Dienstag, 21. Februar 2017

Eine Parabel auf Israel? Der Film "Das Weite Land" von William Wyler aus dem Jahr 1958

Am Montagabend (20.01.2017) zeigt Arte meinen Lieblingswestern, „Weites Land“ (The Big Country), einen Film von William Wyler aus dem Jahre 1958. Ich habe den ungewöhnlichen Western schon mehrmals gesehen und bin jedes Mal begeistert.


William Wyler (1902 – 1981), der im Jahr darauf, also 1959, mit Charlton Heston in der Titelrolle den Monumentalfilm „Ben Hur“ nach dem Roman von Lew Wallace „Ben Hur - A Tale of the Christ" (1880) drehte, gehört neben John Ford zu meinen Lieblings-Hollywood-Regisseuren. Der mit dem Filmpionier Carl Laemmle verwandte deutsch-jüdische Emigrant ist meinem Empfinden nach einer der wenigen Hollywood-Regisseure, die dem Christentum nahe stehen. Das kommt in allen seinen Filmen zum Ausdruck. Deswegen liebe ich sie.
William Wyler hat in den Film „The Big Country“, dessen von der amerikanischen Schriftstellerin Mary Jessamyn West (1902 – 1984) mitverfasstes Drehbuch auf dem ein Jahr zuvor veröffentlichten Roman von Donald Hamilton (1916 – 2006)[1] basiert, eine eindeutig christliche Botschaft hineingelegt. Wie schon in seinem früheren Film „The Friendly Persuasion“ (1956, ebenfalls nach einem Drehbuch von Jessamyn West), der von einer friedliebenden Quakerfamilie im Wilden Westen zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges handelt, geht es um die Frage, wie das Ideal der Gewaltlosigkeit in einer gewalttätigen Umwelt wie dem sogenannten „Wilden Westen“ Fuß fassen kann.
Der Träger dieses Ideals in „The Big Country“ ist James McKay (Gregory Peck) ein Gentleman von der Ostküste. Der wohlhabende Sohn eines Reeders ist früher als Schiffskapitän zur See gefahren. Er hat sich in Baltimore in die blonde Patricia Terrill (Carol Baker) verliebt, die dort weilte, um den Anstand und die Manieren der feinen Gesellschaft zu lernen. Ihr Vater ist der mächtige Rancher Major Henry Terrill (Charles Bickford). Dieser wiederum liegt im Clinch mit seinem etwas verlotterten Nachbarn, dem verwitweten Viehzüchter Rufus Hannassey (Burl Yves) und seinem missratenem Sohn Buck (Chuck Connors). Henry Terrill hat keinen Sohn, nur die Tochter Pat. Aber er behandelt seinen Vorarbeiter Steve Leech (Charlton Heston), der ihm bedingungslos zur Seite steht, wie einen Sohn. Dieser begehrt ebenfalls die hübsche Pat und wird so zum Rivalen des feinen „Fremdlings“, den bald alle für einen Feigling halten, weil er sich nicht wehrt, als er von Hannasseys Sohn Buck und seinen Kumpeln auf dem Weg zur Terrill-Farm gedemütigt wird. McKay nimmt es als eine Art „Einweihungsritual“, das er von seiner Zeit als Matrose her kennt. Alle Neulinge werden auf Hoher See solchen Prüfungszeremonien unterzogen. Seine Verlobte Pat aber wundert sich, dass er sich „gegen diesen Abschaum“ nicht zur Wehr setzt.
Bald halten alle McKay nicht nur für einen Feigling, sondern auch für ein Greenhorn, das sich im Wilden Westen verirren könnte, als er eines Tages früh morgens aufbricht, um das Land zu erkunden. Ein mitgebrachter Kompass und eine selbst gezeichnete Karte lassen ihn jedoch sicher zurückkommen, während Leech und seine Leute ihn überall vergeblich suchen. Er hatte sich gar nicht verirrt, sondern war zu Besuch bei der Lehrerin Julie Maragon (Jean Simmons), die ebenfalls eine Farm in diesem „weiten Land“ besitzt. Das Besondere an ihrem Grundstück ist, dass es an einem Fluss liegt. Julie ist die beste Freundin von Pat. Dennoch will sie ihr Land nicht an Pats Vater verkaufen, der es genauso begehrt wie Rufus Hannassey, sein größter Feind.
Schließlich kommt es doch auch in diesem „pazifistischen“ Western zum Showdown, genauer gesagt: zu drei Showdowns; das erste findet im Morgengrauen und ohne Zuschauer statt. Leech und McKay kämpfen miteinander. Der Kampf geht unentschieden aus. Dann duellieren McKay und der missratene Sohn Buck sich im felsigen Canyon, in dem Rufus Hannassey und seine Leute „hausen“. Dabei verwenden sie McKays wertvolle Pistolen, die dieser von seinem Vater, der einst im Duell sein Leben verlor, geerbt hat. Weil Buck „trickst“, wird er von seinem eigenen Vater erschossen. Ein ähnliches Motiv, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, ist mir bereits im ersten "Edel-Western" der Filmgeschichte, Anthony Manns „Winchester 73“ (USA 1950)[2] begegnet. Hier tötet ein Vater seinen Sohn, dort tötete ein Sohn seinen Vater. Weiter kann man den Vater-Sohn-Konflikt, der in vielen Western eine wichtige Rolle spielt, nicht auf die Spitze treiben.
Schließlich kämpfen die beiden „Erzfeinde“, Major Terrill und Rufus Hannassey, Mann gegen Mann gegeneinander und bleiben beide tot auf dem gewundenen Weg durch den Canyon liegen. Sowohl der erste als auch der dritte Kampf werden aus einer distanzierten Perspektive gezeigt, so dass der Zuschauer selbst Abstand bewahren kann und nicht wie bei den meisten Western „ins Geschehen hineingezogen“ wird. Schließlich finden der Gentleman von der Ostküste und die hübsche Lehrerin zusammen und reiten im letzten Bild des Films mit dem mexikanischen Stallknecht Ramon hinab ins „weite Land“.
Seit etwa gut einem Jahr schaue ich Hollywood-Filme mit ganz anderen Augen an als früher. Ich versuche, die untergründigen Botschaften der Filme zu „entziffern“. Die hermeneutische Methode habe ich in meinem Germanistik-Studium gelernt. Dabei berücksichtige ich seit etwa einem Jahr, als ich den Film „Die Nacht der Generale“ (Anatole Litvak, 1966)[3] sah, dass die meisten Hollywood-Filme von jüdischen Immigranten aus Europa geschaffen wurden.
Jüdisches Denken und Fühlen unterscheiden sich grundlegend von christlichem Denken und Fühlen, auch wenn sie die gleiche gemeinsame Wurzel haben. Im Grunde geht es bei beiden um einen jahrhundertelangen Bruderzwist. Jeder will dem anderen zeigen, dass er „der bessere“ ist. Das kann sich bis zu einem (untergründigen oder offenen) Hass steigern, der auf beiden Seiten zu furchtbaren Exzessen geführt hat. Wo so ein Hass aufflammt, gilt das alte Gesetz, das auch in dem Film angesprochen wird: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Es ist das Gesetz in unzähligen Western. Man kann es auch das „Rache-Motiv“ nennen. Es ist ein alttestamentarisches Prinzip.
Das Christentum basiert auf dem Prinzip der Versöhnung, des Verzeihens. Und genau dieses Prinzip verkörpert der Held James McKay in diesem Film. Deshalb wird er sogar von seiner Verlobten als Feigling angesehen.
Während ich diesen Film sah, musste ich an Israel denken und plötzlich las ich den Film als eine Metapher für dieses andere „weite Land“ im Osten. Auch in Palästina gibt es von Anfang an zwei Gruppen, die sich bis aufs Messer bekämpfen: israelische Siedler und arabische Einheimische, Israelis und Palästinenser. Jeder beansprucht das ganze Land für sich, vor allem aber das Wasser des Flusses Jordan.
Von Anbeginn kämpfen die beiden Parteien unversöhnlich miteinander, wobei ich in den Israelis deutlich die Partei des Majors Terrill und seiner Leute wiedererkenne, während die Palästinenser mit den etwas verlumpten Leuten von Hannassey gleichzusetzen wären. Auch manche Israelis haben die Palästinenser schon als „Abschaum“ bezeichnet.
Im Heiligen Land gibt es aber auch seit etwa 2000 Jahren Christen. Diese wären mit Julie zu vergleichen, die versucht, ihre Position zwischen den beiden verfeindeten Gruppen zu halten.
Schließlich kommt im Film ein Vierter ins Spiel, der versucht, zwischen allen zu vermitteln, wobei er aber im Prinzip scheitert. Damit sind in der Realität vermutlich diejenigen Menschen gemeint, die in dem israelisch-palästinensischen Konflikt von britischer, amerikanischer oder von europäischer Seite aus zu vermitteln versucht haben und immer noch versuchen.
Allerdings möchten in dem Film vor allem der Major und Steve Leech James McKay auf ihre Seite ziehen, was dieser aber souverän ablehnt. Er handle nicht zu den Bedingungen anderer, sondern nur zu seinen eigenen, sagt McKay einmal. Wie er spricht und handelt, erinnert mich an einen Brief Mahatma Gandhis, dem bekanntesten Vertreter der Gewaltlosigkeit, den er am 28. November 1938 an die jüdischen Siedler in Palästina schrieb:
„Wenn die Juden das geografische Palästina als ihre nationale Heimstätte ansehen müssen, ist es falsch, es im Schatten der britischen Geschütze zu betreten. Eine religiöse Tat kann nicht mit Hilfe von Bajonetten und Bomben ausgeführt werden. Sie können sich in Palästina nur mit Zustimmung der Araber niederlassen (…), sie können mit gewaltlosen Aktionen die Herzen der Araber bekehren (…), sie können klar machen, dass sie bereit sind, erschossen und ins Tote Meer geworfen zu werden, ohne einen Finger gegen sie zu erheben (…). Es gibt Hunderte von Möglichkeiten, mit den Arabern vernünftig zu verhandeln, wenn Sie nur auf die Hilfe der britischen Bajonette verzichten.“
Die durchweg positiv gezeichnete Figur des James McKay ist deshalb eine utopische Figur und der Film „The Big Country“ die absolute Ausnahme unter den Western-Filmen.
Kameramann bei „The Big Country“ war der Deutsch-Österreicher Franz Planer (1894 – 1963)[4]. Dieser hat in seiner über 50 Jahre umfassenden Schaffenszeit so bekannte Filme wie  „Die drei von der Tankstelle“ (Deutschland, 1930) und „Beakfast at Tiffany’s“ (USA, 1961) fotografiert. Er hat zumindest zweimal mit William Wyler zusammengearbeitet: in „Roman Holyday“ (Ein Herz und eine Krone, 1953) und in „The Big Country“ (Weites Land, 1958).
Thomas Koebner schreibt in Reclams Filmgenre-Band „Western“ (2003) über ihn:
„Franz Planer, einer der großen, aus Deutschland emigrierten Kameraleute, der zuvor noch nie einen Western fotografiert hat, übertrifft in diesem Spätwerk die Bildästhetik vieler genre-erprobter Kameraleute. In welchem anderen Film findet man solche Totalen eines frei überschaubaren, ausgedehnten Landes – man ist beinahe überrascht, wie es solch barbarische Rüpel, die Söhne des alten Hannassey, und so anmaßende Alleinherrscher wie den Major, den Beinahe-Schwiegervater des Kapitäns, hervorbringen kann: ein reines Land, in dem offenbar nur der Kapitän und die Lehrerin den Sinn für Weite, Nachsicht und Großmut entwickeln, der dem Charakter des Schauplatzes angemessen ist. In der Dämmerung fotografiert Planer die schwarz-silhouettierten Reiter, als seien dies die letzten Bilder eines Westens, der so gar nicht existiert hat, nur in der verklärenden Erinnerung besteht.“ (S 225).



[1] Der in Uppsala, Schweden geborene und in Visby auf Gotland gestorbene Schriftsteller ist in den 60ern bekannt geworden durch die Agenten-Romane um die Figur des Nazi-Jägers Matt Helm (https://de.wikipedia.org/wiki/Donald_Hamilton).

[4]  “The Jewish family was very influential, and owned large tracts of farmland, businesses, libraries, and shops in Austria-Hungary, and several properties were stolen by certain low ranking officers for their own family’s use  in the mid to late 1930s using falsely issued papers, and threats.” (https://en.wikipedia.org/wiki/Franz_Planer

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