Heute Morgen hörte ich gegen 7.35 Uhr
im Radio (SWR2) das Lied „Ermutigung“ von Wolf Biermann, der heute seinen 80.
Geburtstag feiert. Ich kenne nicht viel von diesem deutschen Sänger, aber
dieses Lied, das laut Moderatorin im Jahr 1974 entstand, gefiel mir immer,
besonders wegen seiner ersten Zeile: „Du, lass dich nicht verhärten – in dieser
harten Zeit!“ Genau nach diesem Prinzip habe ich immer versucht zu leben.
Später kamen auf SWR1 Ausschnitte aus der Sendung „Leute“, in der Wolf Biermann
vor ein paar Tagen zu Gast war. Dort sagte er etwas sehr Schönes: Er sei
Melancholiker. Er versuche, den Widerspruch zwischen der begründeten
Verzweiflung und der begründeten Hoffnung in seiner kleinen Brust auszuhalten.
Das fand ich sehr schön. Beide inneren Haltungen schwingen in seinen Liedern
mit: die begründete Verzweiflung, aber auch die begründete Hoffnung.
Nun dachte ich an den Film, den ich gestern
(Montag) Abend auf Arte gesehen hatte. Steven Spielbergs erster Kinofilm
„The Sugarland Express“ entstand im gleichen Jahr 1974 wie das Lied von Wolf
Biermann. Und plötzlich entdeckte ich die gleiche innere Haltung in beiden
Kunstwerken, in dem Film wie in dem Lied.
Der Film handelt von einem Paar, das
durch harmlose Diebstähle, das heißt durch „Jugendsünden“ kleine
Gefängnisstrafen absitzen musste, sowohl die junge Frau Lou Jean (gespielt von
Goldie Hawn), als auch ihr Mann Clovis Michael (gespielt von William Atherton),
allerdings getrennt voneinander. Beide haben zusammen ein Kind, das ihnen die
Fürsorge weggenommen und in die Obhut von Pflegeeltern gegeben hat. Nun kommt
Lou Jean zuerst aus dem Gefängnis und überredet Clovis, während eines Ausgangs
zu fliehen, um zusammen mit ihm ihren Sohn zu „befreien“. Auf der Flucht nehmen
sie einen Polizisten als Geisel. Bald werden die drei auf ihrem Weg nach
Sugarland, Texas, von einer immer größer werdenden Kolonne von Streifenwagen
und von Fernsehstationen verfolgt. Die Armada von Polizisten und Scharfschützen
wird angeführt von einem verständnisvollen Kommandant, Captain Tanner (gespielt
von dem bekannten Western-Darsteller Ben Johnson). Auch der entführte Polizist
Maxwell Slide (gespielt von Michael Sacks) entwickelt allmählich Verständnis
für seine beiden Entführer, besonders als er die gehässigen Kommentare von Lous
Vater hört, der seine Tochter nur beschimpft anstatt ihr gut zuzureden. Der
Film nähert sich mit zunehmender Spannung dem Show-Down am Ende. Clovis wird
dabei tödlich verletzt, während Lou überlebt. Die Story basiere auf einer
wahren Begebenheit, erklärt der Film schriftlich am Anfang. Am Ende erfährt der
Zuschauer, dass Lou tatsächlich den gemeinsamen Sohn zurückbekommen hat und ihn
großziehen konnte. Der Film hätte genauso gut in einem Blutbad enden können.
Aber das tut er nicht und so bricht aus all der Verzweiflung, die den
Hintergrund dieser einfachen Menschen bildet, die vom rechten Weg abgekommen sind,
doch auch wieder ein Hoffnungsstrahl hervor.
Dieser erste für das Kino gemachte
Film von Steven Spielberg war kein großer kommerzieller Erfolg. Aber er wurde
von den Filmkritikern gelobt. Erst sein nächster Film, „Der weiße Hai“, der ein
Jahr nach „Sugarland Express“ in die Kinos kam und als erster „Blockbuster“
gilt, machte seinen Regisseur berühmt.
Die Botschaft des kleinen
Low-Budget-Films des „New Hollywood“ gefällt mir mehr als die der späteren
Filme Spielbergs, insbesondere derer aus der Indiana-Jones-Serie. In „Sugarland
Express“ geht es um ganz einfache menschliche Werte. Es gibt noch nicht diese
Schwarz-Weiß-Malerei: hier die Guten und dort die Bösen. Die beiden Helden des
Films, Lou und Clovis, sind einfache Charaktere, aber sie haben trotz ihrer kleinkriminellen
Vergangenheit ein gutes Herz. Auch die Polizisten sind nicht nur strenge Vertreter
von „Law und Order“, sondern können auch wie Menschen Verständnis für die Situation
von Gestrauchelten entwickeln. Der Zuschauer kann all diese inneren Konflikte und
Entwicklungen der Figuren miterleben. Dadurch nähert sich dieser „kleine“ Film dem
Ziel der antiken Tragödie an: durch Furcht und Mitleid eine Katharsis herbeizuführen.
Im Aushalten des Widerspruches von begründeter
Verzweiflung und begründeter Hoffnung erlangt der mitfühlende Zuschauer, das heißt:
der Melancholiker seinen Lebenssinn: er verändert sein Weltbild. Er reift.
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