Den ganzen Pfingstsonntag blieb ich zu Hause und schaute mit Lena
die beiden Filme „Heidi“ (Schweiz, 1952) von Luigi Commencini und „Heidi und Peter“ (Schweiz, 1955) von Franz Schnyder auf 3SAT an.
Besonders der erste der beiden Filme ergriff mich so sehr, dass mir
immer wieder Tränen über die Wangen flossen. Das ist mir schon lange nicht mehr
passiert. Ich weiß eigentlich nicht, warum. Vielleicht, weil der Film authentisch
Bilder einer vergangenen Zeit zeigt, die so ganz anders war als es unsere heutige Zeit
ist.
Man sagt, die Heidi-Filme würden die Vergangenheit verklären. Aber das
stimmt nicht.
Ich erkenne meine eigene Kindheit in diesen Bildern wieder, obwohl ich
nicht in den Bergen aufgewachsen bin. Aber dennoch war ich wie der „Geißen-Peter“
umgeben von der herrlichen Natur des Virngrundes. Und die Schauspielerin, die
Heidi spielt, erinnert mich unentwegt an meine Tochter Raphaela, als sie klein war. Auch Lena sagt
es: wenn Heidi strahlt, dann ist es wie das Strahlen von Raphaela.
Die Darstellerin, die angeblich
aus 2000 Bewerberinnen ausgewählt worden war, heißt Elsbeth Sigmund und war
damals zehn Jahre alt (geboren 1942). Sie spielte außer in den beiden
Heidi-Filmen noch in zwei anderen mit, beendete dann ihre Schauspielkarriere
und wurde Lehrerin. Sie unterrichtete 39 Jahre lang, ist heute pensioniert und
lebt zusammen mit ihrem Mann in Winterthur im Kanton Zürich. Sie ist kinderlos
geblieben und erklärt: „Meine Schüler waren meine Kinder.“ (Wikipedia).
Dieser Darstellerin verdanken die
beiden Heidi-Filme ihren weltweiten Erfolg, heißt es einhellig.
Die beiden Filme wurden am Pfingstsonntag von 3SAT im Rahmen eines
Thementages „Bergfilme“ ausgestrahlt. Es war tatsächlich das erste Mal, dass
ich diese beiden Klassiker sah.
Der erste und bessere (Schwarzweiß-) Film zeigte Heidi gleichsam als
wundertätige „Heilige“, durch deren Liebe die gleichaltrige Tochter von Konsul
Sesemann (Willy Bürgel), Klara (Isa Günther), die im Rollstuhl sitzt, als Heidi
nach Frankfurt kommt, wieder gehen kann. Im zweiten Film, „Heidi und Peter“,
kann Klara sogar die Berge Graubündens besuchen und mit Heidi auf die Alm
kommen.
Auch schafft Heidi es, den grantigen Großvater, der sich bereits aus
der Gemeinschaft der Menschen in seine Alpe zurückgezogen hatte, wieder zum „Mitglied“
dieser Gemeinschaft zu machen und an Wunder zu glauben. Der erste Film endet am
Pfingstsonntag mit dem Gottesdienst, in den Heidi sogar den Großvater mitnehmen
kann, der sonst nicht mehr in die Kirche gegangen ist.
Ich mag es, wenn Filme von solch einer heilen Welt erzählen und mit
einem Gottesdienst enden, wie übrigens auch der erste Sissi-Film (da ist es die
Hochzeit des Kaiserpaares im Stefans-Dom).
Solche Geschichten lenken die Zuschauer in die richtige Richtung. Hier
schöpfen sie Vertrauen in das göttliche Wirken und bekommen Mut für ihr eigenes
Leben. Diesen – man kann sagen: kindlichen – Glauben nehmen die meisten
Hollywoodfilme den Menschen. Die älteren Filme gaukelten den Zuschauern eine
Art Traumwelt vor. Mit dem Happy End, das oft darin bestand, dass die Frau den
Mann ihrer Träume bekommt, oder der Mann die Frau seiner Träume, wurden sie in
eine Traumwelt entlassen, der die Wirklichkeit nicht standhält. In den neueren
Filmen wurde selbst solch ein „Happy End“ verweigert und die Filme trugen wesentlich dazu bei, den Glauben in ein höheres, göttliches Wirken zu zerstören. Ich glaube,
Alfred Hitchcock und Louis Bunuel, die Jesuitenzöglinge, waren die ersten, die
damit begannen (siehe meine Filmkritik des vielgelobten Hitchcock-Klassikers „Vertigo“).[1]
In dem Film „Heidi“ ist das anders. Gewiss, das Schicksal dieses
Mädchens ist ganz besonders. Aber es ist nicht unglaubwürdig. Ein reines
Kinderherz kann Wunder bewirken. Und dieses reine Kinderherz kann sich jeder
Mensch bewahren.
Ich kann nur den Hut ziehen vor der inneren Größe der Darstellerin,
die offenbar ihr reines Kinderherz bewahrt hat und der Filmindustrie mit 13
Jahren den Rücken gekehrt hat, wenn andere Mädchen ihres Alters die Gelegenheit
beim Schopfe packen würden, um Starruhm zu erlangen. Elsbeth Sigmund hat sich dagegen
für einen sinnvollen bürgerlichen Beruf entschieden.
Der Film „Heidi“ baut seine Geschichte auf den Gegensätzen „Stadt –
Land“, „Fremde – Heimat“ oder „Kultur – Natur“ auf.
Eine Schlüsselszene ist, als Heidi und der Geißen-Peter oben auf der
Alm einen wilden Bergbach queren müssen. Peter erklärt Heidi, dass dieser Bach „Rhein“
heißt. Heidi fragt ganz kindgemäß, wohin denn der Rhein fließe. Der Junge,
stolz, dass er dem Mädchen auf seine Frage antworten kann, erklärt, dass der
Rhein in den Bodensee fließt. Heidi möchte wissen, ob er da bleibt, oder noch
weiter, bis zum Meer fließt. Das Mädchen ahnt schon, dass das Wasser jeden Bächleins,
seiner Natur nach, irgendwann einmal im Meer landen wird. Das Meer aber ist dem
Geißen-Peter völlig unbekannt und viel zu weit weg von den Bergen. Deshalb weicht
er der Frage aus und erklärt, das wisse er nicht, aber das könne man ja in den
Büchern nachlesen. Heidi fragt Peter, ob er es nicht selber lesen könne. Und da sagt
Peter einen Satz, den Heidi ganz verinnerlicht: „Wozu soll ich lesen lernen?! Man
muss sich schon entscheiden: Die Alm und
Bücher passen nicht zusammen!“
Mit diesem „geschlossenen“ Weltbild kommt Heidi – gegen ihren Willen –
nach Frankfurt in die Familie des wohlhabenden Kaufmanns Sesemann. Dort lernt
sie zunächst – bei der Gouvernante – widerwillig lesen. Erst als ihr die
Großmutter Klaras ein Märchen vorliest, bekommt sie Geschmack am Lesen und
überwindet ihr verinnerlichtes Vorurteil, dass Lesen und Alm nicht
zusammenpassen würden.
Ihr Schicksal, gegen das die junge Heidi zunächst rebelliert, sorgt
also schließlich für die notwendige „Korrektur“. So kann Heidi im zweiten Film („Heidi
und Peter“, 1955) den Geißen-Peter überzeugen, dass Lesen doch wichtig ist, und
Konsul Sesemann verspricht dem Jungen, ihm ein Studium als Geometer zu
finanzieren. Denn Peter, der die Alpen liebt, will das Gebirge einmal „vermessen“
und Topografische Karten von den Bergen zeichnen.
Es ist bekannt, dass die Schweizer die schönsten Topografischen Karten
der Welt machen, die wahre Kunstwerke sind.
Natürlich ist Film ein künstliches Produkt und kein Mensch sollte es
mit dem wirklichen Leben verwechseln. Aber wie jedes echte Kunstwerk, so kann
doch auch der Film in seiner Symbolsprache innere Wahrheiten (oder auch Lügen)
vermitteln, die die Seele des Menschen kräftigen (oder schwächen) können.
„Heidi“ stärkt die Seele, indem sie ihr Gottvertrauen vermittelt.
Gottvertrauen ist nicht gleichzusetzen mit irgendeiner Religion. Wie
zerstört dieses natürliche Gottvertrauen bereits ist, das kann ich jeden Tag
bei den Menschen, denen ich begegne, erleben.
Es ist das Signum unserer Zeit,
dass offenbar jeder individuelle Mensch durch die Krise gehen muss, damit das kindliche
Gottvertrauen in ein bewusstes Gottvertrauen umgewandelt werden kann. Dazu
reicht manchmal ein Leben nicht aus.
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