Strahlend blauer Himmel,
Sonnenschein.
Gestern war es noch grau und kühl
und es hat fast den ganzen Tag geregnet.
Es ist alles ein bisschen irreal.
Als wäre das Leben rings um uns schon erstorben, so still ist es.
Vorgestern zeigte die Seite
„Cinema, mon amour“, auf die ich in Facebook abonniert bin, zwei Fotos: Beide
zeigten einen Mann mit einem jungen Baum: beide Bilder sind vom gleichen
Kameramann fotografiert worden, dem Schweden Sven Nykvist (1922 – 2006). Das
obere Foto zeigte Max von Sydow, der erst kürzlich (am 8. März 2020) mit 90
Jahren in Paris verstorben ist, mit einer jungen Birke, die er in dem Film
„Jungfrauenquelle“ von Ingmar Berman aus dem Jahr 1960 ausreißt wie Herkules,
das zweite Erland Josephson vor dem dürren Baum in „Opfer“ von Andrej Tarkowski
aus dem Jahre 1986.
Gestern Abend legte ich die DVD
des Bergmanfilms ein und Lena schaute ihn mit mir bis zum Ende an, obwohl sie
bisweilen ihr Missfallen ausdrückte.
„Jungfrauenquelle“ wurde nach
einer schwedischen mittelalterlichen Legende gedreht und erzählt von der
unschuldigen, aber etwas eitlen Tochter eines wohlhabenden schwedischen Bauern,
die gerne lange schläft und von beiden Eltern als einzige Tochter verwöhnt
wird. Karin soll eines Tages im anbrechenden Frühling Kerzen in die weit
entfernt liegende Kirche bringen, um sie weihen zu lassen. Dazu muss sie durch
einen dunklen Wald. Auf dem Weg zur Kirche trifft sie auf drei Hirten, die mit
ihr zuerst das Brot teilen, sie dann vergewaltigen und töten. Begleitet wurde
Karin (= die Reine), die sich von ihrer Mutter die besten Sonntagskleider
anlegen ließ, von ihrer eher schmutzigen
Halbschwester Ingeri, die noch an den heidnischen Gott Odin glaubt und
insgeheim eifersüchtig auf die blonde Christin ist. Die dunkelhaarige Ingeri
erscheint in dem Film mit ihren bösen Blicken wie vom Teufel besessen. Außerdem
ist sie schwanger mit einem unehelichen Kind, weil auch sie vergewaltigt worden
ist. Die Heidin beobachtet die Vergewaltigung und Ermordung ihrer christlichen
Halbschwester, aber greift nicht ein, weil sie an den Sieg Odins über das
Christentum glaubt.
In dem Film, der im Mittelalter
spielt, treffen in den beiden Frauengestalten Heidentum und Christentum
aufeinander. Am Ende stellt sich heraus, dass das Heidentum auch Töre, den
Vater, ergriffen hat, als er sich blutig an den drei Hirten rächt: den ersten
ersticht er mit dem Schlachtermesser, den zweiten verbrennt er im Herdfeuer und
den dritten, den jüngsten, wirft er an die Wand, dass er tot herunterfällt.
Bevor Töre seine Rache beginnt,
reinigt er sich in einer Art heidnischer Zeremonie, indem er sich mit den
Zweigen der jungen Birke, die er zuvor ausgerissen hatte, auf den Rücken
schlägt und sich wie in der Sauna mit heißem und kalten Wasser übergießt. Zum
Schluss führt Ingeri das Ehepaar und die gesamte Knechtschaft des Hofes an die
Stelle im Wald, wo Karins Leichnam noch liegt. Töre, der sich zunächst bei Gott
beklagt, dass er sowohl die Ermordung seiner Tochter, als auch seine Rache
zugelassen hat, gelobt, an der Stelle, wo Karin getötet wurde, eine Kirche „aus
Stein und Kalk“ zu bauen. Dann nimmt er seine Tochter auf den Arm, um sie nach
Hause zu tragen. In diesem Augenblick sprudelt an der Stelle, wo sie lag,
Wasser aus dem Boden: die Jungfrauenquelle.
Alle knien nieder, um zu beten. Ingeri
wäscht sich mit dem klaren Wasser das Gesicht. Diese Geste klärt ihren Blick
und man hat den Eindruck, dass sie der böse Geist, dem sie bisher gefolgt war,
verlassen hat und dass sie jetzt eine Getaufte ist. Der Film endet also mit
einem doppelten Wunder, allein ausgelöst durch das Gelöbnis Töres.
Ähnlich endet der Film „Opfer“
mit einem Wunder: Alexander hatte das Gelübde getan, nicht mehr zu sprechen,
wenn Gott dafür den drohenden Atomkrieg abwendet. So geschah es. Allerdings
musste Alexander dafür auch sein Haus opfern, das er in einem Akt des
beginnenden Wahnsinns am Ende des Films selbst anzündet. Dann wird Alexander in
die Psychiatrie gebracht.
In beiden Filmen spielt der
schwedische Schauspieler Alan Edwall mit, der durch die Rolle des Vaters Anton
in der populären Fernsehserie „Michel von Lönneberga“ bekannt wurde: in „Jungfrauenquelle“
den Bettler, der wie ein Erzähler das Geschehen kommentiert, und in „Opfer“ Alexanders Freund Otto, der als
Postbote Beispiele übersinnlicher Ereignisse, von denen er hört, „sammelt“.
Mir kommt es so vor, dass Ingmar
Bergman sich in dem visionären Bettler, der zugleich wie ein Dichter erscheint,
selbst porträtierte, genau wie Tarkowski sich wohl am ehesten mit Otto
identifiziert hat.
Nachdem die drei Hirten das
Mädchen Karin vergewaltigt und erschlagen hatten und sie von dem Platz ihres Verbrechens
geflohen waren, nicht ohne die Tote zu entkleiden und die kostbaren Kleider mitzunehmen,
beginnt es zu schneien. Vieles deutet darauf hin, dass die Geschichte im März
spielt, also zur Zeit der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche. Einmal wird Mariä
Lichtmess erwähnt, der Tag am 2. Februar, an dem eigentlich die Kerzen geweiht
werden. Aber da Karin morgens gerne lange ausschläft, so hat sie wohl den
rechten Termin verpasst.
Als Karin und Ingeri am Vormittag
auf ihren beiden Fjordpferden aufbrechen, scheint noch die Sonne. Als Karin tot
ist, beginnt es zu schneien. Karins Leiche, die in dieser Szene aus der
Vogelperspektive gezeigt wird, soll wohl mit einem weißen Tuch zugedeckt
werden, das der Himmel selber schickt.
Es ist das erste von drei Wundern,
die durch den gewaltsamen Tod der gläubigen Jungfrau bewirkt werden.
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