Sonntag, 8. Januar 2017

Katastrophenfilm und Gesellschaftskritik der 68er. "Airport" von George Seaton aus dem Jahre 1970


Gestern Abend (08.01.2017) zeigte Arte den Universal-Film „Airport“ von George Seaton aus dem Jahr 1970 nach dem Bestseller-Roman von Arthur Hailey. Der Film gilt als erstes Beispiel für das Genre des Katastrophenfilms, der dem Jahrzehnt ein wesentliches Gepräge gab.
Nach 1968 waren die aus ihren Gewohnheiten aufgerüttelten Menschen auf der ganzen Welt verunsichert, weil die Jugend gegen das kapitalistische Gesellschaftssystem rebellierte. Zuerst forderten die Hippies ein Ende des Vietnam-Krieges unter der Parole „Make love, not war“, dann begannen die Studenten unter dem Einfluss der „Frankfurter Schule“ den „Marsch durch die Institutionen“ hin zu einer gerechteren Gesellschaftsordnung und schließlich forderten einige extreme Gruppierungen der Jugend: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und begannen den „bewaffneten Kampf“ für einen „Himmel auf Erden“.
Alles wurde in Frage gestellt. Es war wie bei einem Erdbeben: der bis dahin sicher geglaubte Untergrund wankte. Das war die Stimmung der Zeit. Jedermann spürte so etwas wie das Ende der alten und die Geburtswehen einer neuen Welt.
In dem Flugzeug, das ein tapferer Pilot (Dean Martin) steuert, sitzt ein arbeitsloser Sprengstoffexperte, der Selbstmord begehen will, indem er das Flugzeug, das von den USA aus auf dem Weg nach Rom ist, mittels einer selbst gebauten Bombe zum Absturz bringen will. Vorher hat er eine Versicherung abgeschlossen, damit seine Frau nach seinem Tod eine hohe Prämie erhält. Guerrero (Van Heflin), so heißt der Mann, ist durch den Vater mexikanischer Abstammung. Sein Name bedeutet „Krieger“ und erinnert entfernt an den Namen eines der Idole der 68er Bewegung: Che Guevara.
Aber der „Attentäter“ des Films ist kein Terrorist, sondern ein verzweifelter Außenseiter der Gesellschaft, der es nicht geschafft hat, auf der Karriereleiter aufzusteigen, weil er sich immer wieder mit seinen Vorgesetzten zerstritten hat.  Er landet schließlich in der Psychiatrie. Auch seine Frau, der er immer wieder ein besseres Leben verspricht, enttäuscht er immer nur.
Deshalb beschließt er, seinem Leben ein Ende zu bereiten.
Guerrero, der gescheiterte „Krieger“, steht in dem Film deutlich im Kontrast zu den drei Siegertypen, dem schon erwähnten Piloten Captain Demerest (Dean Martin), dem Flughafendirektor Mel Bakersfield (Burt Lancaster) und dem Cheftechniker Joe Patroni (George Kennedy).
Das Dreigespann steht für den Optimismus der Amerikaner, aus jeder brenzligen Situation einen Ausweg finden zu können. Sie sind die Garanten für das Fortbestehen der Welt, wie sie ist. Die Pragmatiker retten die Welt. Dabei gehen sie durchaus eigenwillige Wege. Bakersfield könnte zum Beispiel mit Hilfe seiner Frau, die aus einer wohlhabenden amerikanischen Familie stammt, schon längst zu einem besser bezahlten Posten aufgestiegen sein. Aber er ist „verheiratet“ mit seinem Beruf und fühlt sich verantwortlich für das Funktionieren des Flughafens. Außerdem hat er eine Beziehung zu der hübschen jungen Public-Relations-Chefin der (fiktiven) Flug-Gesellschaft, Tanya Livingston (Jean Seberg). Seine Ehe ist schon lange „zerbrochen“.
Auch der Pilot Demerest hat eine außereheliche Beziehung, und zwar zu der wesentlich jüngeren Stewardess Gwen Meighen (Jacqueline Bisset), die ihm zu Beginn des Romfluges eröffnet, dass sie von ihm schwanger ist.
Nur der dritte (und jüngste) im Bunde, Joe Patroni, hat (noch) eine intakte Beziehung zu seiner Ehefrau.
In Hollywoodfilmen alter Machart wäre es üblich gewesen, dass die Helden zu ihren Ehefrauen zurückfinden. In diesem Film, der in gewisser Weise unter dem Druck der Filme des „New Hollywood“ auch das Publikum der „jungen Generation“ erreichen will, ist es anders. Die Herren, gespielt von gealterten Stars des „alten“ Hollywood, verlassen die vorgefertigte Bahn und finden ihr Glück in den „außerehelichen Beziehungen“ mit jüngeren Gespielinnen.
Das ist das eigentlich „Revolutionäre“ an dem Film. Im Beruflichen sind die Helden Meister ihres Faches, aber im Menschlichen, das heißt in ihren ehelichen Beziehungen, sind sie genauso gescheitert wie Guerrero im Beruflichen.
Interessant ist auch, dass Ross Hunter, der Produzent dieses Films, der in den 50er Jahren Melodramen von Douglas Sirk und einige Doris-Day-Filme finanziert hat, eine wichtige Rolle mit Jean Seberg besetzt hat, einer Ikone der französischen „Nouvelle Vague“ und Sympathisantin der „Black-Panther-Bewegung“, die deshalb auch vom FBI beschattet wurde. Sie sieht in dem Film mit ihrer Blondhaar-Frisur aus wie Doris Day. Dies ist ein geschickter Schachzug des Produzenten, um eine Leitfigur der 68er „matt“ zu setzen.

Immerhin gewinnt die zur braven amerikanischen Hausfrau gewandelte Rebellin Jean Seberg das Herz des alternden Helden Burt Lancaster, der sieben Jahre zuvor unter der Regie von Luchino Visconti als Fürst Salinas in dem Film „Der Leopard“ seinen eigenen Beitrag zur Gesellschaftskritik geleistet hat.

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