Donnerstag, 14. Dezember 2017

Amerikanische Helden und deutsche Spießer - Anmerkungen zu den Filmen "The Right Stuff" von Philip Kaufman aus dem Jahre 1983 und zu dem Film "Der Blaue Engel" von Josef von Sternberg aus dem Jahre 1930



Am Sonntagabend (10.12.2017) lief auf Arte der amerikanische Raumfahrerfilm „Der Stoff, aus dem die Helden sind“ (The Right Stuff, USA 1983) von Philip Kaufman.
Obwohl ich den Darsteller (und Schriftsteller) Sam Shepard[1] sehr mag, der die Rolle des Chuck Yeager spielt, der am 14. Oktober 1947 über der Wüste von Kalifornien zum ersten Mal die Schallmauer durchbrach, und obwohl mich die Geschichte rein historisch interessiert, kann ich den Film doch nicht zu Ende anschauen, weil mich das „Macho-Gehabe“ der amerikanischen Männer nervt, die in dem Film als Helden gefeiert werden, obwohl sie (zumindest in dem Film) zwar sportlich durchtrainierte, aber geistig ziemlich ungebildete Kerle ohne Manieren sind – das typische Klischee des „guten Amerikaners“.
Nur die Stelle finde ich in dem Film interessant, als gezeigt wird, wie die Piloten, die zu Astronauten ausgebildet werden sollen, 1957 auf den Sputnik-Schock reagieren. Da wird von „den Deutschen“ geredet, die offenbar bei den Sowjets erfolgreicher am Raumfahrtprogramm gearbeitet hätten als die Deutschen, die die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg ins amerikanische Raumfahrtprogramm eingebunden hatten. Ost wie West haben offenbar während des Kalten Krieges von den deutschen Ingenieuren profitiert: jede Seite hatte ihre „Deutschen“.
Ich betrachte es als eine Tragik, dass Deutsche während des Ost-West-Konfliktes so entscheidend in den industriell-militärischen Komplex der beiden Staatssysteme eingebunden waren, wo Deutschland doch eigentlich die „Mission“ hat, zwischen Ost und West zu vermitteln.
Am Montag zeigte Arte dann zwei alte Ufa-Filme: Den Schwarz-Weiß-Klangfilm „Der Blaue Engel“ aus dem Jahr 1930 von Josef von Sternberg und den Agfacolor-Farbfilm „Opfergang“ aus dem Jahre 1944 von Veit Harlan. Beide Filme werden von der Kritik als Meisterwerke gepriesen.
Ich habe „Opfergang“, der erst ab 22.00 Uhr lief, nicht ganz angeschaut, weil ich zu müde war. Aber ich habe doch etwas von der positiven Stimmung dieses Melodrams wahrnehmen können, die in deutlichem Kontrast zu der negativen Stimmung des Films „ Der Blaue Engel“ steht.
So unmittelbar habe ich das noch nie erleben können und diese – wenn auch unvollständige – Wahrnehmung hat mich angeregt, weiter darüber nachzudenken.
„Der Blaue Engel“ ist die Verfilmung des 1905 veröffentlichten Romans „Professor Unrat“ von Heinrich Mann, des jüngeren Bruders von Thomas Mann. Ich hatte den Roman im Juli 2014 gelesen. Selbst das Drehbuch des Films hatte ich vor vielen Jahren einmal gekauft und ich besitze selbstverständlich auch die DVD.
Mein Interesse an diesem Meisterwerk des expressionistischen Films der Weimarer Republik war also immer groß. Nun beim Wiedersehen fällt mir aber auch die „verborgene“ Seite des Films auf, denn inzwischen habe ich gelernt, auch Filme so zu sehen, wie ich Romane lese: ich schaue auch nach dem Subtext, oder einfacher ausgedrückt, nach dem, was „zwischen den Zeilen“ steht. Hier versteckt sich die eigentliche geistige Botschaft, die zu entschlüsseln die Aufgabe der Hermeneutik ist, deren ich mich seit dem Germanistikstudium bei meinem geschätzten Professor Heinz Schlaffer gerne bediene.
Die durch den großartigen Schauspieler Emil Jannings dargestellte Figur des unverheirateten Gymnasialprofessors Rath (so heißt er im Film), ist natürlich ein Bild des deutschen Spießers der Wilhelminischen Zeit, wie es Heinrich Mann auch in seinem späteren Roman „Der Untertan“ gezeichnet hat. Sein Leben gerät nach und nach vollkommen aus der Bahn, als der verklemmte Professor sich in die hübsche Lola-Lola verliebt, die von der jungen Marlene Dietrich gespielt wird, die in dem Film ihr berühmtes Lied „Nimm dich in Acht vor blonden Fraun“ singt.
Der deutsche Bildungsbürger heiratet das Tingel-Tangel-Mädchen, lässt sich in dem Variete, in dem die „fesche Lola“ neben anderen „Künstlern“ auftritt, vom Direktor, einem Zauberkünstler, anstellen, weil er seine Stelle als Professor verloren hat und Geld für den Lebensunterhalt braucht, und endet schließlich im Wahnsinn.
Im Theater muss er als Gockel das „Kikeriki“ schreien, während der Direktor ihm Eier aus der Nase zaubert. Als er dann in seiner Heimatstadt, wohin die Tournee die kleine Truppe führt, auftreten soll, weigert er sich, weil er sich nicht vor den versammelten Honoratioren „zum Affen machen“ lassen möchte.
Der Film endet mit der Katastrophe: Der einst hochangesehene Professor irrt zum Schluss durch die verwinkelten Gassen seiner Heimatstadt und rettet sich in sein ehemaliges Klassenzimmer, wo er sich am Lehrerpult festklammert und stirbt. Dabei erklingt, natürlich ironisch gemeint, zum wiederholten Mal die Melodie des Liedes „Üb immer Treu und Redlichkeit“, das mit einfachen Worten die wichtigsten deutschen Tugenden beschreibt. Dabei wandern in einem Kirchturm Figuren aller Stände, vom Bauern über den Handwerker und Gelehrten bis zum Fürsten, im Kreis um die Turmuhr, wie es in einigen Städten an Rathäusern oder Kirchen noch heute der Fall ist.  
Ich will nicht leugnen, dass es solche Deutschen gab und gibt, wie den Professor Unrat aus dem Roman. Wenn ich die Bilder von notgeilen Deutschen sehe, die sich auf Mallorca am Ballermann vergnügen, dann wird mir regelmäßig übel. Wenn ich das grinsende Gesicht des derzeitigen geschäftsführenden Landwirtschaftsministers der Bundesrepublik Deutschland, Christian Schmid, sehe, dann wird für mich die Rede von deutscher „Treu und Redlichkeit“ zur Farce.
Dennoch kann ich das Bild, das Buch und Film von „dem Deutschen“ zeichnen, nur als einseitige Karikatur auffassen. Es ist nicht das Bild des „edlen Deutschen“, von den vielen fleißigen Männern und Frauen in deutschen Handwerksbetrieben und in unzähligen Ehrenämtern. Deutschland ist geradezu das Musterland des Mittelstandes und des Ehrenamtes. Die Menschen, die sich hier engagieren, und von denen ich etliche kenne, sind die wahren Helden unserer Zeit – und nicht die im Dienste des Militärs stehenden Astronauten oder Düsenjägerpiloten.
Natürlich fallen diese Menschen nie besonders auf. Sie sind keine Nachricht wert. Dafür kommen die „bösen Deutschen“ fast jeden Abend im Fernsehen, insbesondere, wenn es sich um Rechte, um Populisten und um sogenannte Antisemiten handelt.
Das Bild, das Heinrich Mann und Josef von Sternberg vom Deutschen zeichnen, erscheint wie eine Erklärung für die späteren Verbrechen der Nazis: Diese Deutschen waren eben unbefriedigte, verklemmte Spießer, die nicht die innere Kraft hatten, den Reizen einer schönen Frau zu widerstehen. Sie sind, anders als die amerikanischen Piloten, nicht aus dem „Stoff, aus dem die Helden“ sind. Sie sind erbärmliche Weichlinge, die erst, als sie durch das NS-Regime die Gelegenheit dazu bekamen, wehrlose Juden quälten und umbrachten und schlagartig zu Bestien wurden.
Und die Juden, die sich bis heute in der Rolle der Opfer „gefallen“?
Sie waren nach der Meinung vieler einfachen Deutschen in den 20er Jahren die eigentlichen Kulturzerstörer. Sie betrieben die Varietes, zeigten in Hollywoodfilmen die langen Beine halbnackter Frauen und taten alles, um die braven Deutschen vom rechten Wege abzubringen.
Auch Adolf Hitler hat das so gesehen und die Juden für alles Übel in der Welt verantwortlich gemacht. Aber wie kam er zu seinen Einstellungen?
Erst gestern las ich in dem Buch „Amerika und der Holocaust – Die verschwiegene Geschichte“ (Knaur-Taschebuch, 2004) der promovierten Amerikanistin und Journalistin Eva Schweitzer[2] folgende Sätze aus dem Standartwerk des Eugenikers Eugen Fischer („Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“, 1931)[3], die rassistische und antisemitische Vorurteile transportieren: „Betrug und Gebrauch beleidigender Sprache kommt bei Juden oft vor.“ Und: „Juden sind herausragend verantwortlich für den Vertrieb obszöner Bücher und Bilder.“
Außerdem erfahre ich, dass Hitler ein großer Liebhaber Amerikas, insbesondere der (meist aus Deutschland stammenden) Farmer des amerikanischen Mittelwestens war, gerne Disney-Filme anschaute und dass sein  Lieblingsautor Karl May war, von dem man damals noch annahm, dass er tatsächlich in Amerika gewesen sei.  Schweitzer gibt ein Beispiel: „Oft bat er seinen Auslandspressechef Ernst ‚Putzi‘ Hanfstaengl, der in Harvard studiert hatte, die Hymne ‚Three Cheers for Harvard‘ (Drei Hurras für Harvard) auf dem Klavier zu spielen. Und den Nazi-Gruß mit dem ausgestreckten Arm hat er dem ‚Boston Globe‘ zufolge von den Cheerleadern abgeguckt. Was Hitler allerdings nicht mochte, war Hollywood[4], die Ostküste, Jazzmusik, Gangsterfilme und Asphaltliteratur.“ (S 24)
Man kann den Film mit einem tieferen Blick auch als „umgekehrte Einweihung“ lesen.
Schon der Titel des Films weist auf den spirituellen Hintergrund der Geschichte. Es handelt sich bei dem „blauen Engel“ nicht um einen wirklichen Engel, sondern um eine Hafenkneipe, in der allerlei durchreisendes fahrendes Volk, so auch Lola-Lola, auftritt, und das von Matrosen und von Gymnasiasten, nicht aber von den honorigen Bürgern des Städtchens frequentiert wird. Ich kenne ein Gasthaus „Goldener Engel“, aber dessen Namen deutet wie die süddeutschen Wirtshausnamen „Goldener Adler“, „Goldener Löwe“ oder „Roter Ochsen“ auf eines der vier Evangelisten-Symbole hin.
Da katholische Christen in der Messe das Abendmahl nur in Form einer trockenen Oblate bekommen, kehren die Männer nach dem Gottesdienst gerne in solchen Wirtshäusern ein und holen im „Sonntagsfrühschoppen“ nach, was ihnen die Kirche verweigert hat. Sie trinken einen Schoppen Wein, während ihre Frauen oder Mütter zu Hause den Sonntagsbraten zubereiten. So ungefähr sah jedenfalls die Welt des deutschen Kleinbürgers in der Regel aus, als die Welt noch in Ordnung war.
Dass der Engel des Films „blau“ ist, deutet vermutlich darauf hin, dass manch braver Familienvater nach dem Frühschoppen bereits etwas angeheitert, also im Volksmund „blau“ war, als er schließlich zu Hause zum Mittagessen auftauchte.
Im Lokal zum „Blauen Engel“ des Films wird tatsächlich viel geraucht und getrunken. Schon bei seinem ersten Besuch wird dem Herrn Professor vom beleibten Direktor Kiepert Alkohol in Form von Sekt angeboten, den Rath jedoch zunächst ablehnt. Später beginnt er dann doch, seinen Kummer mit Alkohol herunter zu spülen.
Der Film beschreibt also im Grunde eine Einweihung, allerdings nicht die auf einem regulären Schulungsweg erworbene, sondern die umgekehrt dazu verlaufende.
Das erste Lied, das Lola-Lola singt, heißt: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, in dem die Zeile vorkommt: „Ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.“
Der naive Zuschauer, der nicht genau unterscheidet, hört das Wort „Liebe“ und denkt sich: das kann ja wohl nichts Schlechtes sein. Vielleicht findet er, wie einst mein Vater, der darüber immer in einen Streit mit meiner Mutter geriet, die junge Marlene Dietrich sogar attraktiv.
Welche Form von Liebe Lola-Lola meint, wird aber bald klar, als sie auf dem Podest ihre Beine zeigt oder sich so breitbeinig auf den Stuhl setzt, dass sie die Männer geradezu einlädt.
Schon auf den Fotos, die von ihr kursieren, ist sie mit einem leichten Röckchen bekleidet, das in der Form von feinen Fäden aufgeklebt ist. Wenn man daran pustet, hebt es sich. Das machen die Pennäler während Professor Raths Unterricht ausgiebig und das macht schließlich der Professor selbst mit seinem konfiszierten Bildchen.
Es dürfte von Anfang an klar sein, dass es sich bei der Liebe, die Lola-Lola besingt, nicht um die Gottesliebe oder die Nächstenliebe handelt, sondern um die körperliche Liebe.
Dieser Liebe verfällt der Professor, der in dem Film immer mehr zum Hanswurst wird, total.
Lola-Lola findet sogar am Anfang Gefallen an ihrem gebildeten Professorchen. Aber bald schon wendet sie sich einem anderen Liebhaber zu, dem Kraftmeier Mazeppa (Hans Albers). Nicht die mit ihren Reizen spielende Lola-Lola gerät in dem Film ins Verderben, sondern der unbescholtene Mann, ja mehr noch, Lola-Lola wird geradezu glorifiziert.
Sie ist, wie sie so breitbeinig auf ihrem „Thron“ sitzt, im Hintergrund ein aufgemaltes Tempelchen oder ein beleuchteter Schirm, der oftmals wie ein Heiligenschein wirkt, ein Gegenbild zur Jungfrau Maria aus der christlichen Bilderwelt. Sie zieht nicht nur den Professor in ihren Bann, sondern auch die Zuschauer. Durch diesen Film ist Marlene Dietrich berühmt geworden und wurde in Hollywood ein gefeierter Star.
Dass der US-amerikanische Regisseur Josef von Sternberg (1894 – 1969), der in der kalifornischen Traumfabrik noch weitere Filme mit Marlene Dietrich, die auch seine Geliebte wurde, drehte, ein begnadeter Filmregisseur war, ist bekannt. Dass er der Sohn des österreichisch-jüdischen Geschäftsmannes Moses Sternberg war, der sowohl in Wien, als auch in New York seine Geschäfte betrieb, ist weniger bekannt. Warum er sich den Adelstitel zulegte, konnte ich bisher nicht herausfinden.
Auch der Komponist der Songs, Friedrich Holländer, war ein begabter Jude. Seine Lieder gefallen bis heute. Aber wer hört schon die geheime Botschaft, die sie transportieren?
Wir heutigen sind „Schärferes“ gewohnt, aber in den beginnenden Dreißigerjahren musste so ein Film auf das männliche Publikum wie ein Aphrodisiakum wirken.
Wenn Rudolf Steiner davon spricht, dass der christliche Schulungsweg zum Ziel hat, den Astralleib zu reinigen, damit er geläutert einen „Abdruck“ auf dem Ätherleib hinterlässt, der dann in der nächsten nachatlantischen Kulturepoche zum Geistselbst der höheren Menschennatur werden kann, dann sind solche Filme wie „Der Blaue Engel“ nicht sehr hilfreich. Das Dumme ist nur, dass solche Filme – wegen ihrer ästhetischen Qualitäten durchaus zu Recht – gefeiert werden.
Aber das wirkliche Ziel dieses teuflisch-guten Films braucht eigentlich nicht gefeiert zu werden, meine ich.




[1] Der mir besonders in Schlöndorffs Homo-Faber-Verfilmung gefallen hat.
[2] Die Autorin weist darauf hin, dass sowohl der Antisemitismus als auch die Rassenlehre der Nationalsozialisten sehr stark von amerikanischen Schriftstellern beeinflusst waren. Die Eugenetik geht im Prinzip auf Charles Darwin zurück und wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an amerikanischen Elite-Universitäten wie Harvard, Yale, Columbia und Princeton, stark finanziell gefördert durch reiche Amerikaner wie dem „Stahlbaron“ Andrew Carnegie oder dem „Eisenbahnkönig“ Edward Henry Harriman, zu einer Pseudowissenschaft ausgebaut. Der Antisemitismus geht vor allem auf das Buch des Autokönigs Henry Ford zurück, das unter dem Titel „The International Jew“ (1921/22) weltweite Verbreitung fand, weil es in die wichtigsten Sprachen übersetzt wurde. Es war nach der Bibel das am meisten gekaufte Buch in den Vereinigten Staaten
[3] Fischer war, wie Eva Schweitzer aufzeigt, ein guter Freund des amerikanischen Biologen Charles Davenport, dessen „Forschungen“ Andrew Carnegie finanzierte und der das „Eugenics Record Office“ in New York gründete.
[4] Das hinderte die Nationalsozialisten allerdings nicht daran, Geschäfte mit Hollywood, insbesondere mit der Firma „Universal“, zu machen, wie Ben Urward in seiner Studie „Der Pakt – Hollywoods Geschäfte mit Hitler“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2017, ausführt.

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