Donnerstag, 16. Juni 2016

Tarantino mischt Winnetou mit Django und was dabei herauskommt: Django unchained (Filmkritik vom 13.02. 2013)


Ich kann mich an den stoppelbärtigen Franko Nero gut erinnern, der durch eine trostlose Landschaft reitet und hinter sich her einen Sarg zieht. Besonders gefallen hat mir der erste Django-Film von Sergio Corbucci aus dem Jahr 1966 nicht. Überhaupt bin ich kein Anhänger von Gewaltfilmen.
Dennoch haben wir uns entschlossen, an diesem Fastnacht-Dienstag (12.02.2013) Quentin Tarantinos neuestes „Western-Epos“ im Ellwanger Regina-Kino anzuschauen. Er lief im Saal 1, dem ursprünglichen Kino, an dessen Wänden noch die Schwarz-Weiß-Fotos aus Filmen wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ hängen, und in dem ich in den 60er Jahren sämtliche Winnetou-Filme gesehen habe.
Tarantino hat als Leiter einer Videothek tausende Filme gesehen, bevor er selbst welche drehte. Dabei hat er sich vor allem an billigen B-Movies orientiert. Auch die ersten Italo-Western galten anfangs als Billigfilme für ein eher einfaches Vorstadt-Publikum, das nicht allzu große Ansprüche an einen Film stellte. Diese Filme verdienten ihr Geld mit der Vorliebe jenes Publikums für Gewaltdarstellungen und brutale Action.  
Die beiden frühen Italowestern, „Für eine Handvoll Dollar“ (Sergio Leone, 1964) mit Clint Eastwood und „Django“ (Sergio Corbucci, 1966) mit Franco Nero in der Hauptrolle, hatten einen ungeheuren Erfolg und führten zu zahlreichen Fortsetzungen, in denen es immer brutaler zuging. Im Gegensatz zum amerikanischen Western der 50er Jahre, in denen der Held an höheren Idealen festhält und die durch Banditen gestörte alte Ordnung wieder herstellt, gibt es im Italowestern keine Ideale mehr. Die gewöhnlichen, meist verängstigten Menschen werden von rivalisierenden Banden terrorisiert, bis ein namenloser Fremder auftaucht, und die Banditen aufeinander hetzt. Dabei liegen zum Schluss des Films alle Banditen tot auf dem Feld, während der Held weiterzieht. Es geht im Grunde um Schießen und Erschossen-Werden als Selbstzweck. Reizvoll für das Publikum ist dabei die Dramaturgie der Filme. Meistens steigert sich die Spannung bis zum Unerträglichen, bis sie  sich schließlich in einer Gewaltorgie entlädt. In den Dollarfilmen hat der desillusionierte Held nur noch ein Interesse: möglichst viel Profit aus seinem Job als Kopfgeldjäger zu ziehen. Er verdient am Töten.
Der Kontrast dieser Produktionen, die meistens an Schauplätzen in der spanischen Meseta gedreht wurden, zu den gleichzeitig an Schauplätzen in den Karstgebirgen des heutigen Kroatien entstandenen Karl-May-Filmen war denkbar groß:  hier das Hohelied der Freundschaft zwischen dem Weißen und dem Indianer und die klare Trennung von Gut und Böse, dort die Abwesenheit aller moralischen Bedenken und die Aufhebung der Grenze zwischen  Gut und Böse. Hier der Glaube an eine im Grunde gute Weltordnung, dort der illusionslose Blick auf eine schlechte Welt.
Nun vermischt Tarantino die beiden Genres des europäischen Westerns der 60er Jahre in seinem Film. Während der Dreharbeiten zu „Inglourious Basterds“ hatte er in Berlin die alten Winnetou-Filme kennen gelernt und war begeistert von ihnen. So hat er seinen genialen österreichischen Schauspieler Christoph Waltz als Doktor King Schulz Züge Old Shatterhands verliehen, der nicht mit grober Gewalt, sondern mit Köpfchen zum Ziele kommt.
Der ehemalige Zahnarzt aus Düsseldorf, der seit fünf Jahren sein Geld als „ordentlicher“ Kopfgeldjäger, der immer einen gültigen Haftbefehl bei sich trägt, verdient, ist die interessanteste Gestalt in „Django unchained“. Er befreit den ehemaligen Sklaven Django (Jamie Foxx), einen kräftigen „Nigger“, und macht ihn zuerst zu seinem Diener, dann zu seinem Partner. Er wählt ganz bewusst diesen einen aus, nachdem er die beiden Aufseher erschossen hat. Den anderen zeigt er den Polarstern und empfiehlt ihnen, nach Norden in „aufgeklärtere“ Landesteile weiterzuziehen. Der deutsche Herr Doktor hasst die Sklaverei. Immer wieder betont er durch ausgewählte Formulierungen seine Herkunft aus dem „Land der Dichter und Denker“. Als er hört, dass Djangos Frau, die auf einem Sklavenmarkt von ihm getrennt wurde, bei einem deutschen Kindermädchen aufgewachsen ist und deutsch spricht, ist er ganz begeistert. Als er dann noch erfährt, dass sie Brunhilde heißt, entscheidet er sich, Django zu helfen, seine Frau wiederzubekommen.
Es ist das riskanteste Unternehmen seiner Karriere, wie wir später sehen werden. Aber bevor es zur Tat kommt, erzählt Doktor Schulz seinem schwarzen Partner die Geschichte von Siegfried und der Wotanstochter Brunhilde. Er erzählt, dass Wotan die ungehorsame Tochter auf einen feurigen Berg verbannt hat, der von einem riesigen Drachen bewacht wird. Und er erzählt, wie es Siegfried, dem großen Held der germanischen Sage, gelingt, Brunhilde zu befreien. Diese Sage ist das Modell für den zweiten Teil des Films. Der schwarze Django wandelt sich zum germanischen Heroen Siegfried und holt schließlich seine Frau Brunhilde aus der Hölle des sadistischen Plantagenbesitzers Calvin Candie (Leonardo di Caprio). Der deutsche Doktor muss bei diesem Höllenritt allerdings sein Leben lassen.
Beide Protagonisten des Films, der schwarze Django und der weiße Doktor sind die sympathischen Identifikationsfiguren des Films wie einst der Rote Winnetou und der Weiße Old Shatterhand. In den Karl-May-Filmen stirbt der Rote, in Tarantinos Western der Weiße. Interessant ist hier wie dort, dass die beiden Freunde Repräsentanten einer jeweils anderen Kultur sind. Dabei fällt bei „Django Unchained“ ins Auge, dass der weiße Doktor eher der intelligente Kopfmensch ist, der schwarze Django dagegen eher ein Willensmensch. Die Mitte, das Fühlen, ist zwar in beiden vorhanden, aber in der harten Realität des Jahres 1858 eher verkümmert. Das sieht man besonders in einer Schlüsselszene, als Doktor Schulz seinen Lehrling einen Farmer vor den Augen seines Sohnes beim Pflügen erschießen lässt. Dieser Farmer war zuvor ein gesuchter Bandit und die beiden wollen die Belohnung kassieren. Allerdings hatte sich der ehemalige Bandit inzwischen für eine ehrliche Arbeit entschieden. „Leider“, so kommentiert der weiße Doktor süffisant, „zwanzig Jahre zu spät“.
Konnte 1965 ein Millionenpublikum nach Winnetous Tod der edlen Rothaut ungezählte Tränen nachweinen, so bleibt nach Doktor Schulz‘ Tod kaum Zeit für Trauer. Django, der wie in jedem Italowestern gefangen und fies zugerichtet wird, kommt schließlich frei, erschießt seine Befreier kurzerhand, anstatt ihnen dankbar zu sein, und vollendet seinen Rachefeldzug. Seinen letzten und schlimmsten Gegner, den bösen alten Schwarzen Stephen (Samuel L. Jackson), schießt er dabei in der blutgetränkten Villa des Plantagenbesitzers in die Knie und sprengt diese schließlich mit dem wimmernden Alten gnadenlos in die Luft, während er mit seiner glücklichen Brunhilde zuschaut, wie das ganze falsche Sklavenhalterwesen in Flammen aufgeht.
Tarantinos Lust, mit Filmzitaten zu spielen und sich in eine eigene Filmwelt einzuspinnen, kommt auch in seinem neuesten Werk zum Zuge. Hatte er bei „Inglourious Basterds“ die deutsche Geschichte „zurecht“ gerückt, indem er eine Gruppe von Juden erfolgreich gegen die Nazis kämpfen und zum Schluss sogar Hitler in einem Kino in die Luft sprengen lässt, so lässt er in „Django Unchained“ einen Schwarzen gegen die weißen Sklavenhalter kämpfen und zum Schluss siegen. Tarantino schreibt die Geschichte in seinen Filmen um und lässt den Verfolgten und Schwachen Gerechtigkeit wiederfahren, während die Unterdrücker und Verfolger gnadenlos gerichtet und vernichtet werden. Aber diese Blutorgien sind bei Tarantino immer so übertrieben, dass man sie in der Regel nicht wirklich ernst nehmen kann. Man muss sie als eine Art Totentanz sehen, in den er die „Bösen“ verwickelt. Alles ist symbolisch gemeint und so versteht es der Zuschauer auch und kann den intelligenten Film genießen, selbst wenn immer wieder rote Farbe über die Leinwand schwappt.
Nach dem Film, der über zwei Stunden dauert und sogar von einer Pause unterbrochen wird, was eher untypisch für die alten Italowestern war, gehen wir noch beim Griechen etwas trinken. Es ist 23.00 Uhr und wir wollen das Ende des Faschings miterleben. Dazu begeben wir uns kurz vor Mitternacht auf den Marktplatz vor der Basilika und harren der Dinge, die da kommen. Es versammeln sich nach und nach immer mehr erschöpfte Narren um das Podest unter den Kastanienbäumen. Als es vom Kirchturm her zwölf schlägt, gehen die Lichter in der Umgebung aus. Nur noch der Marktplatz ist schwach erleuchtet. Da kommt aus einer Seitengasse ein Zug von etwa zwanzig schwarzen Männern mit Zylindern, von denen vier einen schwarzen Sarg tragen. Sie stellen den Sarg auf das schneebedeckte Podest und stellen sich im Kreis um ihn herum. Begleitet waren die Sargträger, die aus Mitgliedern der Schützengilde bestehen, von bunten Fackelträgern, die sich ebenfalls um das Podest im Kreis aufstellen. Da beginnt einer aus der Gruppe der Schützen, in wohlgesetzten Versen eine Abschieds- und Grabesrede zu halten, die immer wieder unterbrochen wird vom Weinen der Zuschauer. Schließlich wird der Sarg angezündet und geht in Flammen auf.

Das ist das Ende der Fastnacht, wie es Jahr für Jahr mit einem alten Ritual in Ellwangen begangen wird.

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