
Fürsten, im Kreis um die Turmuhr, wie es in einigen Städten an Rathäusern oder
Kirchen noch heute der Fall ist.
Ich will nicht leugnen, dass es
solche Deutschen gab und gibt, wie den Professor Unrat aus dem Roman. Wenn ich
die Bilder von notgeilen Deutschen sehe, die sich auf Mallorca am Ballermann
vergnügen, dann wird mir regelmäßig übel. Wenn ich das grinsende Gesicht des
derzeitigen geschäftsführenden Landwirtschaftsministers der Bundesrepublik Deutschland,
Christian Schmid, sehe, dann wird für mich die Rede von deutscher „Treu und
Redlichkeit“ zur Farce.
Dennoch kann ich das Bild, das
Buch und Film von „dem Deutschen“ zeichnen, nur als einseitige Karikatur
auffassen. Es ist nicht das Bild des „edlen Deutschen“, von den vielen fleißigen
Männern und Frauen in deutschen Handwerksbetrieben und in unzähligen
Ehrenämtern. Deutschland ist geradezu das Musterland des Mittelstandes und des Ehrenamtes. Die Menschen,
die sich hier engagieren, und von denen ich etliche kenne, sind die wahren Helden
unserer Zeit – und nicht die im Dienste des Militärs stehenden Astronauten oder
Düsenjägerpiloten.
Natürlich fallen diese Menschen
nie besonders auf. Sie sind keine Nachricht wert. Dafür kommen die „bösen
Deutschen“ fast jeden Abend im Fernsehen, insbesondere, wenn es sich um Rechte,
um Populisten und um sogenannte Antisemiten handelt.
Das Bild, das Heinrich Mann und
Josef von Sternberg vom Deutschen zeichnen, erscheint wie eine Erklärung für
die späteren Verbrechen der Nazis: Diese Deutschen waren eben unbefriedigte,
verklemmte Spießer, die nicht die innere Kraft hatten, den Reizen einer schönen
Frau zu widerstehen. Sie sind, anders als die amerikanischen Piloten, nicht aus
dem „Stoff, aus dem die Helden“ sind. Sie sind erbärmliche Weichlinge, die
erst, als sie durch das NS-Regime die Gelegenheit dazu bekamen, wehrlose Juden
quälten und umbrachten und schlagartig zu Bestien wurden.
Und die Juden, die sich bis heute
in der Rolle der Opfer „gefallen“?
Sie waren nach der Meinung vieler
einfachen Deutschen in den 20er Jahren die eigentlichen Kulturzerstörer. Sie
betrieben die Varietes, zeigten in Hollywoodfilmen die langen Beine halbnackter
Frauen und taten alles, um die braven Deutschen vom rechten Wege abzubringen.
Auch Adolf Hitler hat das so
gesehen und die Juden für alles Übel in der Welt verantwortlich gemacht. Aber
wie kam er zu seinen Einstellungen?
Erst gestern las ich in dem Buch
„Amerika und der Holocaust – Die verschwiegene Geschichte“ (Knaur-Taschebuch,
2004) der promovierten Amerikanistin und Journalistin Eva Schweitzer[2] folgende
Sätze aus dem Standartwerk des Eugenikers Eugen Fischer („Grundriss der
menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“, 1931)[3], die rassistische und antisemitische Vorurteile transportieren: „Betrug und Gebrauch
beleidigender Sprache kommt bei Juden oft vor.“ Und: „Juden sind herausragend
verantwortlich für den Vertrieb obszöner Bücher und Bilder.“
Außerdem erfahre ich, dass Hitler
ein großer Liebhaber Amerikas, insbesondere der (meist aus Deutschland
stammenden) Farmer des amerikanischen Mittelwestens war, gerne Disney-Filme
anschaute und dass sein Lieblingsautor
Karl May war, von dem man damals noch annahm, dass er tatsächlich in Amerika
gewesen sei. Schweitzer gibt ein
Beispiel: „Oft bat er seinen Auslandspressechef Ernst ‚Putzi‘ Hanfstaengl, der
in Harvard studiert hatte, die Hymne ‚Three Cheers for Harvard‘ (Drei Hurras
für Harvard) auf dem Klavier zu spielen. Und den Nazi-Gruß mit dem
ausgestreckten Arm hat er dem ‚Boston Globe‘ zufolge von den Cheerleadern
abgeguckt. Was Hitler allerdings nicht mochte, war Hollywood[4], die
Ostküste, Jazzmusik, Gangsterfilme und Asphaltliteratur.“ (S 24)
Man kann den Film mit einem
tieferen Blick auch als „umgekehrte Einweihung“ lesen.
Schon der Titel des Films weist
auf den spirituellen Hintergrund der Geschichte. Es handelt sich bei dem
„blauen Engel“ nicht um einen wirklichen Engel, sondern um eine Hafenkneipe, in
der allerlei durchreisendes fahrendes Volk, so auch Lola-Lola, auftritt, und
das von Matrosen und von Gymnasiasten, nicht aber von den honorigen Bürgern des
Städtchens frequentiert wird. Ich kenne ein Gasthaus „Goldener Engel“, aber
dessen Namen deutet wie die süddeutschen Wirtshausnamen „Goldener Adler“,
„Goldener Löwe“ oder „Roter Ochsen“ auf eines der vier Evangelisten-Symbole
hin.
Da katholische Christen in der
Messe das Abendmahl nur in Form einer trockenen Oblate bekommen, kehren die
Männer nach dem Gottesdienst gerne in solchen Wirtshäusern ein und holen im
„Sonntagsfrühschoppen“ nach, was ihnen die Kirche verweigert hat. Sie trinken
einen Schoppen Wein, während ihre Frauen oder Mütter zu Hause den
Sonntagsbraten zubereiten. So ungefähr sah jedenfalls die Welt des deutschen
Kleinbürgers in der Regel aus, als die Welt noch in Ordnung war.
Dass der Engel des Films „blau“
ist, deutet vermutlich darauf hin, dass manch braver Familienvater nach dem
Frühschoppen bereits etwas angeheitert, also im Volksmund „blau“ war, als er
schließlich zu Hause zum Mittagessen auftauchte.
Im Lokal zum „Blauen Engel“ des
Films wird tatsächlich viel geraucht und getrunken. Schon bei seinem ersten
Besuch wird dem Herrn Professor vom beleibten Direktor Kiepert Alkohol in Form
von Sekt angeboten, den Rath jedoch zunächst ablehnt. Später beginnt er dann
doch, seinen Kummer mit Alkohol herunter zu spülen.
Der Film beschreibt also im
Grunde eine Einweihung, allerdings nicht die auf einem regulären Schulungsweg
erworbene, sondern die umgekehrt dazu verlaufende.
Das erste Lied, das Lola-Lola
singt, heißt: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, in dem die
Zeile vorkommt: „Ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.“
Der naive Zuschauer, der nicht
genau unterscheidet, hört das Wort „Liebe“ und denkt sich: das kann ja wohl
nichts Schlechtes sein. Vielleicht findet er, wie einst mein Vater, der darüber
immer in einen Streit mit meiner Mutter geriet, die junge Marlene Dietrich
sogar attraktiv.
Welche Form von Liebe Lola-Lola
meint, wird aber bald klar, als sie auf dem Podest ihre Beine zeigt oder sich
so breitbeinig auf den Stuhl setzt, dass sie die Männer geradezu einlädt.
Schon auf den Fotos, die von ihr
kursieren, ist sie mit einem leichten Röckchen bekleidet, das in der Form von
feinen Fäden aufgeklebt ist. Wenn man daran pustet, hebt es sich. Das machen
die Pennäler während Professor Raths Unterricht ausgiebig und das macht
schließlich der Professor selbst mit seinem konfiszierten Bildchen.
Es dürfte von Anfang an klar
sein, dass es sich bei der Liebe, die Lola-Lola besingt, nicht um die
Gottesliebe oder die Nächstenliebe handelt, sondern um die körperliche Liebe.
Dieser Liebe verfällt der
Professor, der in dem Film immer mehr zum Hanswurst wird, total.
Lola-Lola findet sogar am Anfang
Gefallen an ihrem gebildeten Professorchen. Aber bald schon wendet sie sich
einem anderen Liebhaber zu, dem Kraftmeier Mazeppa (Hans Albers). Nicht die mit
ihren Reizen spielende Lola-Lola gerät in dem Film ins Verderben, sondern der
unbescholtene Mann, ja mehr noch, Lola-Lola wird geradezu glorifiziert.
Sie ist, wie sie so breitbeinig
auf ihrem „Thron“ sitzt, im Hintergrund ein aufgemaltes Tempelchen oder ein
beleuchteter Schirm, der oftmals wie ein Heiligenschein wirkt, ein Gegenbild
zur Jungfrau Maria aus der christlichen Bilderwelt. Sie zieht nicht nur den
Professor in ihren Bann, sondern auch die Zuschauer. Durch diesen Film ist
Marlene Dietrich berühmt geworden und wurde in Hollywood ein gefeierter Star.
Dass der US-amerikanische Regisseur
Josef von Sternberg (1894 – 1969), der in der kalifornischen Traumfabrik noch
weitere Filme mit Marlene Dietrich, die auch seine Geliebte wurde, drehte, ein
begnadeter Filmregisseur war, ist bekannt. Dass er der Sohn des
österreichisch-jüdischen Geschäftsmannes Moses Sternberg war, der sowohl in
Wien, als auch in New York seine Geschäfte betrieb, ist weniger bekannt. Warum
er sich den Adelstitel zulegte, konnte ich bisher nicht herausfinden.
Auch der Komponist der Songs,
Friedrich Holländer, war ein begabter Jude. Seine Lieder gefallen bis heute.
Aber wer hört schon die geheime Botschaft, die sie transportieren?
Wir heutigen sind „Schärferes“
gewohnt, aber in den beginnenden Dreißigerjahren musste so ein Film auf das
männliche Publikum wie ein Aphrodisiakum wirken.
Wenn Rudolf Steiner davon
spricht, dass der christliche Schulungsweg zum Ziel hat, den Astralleib zu
reinigen, damit er geläutert einen „Abdruck“ auf dem Ätherleib hinterlässt, der
dann in der nächsten nachatlantischen Kulturepoche zum Geistselbst der höheren
Menschennatur werden kann, dann sind solche Filme wie „Der Blaue Engel“ nicht
sehr hilfreich. Das Dumme ist nur, dass solche Filme – wegen ihrer ästhetischen
Qualitäten durchaus zu Recht – gefeiert werden.
Aber das wirkliche Ziel dieses
teuflisch-guten Films braucht eigentlich nicht gefeiert zu werden, meine ich.
[1] Der mir
besonders in Schlöndorffs Homo-Faber-Verfilmung gefallen hat.
[2] Die
Autorin weist darauf hin, dass sowohl der Antisemitismus als auch die
Rassenlehre der Nationalsozialisten sehr stark von amerikanischen
Schriftstellern beeinflusst waren. Die Eugenetik geht im Prinzip auf Charles
Darwin zurück und wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an
amerikanischen Elite-Universitäten wie Harvard, Yale, Columbia und Princeton,
stark finanziell gefördert durch reiche Amerikaner wie dem „Stahlbaron“ Andrew Carnegie
oder dem „Eisenbahnkönig“ Edward Henry Harriman, zu einer Pseudowissenschaft
ausgebaut. Der Antisemitismus geht vor allem auf das Buch des Autokönigs Henry
Ford zurück, das unter dem Titel „The International Jew“ (1921/22) weltweite Verbreitung
fand, weil es in die wichtigsten Sprachen übersetzt wurde. Es war nach der
Bibel das am meisten gekaufte Buch in den Vereinigten Staaten
[3] Fischer
war, wie Eva Schweitzer aufzeigt, ein guter Freund des amerikanischen Biologen
Charles Davenport, dessen „Forschungen“ Andrew Carnegie finanzierte und der das
„Eugenics Record Office“ in New York gründete.
[4] Das
hinderte die Nationalsozialisten allerdings nicht daran, Geschäfte mit
Hollywood, insbesondere mit der Firma „Universal“, zu machen, wie Ben Urward in
seiner Studie „Der Pakt – Hollywoods Geschäfte mit Hitler“, Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt 2017, ausführt.
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