Mittwoch, 19. April 2017

Verdrehte Mysterien: die Karl-May-Filme "Der Schatz der Azteken" und "Die Pyramide des Sonnengottes" aus dem Jahre 1965



An Ostern hatte 3SAT mehrere Filme von Billy Wilder gezeigt, nicht aber „Ariane“. Ich habe nur zwei angeschaut: am Ostersonntagnachmittag „One, Two, Three“. Dabei bin ich allerdings nach einer Weile eingeschlafen und bekam dann nur noch das Ende mit. Am Ostermontagabend nach der Tagesschau die herrliche Satire „The Front Page“ (Extrablatt) aus dem Jahre 1974 mit dem köstlichen „Odd couple“ Walter Matthau und Jack Lemmon. Lena und Claude, die beide nicht so gut in der deutschen Sprache bewandert sind, konnten den witzigen Dialoggefechten nicht folgen und kapitulierten. So saß ich nach einer Weile allein vor dem Fernseher und schaute mir den herrlichen Film, den ich erst vor ein paar Jahren zum ersten Mal gesehen hatte, wieder an.
Ich hätte auch gerne „Sabrina“ mit der schönen Audrey Hepburn und dem alt gewordenen Humphrey Bogart am Ostersonntagabend angeschaut, aber ich habe für meinen französischen Gast Claude, der absolut kein "Filmgucker" ist, darauf verzichtet. Dabei ist er neben „Ariane“ mein zweiter Lieblingsfilm von Billy Wilder mit der engelsgleichen Audrey Hepburn. Ich habe ja beide auf DVD und kann sie jederzeit anschauen. 
3SAT strahlte am Ostermontagnachmittag zwei deutsche Karl-May-Filme von Billy Wilders Kollegen und Freund Robert Siodmak aus, die dieser in der Mitte der 60er Jahre für die CCC-Studios des deutschen Filmproduzenten Artur Brauner gedreht hatte: „Der Schatz der Azteken“ und „Die Pyramide des Sonnengottes“ (beide 1965).
Ich hatte die Filme vor mehr als fünfzig Jahren einmal im Kino gesehen, wie alle Karl-May-Filme, vermutlich nicht nur einmal, und konnte mich gut an die Szenerie, die Stimmung und die Musik erinnern. Mich störte damals überhaupt nicht das offensichtlich „Zusammengestückelte“ des Films, der, wie ich aus dem „Karl-May-Magazin“ erfuhr, unter enormen Zeitdruck an drei verschiedenen Drehorten (Jugoslawien, Spanien, Berlin) entstanden ist.
Normalerweise schaue ich mir die alten Karl-May-Filme deshalb nicht mehr im Fernsehen an, weil durch meinen inzwischen kritischen Geist die schöne kindliche Illusion zerstört wird. Aber am Ostermontag machte ich eine Ausnahme. Eigentlich wollte ich einen Mittagsschlaf machen und schaltete nur eher zufällig  den Fernseher ein. Da begann gerade der erste Film des Zweiteilers, und ich blieb mit wachsendem Interesse dran. Ich versuchte den Film mit meinem damaligen Bewusstsein und gleichzeitig mit meinem jetzigen Bewusstsein anzuschauen. Die im Film „versteckten Botschaften“ hat ja die jugendliche Seele unbewusst durchaus aufgenommen, aber ich kann sie mir jetzt erst bewusst machen.
Zu diesen Botschaften gehört zum Beispiel, dass dieser Karl-May-Film mich zum ersten Mal mit der mittelamerikanischen Hochkultur der Azteken bekannt machte. Natürlich wäre es falsch, jene geradezu europäisch aussehenden Film-Azteken mit den historischen zu identifizieren. Die Aztekenprinzessin Karja und ihr Großvater, der letzte Hüter des Aztekenschatzes Flathouani, ein Nachkomme des Montezuma,  sind im Film reine Phantasiefiguren, die sich vage auf Figuren aus einigen Karl-May-Romanen stützen. Aber das waren wir ja schon von dem im Phantasie-Nordamerika des sächsischen Erzählers spielenden Apachen-Häuptling Winnetou gewohnt. Darauf kam es nicht an.
Immerhin kommt in beiden Filmen, insbesondere im zweiten, eine ziemlich echt aussehende, aber in Wirklichkeit in Jugoslawien nachgebaute Aztekenpyramide vor. Das Innere dieser Pyramide, in dem am Ende des zweiten Teils die „Teufelin“ Josefa, die alle Männer verführt, ihr schreckliches, aber in der Filmlogik der damaligen Zeit verdientes Ende findet, ist wieder reine Film-Phantasie und erinnert an andere Gruselfilme jener Jahre aus den CCC-Studios.
Auch der fiktive Goldschatz der Azteken, um den sich die ganze Handlung der zwei Filme – ähnlich wie bereits im ersten Karl-May-Film der Serie, „Der Schatz im Silbersee“ (1962) – dreht, ist reine Phantasie, allerdings in Anlehnung an einige Stilelemente der mittelamerikanischen Hochkultur.
Im Bauchbereich der mittleren Statue, die entfernt an ein Kreuz erinnert, ist ein Totenkopf aus Gold zu sehen. Darüber, auf Haupteshöhe, glotzt ein menschenähnlicher Götterkopf aus grünen Edelstein-Augen in die Höhle. Rechts und links der zentralen Stele liegen noch zwei weitere Götterköpfe, die wie durch ein Erdbeben von der Statue abgefallen zu sein scheinen.
Mich erinnert das Arrangement des Schatzes an die „Gruppe“ von Rudolf Steiner und Edith Maryon, die für das erste Goetheanum geschnitzt wurde und den „Menschheitsrepräsentanten“ zeigt, der das Gleichgewicht zwischen den beiden Widersachermächten Luzifer und Ahriman halten kann, nur dass der Bühnenbildner Otto Pischinger hier mit mittelamerikanischen Stilelementen gearbeitet und alles mit falschem Gold überzogen hat.
Im entfernten soll diese Statue vielleicht an den Aztekischen Kriegsgott „Vitzliputzli“ (Huitzilopochtli) erinnern, der im Film durch den schein-gebildeten, durch Mexiko reisenden schwäbischen Kuckucksuhrenvertreter  Hasenpfeffer, der in seinem „Konfirmationslexikon“ die Namen der Götter nachschlägt und an einer Stelle einmal von dem "Metaphysischen" dieser Kultur redet, Erwähnung findet.
War beim „Schatz im Silbersee“ der Indianerschatz in einer unzugänglichen Höhle an einem See gelegen, so befindet sich der Schatz der Azteken drei Jahre und viele Karl-May-Filme später in einem Vulkan. Statt Wasser kommt hier das Gegen-Element Feuer zum Einsatz.
Die Handlung spielt im Jahre 1864, also exakt hundert Jahre, bevor Artur Brauner die Produktion in Auftrag gab. Die Hauptfigur ist der deutsche Arzt und Diplomat – man könnte auch sagen: Spion – Dr. Karl Sternau, der im Auftrag von Reichskanzler Otto von Bismark durch Mexiko reist (wo er schon früher war und viele Freunde gefunden hat), um dem entmachteten rechtmäßigen  zapotekischen Präsidenten Benito Juarez gegen die Franzosen zu unterstützen, die in dem Staat um diese Zeit ein von Kaiser Napoleon III. eingesetztes Marionetten-Regime unter dem jüngeren Bruder Kaiser Franz-Josefs, Erzherzog Maximilian von Österreich (1832 – 1867), installiert haben. Der edle deutsche Held, der in den beiden  Filmen von dem amerikanischen Old-Shatterhand-Darsteller und Hünen Lex Barker (1919 – 1973) gespielt wird, schreitet an manchen Stellen des Films mit seinem schwarzen Hut wie Gary Cooper als Town-Marshall Willi Kane in „High Noon“ (Zwölf Uhr mittags, 1952) durch die schein-mexikanische Landschaft.
Eine weitere Hybrid-Figur des Films ist die „komische Person“ Andreas Hasenpfeffer „aus Plochingen am schönen Neckarstrand“. Der aufschneiderische Schwabe mit dem falschen Schwäbisch wird von Ralf Wolter gespielt, der wie Lex Barker und Rik Battaglia, der wieder den sadistischen Bösewicht mimen darf, zum gewohnten Karl-May-Inventar gehört. Der Berliner Schauspieler, der bereits vor der Karl-May-Film-Reihe in dem Billy-Wilder-Film „One, Two, Three“ (Eins zwei drei, 1961), Hollywood-Erfahrung sammeln und einen glatzköpfigen sowjetischen Agenten spielen durfte, wurde 1962 von Harald Reinl im „Schatz im Silbersee“ als kauziger Westmann Sam Hawkens eingesetzt, den er neben dem trotteligen und eitlen Hadschi Halef Omar in den Orientabenteuern immer wieder in den Winnetou-Filmen verkörpern durfte. Es war seine Standard-Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben zu sein schien, und aus der er nicht mehr herauskam, ähnlich wie Pierre Brice, der ewige Winnetou-Darsteller, der in anderen Rollen immer  hinter seinem „Mythos“ verblasste.
Den Typus des Möchtegern Helden und Angsthasen, der aber ab und zu doch als „Deus ex Machina“ ganz nützlich ist, verkörpert Ralf Wolter in den beiden Mexiko-Filmen in der altbekannten Manier und bringt dadurch zusammen mit seinen Kuckucksuhren  „echt deutschen Humor“ ins ferne Mexiko.
Im Film gibt es zwei Figuren, die wie Bild und Gegenbild aufgebaut sind: Der Vater der schönen Rosita Arbellez, der Hazienda-Besitzer Don Pedro Arbellez (Hanns Nielsen) trägt den Namen des Apostels Petrus, der zwielichtige Vater der „Teufelin“ Josefa den Namen Paolo, hinter dem sich der Apostel Paulus versteckt.
In diesem Motivzusammenhang muss auch die Aztekenprinzessin Karja genannt werden, die sich in den Spieler und Verführer Graf Alfonso (Gerard Barray) verliebt und die mit dem Aztekenschatz, den ihr mit einem Azteken gezeugter zukünftiger Sohn erben soll, am liebsten dem gestürzten Präsidenten Benito Juarez schenken würde, verehrt nicht nur, angetrieben von ihrem Großvater, den sie „Meister“ nennt, die alten heidnischen Götter, sondern als moderne junge Aztekin auch die neue, christliche Göttin, die Heilige Maria von Guadalupe, vor deren Grotte sie einmal lange betet.
Diese Maria wiederum kann als die Gegenspielerin zu Josefa gesehen werden, die das eigentliche Böse in dem Film verkörpert, die „Teufelin“. Dass sie ausgerechnet den Namen des biblischen Zimmermanns Josef trägt, der als Vater von Jesus verehrt wird, obwohl er das laut katholischer Sichtweise im wörtlichen Sinne gar nicht war, ist bestimmt kein Zufall.
Ich weiß nicht mehr, ob diese vier biblischen Namen schon in den entsprechenden Romanen des gläubigen Christen Karl Mays vorkommen, da ich die Bände vor sehr langer Zeit zuletzt gelesen habe, aber ich vermute es.
Solche Namen in einem fiktiven Abenteuer sind genauso wenig wie der Name Sternau, der an die Sterne erinnert, an denen sich die mittelamerikanischen Kulturen stark orientierten, bestimmt keine Zufälle, sondern „transportieren“ unterschwellige Botschaften.
Sternau, der männliche Held, steht also zwischen zwei Vaterfiguren: der eine (Pedro) ist gut, der andere (Paolo) böse. Auch Karja, die weibliche Heldin, steht zwischen zwei Frauenfiguren, die eine (Maria) ist lieb, die andere (Josefa) böse. Hier hat das Autorentrio Georg Marischka, Robert A. Stemmle und Ladislas Fodor versucht, die Geschichte an literarische Vorbilder anzulehnen, wie es Schriftsteller gerne tun. Die Germanisten sprechen dabei von mythischen Konnotationen.
Auch wenn es sich hier um keine „hohe Literatur“ handelt, hört doch die jugendliche Seele solche Namen und wird in der Tiefe von den Figuren positiv oder negativ beeinflusst. Josefa wird unbewusst also immer eine zwar hübsche, aber gefährliche und abgrundtief böse Frau bleiben, genauso wie ihr alles andere als edler Vater Paolo eine rauchende, ungewaschene, zwielichtige Person.
Diese Bilder und ihre Konnotationen prägen sich der jugendlichen Seele tief ein, natürlich vollkommen unbewusst, genauso wie die Karikatur der Menschheitsgruppe, die in der beeindruckenden Aztekenstatue, wie besprochen, mehrmals ins Bild gesetzt wird.
Mit diesen Mitteln werden junge Seelen in eine falsche Richtung gelockt und können sich natürlich nur noch sehr schwer den echten Wahrbildern annähern, die ihnen im Leben vielleicht auch einmal begegnen. Aberglaube übernimmt die Rolle des echten Glaubens, bei vielen jedoch eher eine grundsätzliche Abwendung vom Glauben. Wenn Josef und Paulus „böse“ sind, warum sollte man dann die Geschichten der Bibel überhaupt studieren. Dann glaubt man doch lieber an den Maya-Kalender oder die Marienerscheinungen in Guadalupe.[1] Das ist auch nicht schlecht, da sich auch darin spirituelle Wahrheiten verstecken. Auch das Interesse an den mittelamerikanischen Kulturen ist durchaus berechtigt, nur muss man es geistig in den richtigen Zusammenhang stellen, was die Autoren des Films natürlich nicht tun.
Rudolf Steiner weist in seinen Vorträgen aus dem Jahr 1916 („Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des 19. Jahrhunderts“, GA 171) darauf hin, dass der Azteken-Gott Toatl, der mit dem „Großen Geist“ identifiziert wurde, in Wirklichkeit eine ahrimanisch gewordene geistige Wesenheit aus der alten Atlantis war, die Menschenopfer forderte.[2] Das Herausschneiden des Magens des gefangenen Feindes auf der Spitze einer Pyramide zu bestimmten kosmischen Konstellationen war in Wirklichkeit ein schwarzmagisches Ritual, durch das die aztekischen Priester eingeweiht wurden und  über ihr Volk herrschen konnten.
Am 18. September 1916 enthüllte Rudolf Steiner seinen Zuhörern in einem Vortrag eine geistige Tatsache, die man, wie er sagt, nur mit Geistes-Organen wahrnehmen kann. In diesem spricht er von einem aztekischen Helden, der den Namen Vitliputzli trug. Es war kein Gott, sondern ein Kämpfer gegen den größten Schwarzmagier Mittelamerikas (GA 171, S 62).
Dieser Kampf führte zur Kreuzigung des Schwarzmagiers in Mexiko. Und diese Kreuzigung soll laut Geistesforschung, gleichsam wie ein Gegenbild der zum gleichen Zeitpunkt auf dem Hügel von Golgatha in Jerusalem stattgefunden Kreuzigung, gegenüberstehen.
Wir erfahren, dass der böse Kriegsgott Vitzliputzli, wie ihn Heinrich Heine in seinem Gedicht aus dem ersten Buch seines Geschichtsepos „Romanzero“ (1851) nennt, in Wirklichkeit kein Gott und nicht böse, sondern ein menschlicher Held und gut war.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen