Ich kann mich an den
stoppelbärtigen Franko Nero gut erinnern, der durch eine trostlose Landschaft
reitet und hinter sich her einen Sarg zieht. Besonders gefallen hat mir der
erste Django-Film von Sergio Corbucci aus dem Jahr 1966 nicht. Überhaupt bin
ich kein Anhänger von Gewaltfilmen.
Dennoch haben wir uns
entschlossen, an diesem Fastnacht-Dienstag (12.02.2013) Quentin Tarantinos
neuestes „Western-Epos“ im Ellwanger Regina-Kino anzuschauen. Er lief im Saal
1, dem ursprünglichen Kino, an dessen Wänden noch die Schwarz-Weiß-Fotos aus
Filmen wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Butch Cassidy and the Sundance
Kid“ hängen, und in dem ich in den 60er Jahren sämtliche Winnetou-Filme gesehen
habe.
Tarantino hat als Leiter einer
Videothek tausende Filme gesehen, bevor er selbst welche drehte. Dabei hat er
sich vor allem an billigen B-Movies orientiert. Auch die ersten Italo-Western
galten anfangs als Billigfilme für ein eher einfaches Vorstadt-Publikum, das
nicht allzu große Ansprüche an einen Film stellte. Diese Filme verdienten ihr
Geld mit der Vorliebe jenes Publikums für Gewaltdarstellungen und brutale
Action.
Die beiden frühen Italowestern,
„Für eine Handvoll Dollar“ (Sergio Leone, 1964) mit Clint Eastwood und „Django“
(Sergio Corbucci, 1966) mit Franco Nero in der Hauptrolle, hatten einen
ungeheuren Erfolg und führten zu zahlreichen Fortsetzungen, in denen es immer
brutaler zuging. Im Gegensatz zum amerikanischen Western der 50er Jahre, in
denen der Held an höheren Idealen festhält und die durch Banditen gestörte alte
Ordnung wieder herstellt, gibt es im Italowestern keine Ideale mehr. Die
gewöhnlichen, meist verängstigten Menschen werden von rivalisierenden Banden
terrorisiert, bis ein namenloser Fremder auftaucht, und die Banditen
aufeinander hetzt. Dabei liegen zum Schluss des Films alle Banditen tot auf dem
Feld, während der Held weiterzieht. Es geht im Grunde um Schießen und
Erschossen-Werden als Selbstzweck. Reizvoll für das Publikum ist dabei die
Dramaturgie der Filme. Meistens steigert sich die Spannung bis zum
Unerträglichen, bis sie sich schließlich
in einer Gewaltorgie entlädt. In den Dollarfilmen hat der desillusionierte Held
nur noch ein Interesse: möglichst viel Profit aus seinem Job als Kopfgeldjäger
zu ziehen. Er verdient am Töten.
Der Kontrast dieser Produktionen,
die meistens an Schauplätzen in der spanischen Meseta gedreht wurden, zu den
gleichzeitig an Schauplätzen in den Karstgebirgen des heutigen Kroatien
entstandenen Karl-May-Filmen war denkbar groß:
hier das Hohelied der Freundschaft zwischen dem Weißen und dem Indianer
und die klare Trennung von Gut und Böse, dort die Abwesenheit aller moralischen
Bedenken und die Aufhebung der Grenze zwischen
Gut und Böse. Hier der Glaube an eine im Grunde gute Weltordnung, dort
der illusionslose Blick auf eine schlechte Welt.
Nun vermischt Tarantino die
beiden Genres des europäischen Westerns der 60er Jahre in seinem Film. Während
der Dreharbeiten zu „Inglourious Basterds“ hatte er in Berlin die alten
Winnetou-Filme kennen gelernt und war begeistert von ihnen. So hat er seinen
genialen österreichischen Schauspieler Christoph Waltz als Doktor King Schulz
Züge Old Shatterhands verliehen, der nicht mit grober Gewalt, sondern mit
Köpfchen zum Ziele kommt.
Der ehemalige Zahnarzt aus
Düsseldorf, der seit fünf Jahren sein Geld als „ordentlicher“ Kopfgeldjäger,
der immer einen gültigen Haftbefehl bei sich trägt, verdient, ist die
interessanteste Gestalt in „Django unchained“. Er befreit den ehemaligen Sklaven
Django (Jamie Foxx), einen kräftigen „Nigger“, und macht ihn zuerst zu seinem
Diener, dann zu seinem Partner. Er wählt ganz bewusst diesen einen aus, nachdem
er die beiden Aufseher erschossen hat. Den anderen zeigt er den Polarstern und
empfiehlt ihnen, nach Norden in „aufgeklärtere“ Landesteile weiterzuziehen. Der
deutsche Herr Doktor hasst die Sklaverei. Immer wieder betont er durch
ausgewählte Formulierungen seine Herkunft aus dem „Land der Dichter und
Denker“. Als er hört, dass Djangos Frau, die auf einem Sklavenmarkt von ihm
getrennt wurde, bei einem deutschen Kindermädchen aufgewachsen ist und deutsch
spricht, ist er ganz begeistert. Als er dann noch erfährt, dass sie Brunhilde
heißt, entscheidet er sich, Django zu helfen, seine Frau wiederzubekommen.
Es ist das riskanteste
Unternehmen seiner Karriere, wie wir später sehen werden. Aber bevor es zur Tat
kommt, erzählt Doktor Schulz seinem schwarzen Partner die Geschichte von
Siegfried und der Wotanstochter Brunhilde. Er erzählt, dass Wotan die ungehorsame
Tochter auf einen feurigen Berg verbannt hat, der von einem riesigen Drachen
bewacht wird. Und er erzählt, wie es Siegfried, dem großen Held der
germanischen Sage, gelingt, Brunhilde zu befreien. Diese Sage ist das Modell
für den zweiten Teil des Films. Der schwarze Django wandelt sich zum
germanischen Heroen Siegfried und holt schließlich seine Frau Brunhilde aus der
Hölle des sadistischen Plantagenbesitzers Calvin Candie (Leonardo di Caprio).
Der deutsche Doktor muss bei diesem Höllenritt allerdings sein Leben lassen.
Beide Protagonisten des Films,
der schwarze Django und der weiße Doktor sind die sympathischen
Identifikationsfiguren des Films wie einst der Rote Winnetou und der Weiße Old
Shatterhand. In den Karl-May-Filmen stirbt der Rote, in Tarantinos Western der
Weiße. Interessant ist hier wie dort, dass die beiden Freunde Repräsentanten
einer jeweils anderen Kultur sind. Dabei fällt bei „Django Unchained“ ins Auge,
dass der weiße Doktor eher der intelligente Kopfmensch ist, der schwarze Django
dagegen eher ein Willensmensch. Die Mitte, das Fühlen, ist zwar in beiden
vorhanden, aber in der harten Realität des Jahres 1858 eher verkümmert. Das
sieht man besonders in einer Schlüsselszene, als Doktor Schulz seinen Lehrling
einen Farmer vor den Augen seines Sohnes beim Pflügen erschießen lässt. Dieser
Farmer war zuvor ein gesuchter Bandit und die beiden wollen die Belohnung
kassieren. Allerdings hatte sich der ehemalige Bandit inzwischen für eine
ehrliche Arbeit entschieden. „Leider“, so kommentiert der weiße Doktor
süffisant, „zwanzig Jahre zu spät“.
Konnte 1965 ein Millionenpublikum
nach Winnetous Tod der edlen Rothaut ungezählte Tränen nachweinen, so bleibt
nach Doktor Schulz‘ Tod kaum Zeit für Trauer. Django, der wie in jedem
Italowestern gefangen und fies zugerichtet wird, kommt schließlich frei,
erschießt seine Befreier kurzerhand, anstatt ihnen dankbar zu sein, und
vollendet seinen Rachefeldzug. Seinen letzten und schlimmsten Gegner, den bösen
alten Schwarzen Stephen (Samuel L. Jackson), schießt er dabei in der
blutgetränkten Villa des Plantagenbesitzers in die Knie und sprengt diese
schließlich mit dem wimmernden Alten gnadenlos in die Luft, während er mit
seiner glücklichen Brunhilde zuschaut, wie das ganze falsche Sklavenhalterwesen
in Flammen aufgeht.
Tarantinos Lust, mit Filmzitaten
zu spielen und sich in eine eigene Filmwelt einzuspinnen, kommt auch in seinem
neuesten Werk zum Zuge. Hatte er bei „Inglourious Basterds“ die deutsche
Geschichte „zurecht“ gerückt, indem er eine Gruppe von Juden erfolgreich gegen
die Nazis kämpfen und zum Schluss sogar Hitler in einem Kino in die Luft
sprengen lässt, so lässt er in „Django Unchained“ einen Schwarzen gegen die
weißen Sklavenhalter kämpfen und zum Schluss siegen. Tarantino schreibt die
Geschichte in seinen Filmen um und lässt den Verfolgten und Schwachen
Gerechtigkeit wiederfahren, während die Unterdrücker und Verfolger gnadenlos gerichtet
und vernichtet werden. Aber diese Blutorgien sind bei Tarantino immer so
übertrieben, dass man sie in der Regel nicht wirklich ernst nehmen kann. Man
muss sie als eine Art Totentanz sehen, in den er die „Bösen“ verwickelt. Alles
ist symbolisch gemeint und so versteht es der Zuschauer auch und kann den
intelligenten Film genießen, selbst wenn immer wieder rote Farbe über die Leinwand
schwappt.
Nach dem Film, der über zwei
Stunden dauert und sogar von einer Pause unterbrochen wird, was eher untypisch
für die alten Italowestern war, gehen wir noch beim Griechen etwas trinken. Es
ist 23.00 Uhr und wir wollen das Ende des Faschings miterleben. Dazu begeben
wir uns kurz vor Mitternacht auf den Marktplatz vor der Basilika und harren der
Dinge, die da kommen. Es versammeln sich nach und nach immer mehr erschöpfte
Narren um das Podest unter den Kastanienbäumen. Als es vom Kirchturm her zwölf
schlägt, gehen die Lichter in der Umgebung aus. Nur noch der Marktplatz ist
schwach erleuchtet. Da kommt aus einer Seitengasse ein Zug von etwa zwanzig
schwarzen Männern mit Zylindern, von denen vier einen schwarzen Sarg tragen.
Sie stellen den Sarg auf das schneebedeckte Podest und stellen sich im Kreis um
ihn herum. Begleitet waren die Sargträger, die aus Mitgliedern der
Schützengilde bestehen, von bunten Fackelträgern, die sich ebenfalls um das
Podest im Kreis aufstellen. Da beginnt einer aus der Gruppe der Schützen, in
wohlgesetzten Versen eine Abschieds- und Grabesrede zu halten, die immer wieder
unterbrochen wird vom Weinen der Zuschauer. Schließlich wird der Sarg
angezündet und geht in Flammen auf.
Das ist das Ende der Fastnacht,
wie es Jahr für Jahr mit einem alten Ritual in Ellwangen begangen wird.
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